Porträtfoto von Klara Hitler, um 1885
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Biografie über Alois Hitler

Neue Ansichten auch über Mutter Klara

Die soeben erschienene Biografie des österreichischen Historikers Roman Sandgruber über den Vater von Adolf Hitler fördert bemerkenswerte Einblicke in die äußerst ungewöhnliche Familiengeschichte zutage. Über hundert Jahre lang verschollene Briefe werden darin aufgearbeitet, in denen Alois Hitler auch Privates preisgab. So wird auch das von der NS-Propaganda tradierte Bild der Mutter Hitlers, Klara, über die es sonst kaum Material gibt, ergänzt.

Hitler selbst ließ Spuren, die zu seiner Kindheit und Familiengeschichte Aufschluss geben könnten, mit aller Härte verwischen. Seine Ursprünge wollte der Diktator selbst erfinden, er strickte eine Legende, die NS-Politik und Führerkult entsprachen.

„Als ihm 1942 berichtet wurde, dass sich in dem Dorf Spital eine Gedenktafel für ihn finde, bekam er einen seiner hemmungslosen Wutanfälle. Aus seinen Vorfahren machte er ‚arme Häusler‘, den Beruf des Vaters verfälschte er vom Zollbeamten zum ‚Postoffizial‘, die Verwandten, die sich ihm zu nähern suchten, drängte er unnachsichtig von sich fort“ – so beschrieb es Hitler-Biograf Joachim Fest.

Vieles dürfte Hitler auch schlicht peinlich gewesen sein, darunter die uneheliche Abstammung des Vaters und die Verwandtschaft der Eltern untereinander. Über die Familiengeheimnisse war vieles bekannt, über Hitlers Vater Alois legte nun der oberösterreichische Historiker Sandgruber aber erstmals eine Biografie – „Hitlers Vater. Wie der Sohn zum Diktator wurde“ – auf. Zuvor hatte es zu Alois Hitler nur Quellen aus zweiter oder dritter Hand gegeben, darunter auch wenig glaubhafte. Das Buch gibt nun aber nicht nur Einblick in eine komplizierte und unübliche Familienstruktur, sondern beleuchtet soweit möglich auch das Verhältnis von Alois und Klara Hitler.

Privates in Geschäftsbriefen

Möglich machten das 31 Briefe von Alois Hitler, die nach über einem Jahrhundert auf einem oberösterreichischen Dachboden auftauchten. Hitler Senior schrieb sie damals an den Straßenmeister Josef Radlegger, der ihm 1895 einen Hof in Oberösterreich verkauft hatte. „Es waren Geschäftsbriefe, aber bemerkenswert, weil Hitler darin auch viel Privates ausbreitet. Da geht es etwa um private Probleme, sein Gefühl von Einsamkeit, auch dass er eine seelische Krise durchlebt habe“, so Sandgruber im Gespräch mit ORF.at. Aber auch Probleme mit Dienstboten, die er als Bedrohung empfunden habe, und Alltägliches sei in den Briefen an den Hausverkäufer Thema.

Biografie über Hitlers Vater

Ein neues Buch beleuchtet Hitlers Kindheit und Jugend in Oberösterreich.

Die Schriften, rund 35 Seiten, stammten aus dem Jahr 1895, als der Sohn sechs Jahre alt war. Hitler Senior hatte sich da schon aus ärmlichsten Verhältnissen zum Beamten hochgearbeitet, zum Zollamts-Oberoffizial. Der soziale Aufstieg war für diese Zeit außergewöhnlich. Alois Hitler war äußerst belesen und in allem ein Autodidakt. Er war Beamter mit einer Leidenschaft für Landwirtschaft, er wollte sich als „gelehrter Stadtmensch auf dem Land sehen, mit Grundbesitz wie ein Herren-Bauer“, so Sandgruber. „Er stellt sich auch überall als jemand dar, der es besser weiß. In den Briefen benutzt er etwa viele Fremdwörter. Auch als Landwirt meint er klüger zu sein als die Bauern der Umgebung. Eigentlich hält er alle anderen rundherum für blöd.“

Geschwängert von „Onkel Alois“

Alois Hitler war ein Trinker, pedantisch und gegenüber der Familie auch brutal. Revidiert werden müsse aber das Bild Klara Hitlers, das fast allein durch die NS-Propaganda geprägt wurde. Das Mutterbild, das anhand ihrer Figur postuliert wurde, war das der sanften, liebevollen und unterlegenen, vielleicht sogar dümmlichen Frau. Klara war erst 16, als sie zu Hitler Senior ins Haus kommt, um dessen todkranke zweite Ehefrau zu pflegen. Klara war die Enkelin von Johann Nepomuk Hüttler, dessen Bruder Johann Georg Hiedler der Stiefvater von Alois war. Beide Männer – Hüttler und Hiedler – kamen auch für die leibliche Vaterschaft von Alois infrage. Klara war also entweder ersten oder zweiten Grades mit ihrem späteren Ehemann verwandt.

