Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
APA/Helmut Fohringer
EU-weit oder national

Kurz will „Grünen Pass“ für Geimpfte

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) setzt sich in der Coronavirus-Pandemie für einen „Grünen Pass“ für Geimpfte, Getestete und Genesene ein. Er werde diesen Vorschlag beim EU-Gipfel am Donnerstag einbringen und hoffe auf eine europäische Lösung, sagte Kurz am Mittwoch. Sollte das nicht gelingen, werde man das Projekt „national angehen“.

Es brauche „einen Grünen Pass für jeden, der geimpft ist oder gerade Corona hatte und dadurch immun ist oder einen neuen Test gemacht hat“, sagte Kurz in Wien.

„Wir brauchen innerhalb der Europäischen Union die Reisefreiheit wieder zurück“, betonte Kurz vor Journalisten. Ein EU-weit geltender „Grüner Pass“ könne „eine gute Basis dafür darstellen, dass wir ordentlich durch den Sommer kommen“.

Verweis auf Israel

Israel habe bereits ein ähnliches System, insofern „erwarte“ er sich, „dass wir das auch in Europa umsetzen“. Technisch sei es leicht machbar. Es solle eine digitale Lösung sein: Jeder solle sich mit dem Handy ausweisen können.

Mehr Freiheiten durch Impfung

Mit einem „Grünen Pass“ sollen künftig gegen das Coronavirus Geimpfte oder davon Genesene wieder reisen, an Kulturveranstaltungen teilnehmen oder auch ins Fitnessstudio gehen dürfen. In Israel gibt es diese Freiheiten seit Sonntag und auch in Österreich sollen sie demnächst kommen.

Kurz betonte, dass er schon mit zahlreichen EU-Amtskollegen sowie auch dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu über diesen Vorschlag gesprochen habe. Angesprochen auf die Vorbehalte einiger EU-Länder, sagte er, er „hoffe, möglichst schnell die Vorbehalte der Staaten aufbrechen zu können“. Er strebe eine europäische Lösung an. „Wenn es nicht gelingt, werden wir selbstverständlich dieses Projekt national angehen und mit möglichst vielen Staaten in der Nachbarschaft und darüber hinaus versuchen, einen gemeinsamen Weg zu finden.“

„Wollen die Freiheit zurück“

Kurz betonte: „Wir wollen alle so schnell wie möglich unser normales Leben wieder zurück. Wir wollen die Freiheit zurück, innerhalb Europas zu reisen – ganz gleich, ob geschäftlich oder privat –, und wir wollen vor allem die Möglichkeit, in Kulturveranstaltungen, Gastronomie und Hotellerie hineingehen zu können und das auch genießen zu können.“ Eine Rückkehr zur Normalität bis zum Sommer sei „absolut realistisch“.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sagte am Mittwochabend auf Puls24, die Frage – der Pass als „Türöffner für eine Ungleichbehandlung in der Gesellschaft, so wie es in Israel der Fall ist“ –, sei eine „hochpolitische, ethische Frage“ und eine „spannende Diskussion“, die zu führen sei. Anschober ergänzte, „ob wir das wollen, hängt auch davon ab, wie groß der Anteil der Geimpften tatsächlich ist“.

Anschober sah zuvor keine Eile

Einige Stunden zuvor hatte er im APA-Interview gesagt, dass eine Entscheidung über Privilegien für Geimpfte in Österreich nicht vor April fallen werde. Derzeit werde ein „großer Arbeitsprozess“ aufgesetzt, um „eine Strategie für das Leben mit dem Virus“ zu schaffen, sagte er. Die Frage nach Erleichterungen werde Teil davon sein.

Bis Sommer soll es für alle ein Impfangebot geben, danach gelte es, mit den Nichtgeimpften „verantwortungsvoll“ umzugehen. Bei der Frage von Erleichterungen für Menschen, die bereits die Schutzimpfung erhalten haben, sah Anschober keine Eile. Man werde „im Laufe des April, dann nach Ostern“ Ergebnisse des Arbeitsprozesses auf dem Tisch haben.

SPÖ zurückhaltend

Ähnlich zurückhaltend äußerte sich auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. „Wenn ich jetzt höre, dass vier Prozent der Bevölkerung geimpft sind, (…) wir alle wollen uns impfen lassen. Solange nur vier Prozent die Möglichkeit dazu haben, weil die Organisation so schleppend ist und es die Impfstoffe noch nicht gibt, dann stellt sich die Diskussion nicht“, erklärte sie im Puls24-Interview. Denn das wäre eine Schlechterstellung jener, die sich zwar impfen wollen, aber es nicht konnten. Außerdem müssten die wissenschaftlichen Daten eindeutig belegen, dass ein Geimpfter das Virus nicht weitergebe.

Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sagte, man müsse eine „tiefgreifende Diskussion“ führen, ob es Einschränkungen für Nicht-Geimpfte geben dürfe, weil es viele ansteckende Krankheiten gebe, bei denen „nie jemand auf die Idee kommen“ würde, so etwas zu tun. „Es ist ein echter Tabubruch“, sagte Hacker.

Scharfe Kritik der FPÖ

Von der oppositionellen FPÖ kam scharfe Kritik für den Vorstoß des Kanzlers. „Testzwang, Impfzwang, Kennzeichnungszwang. ÖVP-Kanzler Kurz kommt aus dem Träumen der Volksüberwachung nicht mehr heraus“, teilte die FPÖ-EU-Sprecherin Petra Steger am Mittwochabend in einer Aussendung mit. Als „geradezu grotesk“ wertete die Nationalratsabgeordnete die Argumentation von Kurz, dass er so zu einem Maximum an Freiheit gelangen wolle, zumal es sich um eine „Corona-Vollüberwachung“ handle.

Debatte in EU-Ländern läuft

Der virtuelle EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs wird sich am Donnerstag um die Koordinierung in der Coronavirus-Pandemie sowie die Impfstoff-Beschaffung drehen. Thema werden dabei zügigere Zulassungsverfahren und ein Ausbau der Produktionskapazitäten über eine stärkere Zusammenarbeit der Hersteller sein.

Schaidreiter (ORF) aus Brüssel

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet aus Brüssel über mögliche Erleichterung nach einer CoV-Impfung.

In der Debatte über ein europaweites Impfzertifikat zeigen sich manche Länder zurückhaltend. Deutschland und Frankreich fürchten eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Nichtgeimpften, solange nicht alle Bürger geimpft werden können. Andere verweisen darauf, dass noch nicht klar sei, ob eine Impfung auch vor einer Übertragung des Virus schützt.

Griechenland, Zypern und Israel preschen vor

Angeheizt wurde die Debatte zuletzt durch Abkommen von Israel mit Griechenland und Zypern: Geimpften Bürgern will man Reisen zwischen den Staaten ohne Auflagen gestatten, sobald die Flugbeschränkungen aufgehoben sind.

Island, das nicht Mitglied der EU, wohl aber im Schengen-Raum ist, hat bereits damit begonnen, geimpften Bürgern digitale Zertifikate auszustellen. Europäern mit vergleichbaren Nachweisen will Reykjavik die Einreise erlauben. International anerkannt sind solche Impfzertifikate aber nicht.

Im technologieaffinen Estland läuft ein Pilotprojekt mit einer Plattform für Impfdaten, die automatisch auch Impfausweise erstellt. Bei der Einreise nach Estland bleibt geimpften Menschen bereits die ansonsten obligatorische Quarantäne erspart. So ist es auch in Polen, wo Reisende dafür eine spezielle Smartphone-App nutzen können.

„Reinimpfen“ in Kultur und Gastro

Die nordischen EU-Länder gehen noch einen Schritt weiter. Schweden und Dänemark wollen elektronische Impfausweise einführen, die neben Reisen auch den Besuch von Kultur- und Sportveranstaltungen ermöglichen könnten. Die dänischen Pläne schließen zudem Restaurantbesuche ein. Finnland erwägt ebenfalls die Einführung solcher elektronischer Impfpässe.

Ähnliches wird derzeit in Frankreich debattiert – allerdings wird auch diskutiert, ab wann solche Schritte erfolgen können. Während die einen auf eine rasche Umsetzung drängen, fordern andere, dass das erst geschehen soll, wenn alle Bürgerinnen und Bürger die Chance hatten, sich impfen zu lassen.

EU bremst, Tourismusländer drängen

Ähnlich argumentiert die EU: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte bisher, eine europaweite Regelung, wie Reisen aufgrund einer Impfung stattfinden können, müsse auf europäischer Ebene festgelegt werden. Das werde aber erst dann zur Debatte stehen, wenn große Teile der Bevölkerung geimpft seien.

Dagegen drängen neben Griechenland auch die Tourismusländer Spanien und Italien auf schnellere Lösungen. Abgesehen von den persönlichen Vorteilen und der Ankurblung der von der Pandemie und den Maßnahmen dagegen besonders betroffenen Branchen wird auch argumentiert, dass mehr Möglichkeiten ein Anreiz sind, skeptische Bürgerinnen und Bürger zu einer Impfung zu veranlassen.