Frau sieht aus Fenster
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Lockdown-Studie

Streit über Krise beendete Beziehungen

Die gravierenden Folgen der Lockdowns für zwischenmenschliche Beziehungen liegen auf der Hand. Doch zwischen dem ersten Lockdown im Frühjahr und dem zweiten im Herbst gibt es Unterschiede, so eine Studie der Soziologin Barbara Rothmüller. Unter anderem zeichnet sich ab, dass Meinungsverschiedenheiten zu den Pandemiemaßnahmen verstärkt zu Zerwürfnissen unter Freunden und Familien führten.

Rund ein Fünftel der Befragten hat laut einem aktuellen Zwischenbericht zur Studie im Zuge der Krise den Kontakt zu Vertrauenspersonen verloren oder aktiv abgebrochen. Dabei führte mehr als ein Drittel an, dass Meinungsverschiedenheiten zum Umgang mit der Pandemie ausschlaggebend gewesen seien. Fast ebenso oft wurde Enttäuschung über mangelnde Zuwendung während der Krise als Grund genannt.

Ausschlaggebend war für zwei Drittel auch, dass sie ihre Vertrauenspersonen nicht mehr treffen können. Dass gemeinsame Freizeitaktivitäten wie Sport, Hobbys und Barbesuche nicht mehr möglich sind, sah rund die Hälfte als (Mit-)Grund für den Kontaktverlust. Auch die digitale bzw. telefonische Kommunikation spielte eine Rolle: 40 Prozent empfinden diese als zu mühsam.

Weniger Kontakte, Begehren und Berührungen

Das Ende von Beziehungen ist dabei nur ein Aspekt, der auf eine Polarisierung in der Gesellschaft im Pandemieverlauf hindeutet: Die Kontakte generell wurden weniger, auch sexuelles Begehren und Berührungen nahmen ab. Das ergab der zweite Teil der Onlinebefragung von Soziologin und Sexualpädagogin Rothmüller, die an der Sigmund-Freud-Privatuniversität (SFU) forscht und an der Universität Wien unterrichtet.

Paar beim Spazieren
APA/Barbara Gindl
Das soziale Leben verlegte sich nach draußen

Sie beobachtet in der Studie „Intimität, Sexualität und Solidarität in der COVID-19-Pandemie“ die psychosoziale Stimmungslage seit Beginn des ersten Lockdowns. Für den Zwischenbericht der von der SFU, der Stadt Wien und der Arbeiterkammer kofinanzierten Studie wurden von 10. November bis 10. Dezember vergangenen Jahres 2.569 Personen in Österreich (78 Prozent) und Deutschland (22 Prozent) online befragt. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, da Frauen und Akademiker über-, Jugendliche und Ältere hingegen unterrepräsentiert sind.

„Massive“ soziale Sanktionen bei Differenzen

Auffällig im Ergebnis ist, dass auch gruppenbezogene Ansteckungsängste und Stigmatisierungen zugenommen hätten. Rund ein Viertel der Befragten gab an, bereits Ausgrenzung aufgrund der Haltung zur Pandemiebekämpfung erlebt zu haben. Darunter sind sowohl Menschen, die von ihrem Umfeld sanktioniert werden, weil sie sich sehr streng an die Maßnahmen halten („Coronahysteriker“), als auch Menschen, die die Regeltreue ihres sozialen Umfelds für übertrieben halten und dafür als „Verschwörungstheoretiker“ gemieden werden.

In den offenen Antworten würden sich laut Rothmüller bei Differenzen zu den CoV-Maßnahmen „massive“ soziale Sanktionen durch Bekannte, Familienmitglieder, Arbeitsumfeld oder in Sozialen Netzwerken zeigen. Das Spektrum der beschriebenen negativen Erfahrungen reiche von Streitdiskussionen, Lächerlichmachen und „lustig gemeinten“ abfälligen Kommentaren, Anfeindungen, sozialer Isolierung und Kontaktabbruch bis zu Beschimpfungen und körperlichen Angriffen im öffentlichen Raum bei Aufforderung einer Person, eine Maske zu tragen.

Zudem zeichne sich ab, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgrund einer vermuteten erhöhten Ansteckungsgefahr vermehrt gemieden würden. Dazu zählen einerseits „Coronaleugner“ und „Menschen, die Party machen“, aber auch Jugendliche und ältere Personen bzw. Hochrisikogruppen. Verstärkt gemieden würden auch Menschen, die im Gesundheitswesen oder in Schulen und Kindergärten sowie in anderen Risikoberufen tätig sind. Das komme bei den Betroffenen auch an: Ein Drittel des befragten medizinischen Personals habe im zweiten Lockdown das Gefühl gehabt, dass sich Menschen aufgrund ihres Berufs von ihnen distanzieren.

Weniger Kontakte als im Sommer

Insgesamt gaben die Befragten an, ihre Kontakte gegenüber den Sommermonaten sowohl online als auch offline stark reduziert zu haben. Bei Freunden und Freundinnen gab es eine Kontaktreduktion um ganze 70 Prozent, bei der Familie um die Hälfte, bei intimen Beziehungen um rund ein Drittel. Geändert hat sich auch die Art und Weise, wie Kontakte gepflegt wurden: 41 Prozent trafen mindestens einmal pro Woche einen Freund oder eine Freundin bei Spaziergängen, rund ein Drittel in Privaträumen.

Ein auffälliger Unterschied zur ersten Befragung im April 2020 sei, dass sich bei fast einem Drittel der Befragten auch das sexuelle Begehren reduziert habe. Allerdings zeichnete sich bei sexuellen und romantischen Beziehungen eine Intensivierung ab. Vor allem bei Singles sei hingegen ein Mangel an Berührungen ein großes Thema. Jeder zehnte Befragte gab an, dass die letzte Umarmung zum Zeitpunkt der Befragung mehr als drei Monate zurücklag. Bei Menschen ohne romantische oder sexuelle Beziehungen war rund die Hälfte betroffen.

Keine solidarische Stimmung mehr

Gerade bei Personen, die nicht in einer Partnerschaft sind, habe sich gezeigt, dass die sozialen Unterstützungsnetzwerke in vielen Fällen nicht mehr so tragfähig waren wie noch im Frühjahr. Das füge sich in den gesamtgesellschaftlichen Stimmungswandel im Umgang mit der Pandemie ein. Wohl habe es weiterhin solidarische Praktiken wie Nachbarschaftshilfe gegeben, aber nicht mehr in dem Ausmaß wie früher. Erneut ergab sich, dass die krisenbedingte Mehrfachbelastung vor allem bei Frauen zu Überforderung und Erschöpfung führt.

„Ganz wenige Leute haben noch das Gefühl einer solidarischen Stimmung wie im April, als es noch Konzerte am Balkon gab“, so Rothmüller zur APA. Nur ein Drittel war der Ansicht, dass es zu einem Anstieg des Zusammenhalts in der Gesellschaft als Folge der Pandemie kam. Die Hälfte nahm es als negative Auswirkung der Pandemie wahr, dass sich Menschen nur mehr um sich selbst kümmern. Insgesamt bemerken vier von fünf Befragten eine große Missinformation in der Bevölkerung. 80 Prozent der Befragten litten im zweiten Lockdown zudem darunter, dass es praktisch nichts anderes mehr als Covid-19 gab.