Alois Hitler, um 1880
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Alois Hitler um 1880: Sandgruber erarbeitete neue Erkenntnisse über die Familie des Diktators

Klara Hitler wurde vom 24 Jahre älteren „Onkel Alois“ geschwängert, als die zweite Ehefrau noch lebte. Aus der späteren Ehe gingen sechs Kinder hervor, vier Söhne und zwei Töchter. Nur Adolf und Paula überlebten. Drei der Kinder starben innerhalb nur weniger Wochen, ein Trauma für eine junge Mutter und laut Historiker wohl ein Grund dafür, dass sie sich um Sohn Adolf besonders gekümmert hat. Auch Hitler selbst stellte die Beziehung so dar. Sie sei liebevoll gewesen, und schwach.

Geliebt und verachtet

„Sie war zweifellos eine mütterliche und umsorgende Frau“, sagt Sandgruber. „Aber die Briefe zeigen auch: Sie verfügte wesentlich über das Geld der Familie und war selbstverständlich auch an den Besitzungen zur Hälfte beteiligt. Die Briefe zeigen, woher das Geld kam: aus Klara Hitlers Sparbüchern. Sie hatte diese von ihren Eltern geerbt. Auch die Kinder hatten Sparbücher, Alois hingegen nicht.“ In den Briefen seien auch die Sparbuchnummern aufgelistet.

Der Vater verdiente als Beamter gut, so konnte die Familie gemeinsam die Häuser finanzieren. „Klara Hitler war auch eine energische Wirtschafterin, ging zur Sparkasse und erledigte Geldgeschäfte. Nach dem Tod von Alois fährt sie ins Waldviertel auf Urlaub.“ Man müsse ein „selbstbestimmteres Bild“ von Klara Hitler zeichnen, nicht immer nur die unterwürfige Hausfrau, sondern als die in der Familie, die mit Geld umgehen kann. Sie überlebte ihren Mann nur um vier Jahre und starb 1907 an Brustkrebs. Adolf Hitler habe seine Mutter sehr geliebt, aber sie auf eine Art auch verachtet, so Sandgruber. Er habe einmal gespottet, wenn man seiner Mutter einmal gesagt hätte, dass ein eisernes Schiff schwimmen könne, hätte sie das als Unsinn abgetan.

Kleinkrimineller Halbbruder

Sandgruber gibt im Buch auch Hinweise auf das Verhältnis des Vaters zum Sohn. Hitler war knapp 14 Jahre alt, als der Vater starb. In den Briefen wird Adolf nur wenige Male erwähnt. Bekannt ist aber, wie Hitlers älterer Halbbruder Alois Junior auf die schiefe Bahn geriet. „Das hatte auch Folgen für die Erziehung von Adolf“, so Sandgruber.

Buchcover von „Hitlers Vater“ von Roman Sandgruber
Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria GmbH & Co. KG
Roman Sandgruber: Hitlers Vater. Molden Verlag, 272 Seiten, 29 Euro

Alois Junior wurde als Jugendlicher aus der Realschule geworfen, „wahrscheinlich wegen des Ausspuckens bei der Kommunion“, so Sandgruber. Später habe er eine kleinkriminelle Karriere eingeschlagen, sei wegen Diebstahls zu sechs Monaten Kerker verurteilt worden. Nach Stationen in Frankreich und Großbritannien sei er nach Deutschland zurückgekehrt, wo er wegen Bigamie angeklagt wurde. Seine frühen Vergehen zu Lebzeiten des strengen Vaters hätten schwere Konflikte in der Familie provoziert. Alois Senior habe in der Folge gegenüber Adolf Hitler besondere Strenge an den Tag gelegt. Der Beamte, der sich mühsam hinaufgearbeitet hatte, war „maßlos enttäuscht“ vom älteren Sohn und wollte durch harte Disziplin verhindern, dass der jüngere einen ähnlichen Weg einschlägt.

Nur eine Unterschrift

Generell sei der spätere Diktator stärker vom Vater geprägt worden als bisher angenommen. Der Senior war deutschnational und antiklerikal eingestellt gewesen. Die Belesenheit und auch die große Selbstüberschätzung sei bei beiden vorhanden gewesen, sagt Sandgruber: „Diese Überheblichkeit, die sich aus einer Halbbildung heraus ergibt, findet man beim Sohn eins zu eins wieder.“ Auch dürfte Hitler seinen Vater, den er sonst nur als Trunkenbold darstellte, bewundert haben. Das Imitieren des Vaters in den frühen Jahren habe so weit gereicht, dass Adolf Hitler sogar dessen Unterschrift praktisch kopiert habe.

Über Klara Hitler könne man nicht mehr viel Weiteres herausfinden, mutmaßt der Historiker. Von ihr gibt es nur ein einziges handschriftliches Zeugnis, eine Unterschrift unter einem vorab aufgesetzten Antrag auf Waisenrente. Viel geschrieben dürfte Klara Hitler nicht haben, so Sandgruber. Ein neuer, spektakulärer Dachbodenfund wie die 31 Briefe scheint unwahrscheinlich.