Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Georg Hochmuth
„Grüner Pass“

Kurz überrascht mit Vorstoß

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will sich wie zuvor schon Griechenland und Zypern auf dem EU-Gipfel am Donnerstag für einen „Grünen Pass“ einsetzen. Damit sollen Geimpfte, Getestete und Genesene mehr Freiheiten erhalten. In der EU gibt es dem gegenüber teilweise Skepsis. Das Gesundheitsministerium hält eine Entscheidung nicht vor April für möglich.

Kurz eröffnete am Mittwoch die Diskussion, die in anderen Ländern schon im Gange ist, auch für Österreich. Es brauche „einen Grünen Pass für jeden, der geimpft ist oder gerade Corona hatte und dadurch immun ist oder einen neuen Test gemacht hat“, sagte Kurz. Ohne europäische Lösung werde man das Projekt „national angehen“.

Kurz machte seinen Vorschlag vor dem Onlinegipfel der EU publik, auf dem er diesen thematisieren will. „Wir brauchen innerhalb der Europäischen Union die Reisefreiheit wieder zurück“, so Kurz. Israel habe bereits ein ähnliches System, insofern „erwarte“ er sich, „dass wir das auch in Europa umsetzen“. Technisch sei es leicht machbar. Es solle eine digitale Lösung sein: Jeder solle sich mit dem Handy ausweisen können.

Köstinger sieht Vorteile für Tourismusstandort

Tourismusministerin Elisabeth Köstinger und Klimastaatssekretär Magnus Brunner (beide ÖVP) begrüßten den Vorschlag von Kurz. „Ein europaweit einheitlicher und anerkannter ‚Grüner Pass‘ ist der richtige Ansatz, um trotz Corona-Krise größtmögliche Freiheit wiederzuerlangen“, so Köstinger am Donnerstag in einer Aussendung. Europaabgeordnete zeigten sich zurückhaltend.

Köstinger kündigte auch eine Diskussion beim Treffen der EU-Tourismusminister am Montag über das Thema an. „Eine einheitliche und rasche digitale Lösung muss im Interesse aller EU-Mitgliedsstaaten liegen.“ Ein digitaler Pass würde den Tourismusstandort attraktiver machen und könnte auch für Gastronomie und Veranstaltungen zum Einsatz kommen. Der digitale „Grüne Pass“ könne folgende Informationen enthalten: eine Impfung, den Beleg einer durchgestandenen Infektion oder ein negatives Testergebnis, das nicht älter als 48 Stunden ist.

Flughafen Wien: Wichtige Initiative

Brunner sah im Vorschlag zu einem EU-weiten „Grünen Pass“ „eine große Chance für einen geregelten und stabilen Flugverkehr im Sommer“. Die Luftfahrt habe „ein hartes Jahr hinter sich“, 2020 erreichte nur ein Viertel der Passagiere im Vergleich zum Jahr davor Österreichs Flughäfen, so der Staatssekretär im Klimaministerium.

Auch der Flughafen Wien unterstützt den Vorstoß als „wichtige Initiative“. Die Entscheidung müsse jetzt fallen, bis April zuzuwarten sei zu spät „dann geht sich das bis zum Sommer nicht mehr aus“, sagte Flughafen-Wien-Vorstand Günther Ofner. „Sollte keine europaweit einheitliche Regelung zustande kommen, dann wäre auch eine ‚Koalition der Willigen‘, also jener Länder in der EU, die das wie Österreich wollen, sinnvoll“, so Ofner in einer Aussendung.

„Notfalls sollte Österreich auch allein diese Initiative umsetzen.“ Denn: „Millionen Menschen wünschen sich, wieder ihren Urlaub genießen zu können. Europaweit hängen auch Millionen Arbeitsplätze davon ab, ob im heurigen Sommer coronasicherer Tourismus und Kulturbetrieb mit Publikum möglich sind.“

Skepsis in Deutschland und Brüssel

Auf dem EU-Gipfel wird beraten, wie die CoV-Impfungen beschleunigt und Virusvarianten bekämpft werden können, Thema soll auch der Streit über verschärfte Grenzkontrollen sein. Die Einführung von Impfausweisen, um den kriselnden Tourismus wiederzubeleben, steht auch auf der Tagesordnung. Die EU-Staats- und -Regierungschefs wollen sich darauf verständigen, die Arbeit für solche Zertifikate aufzunehmen, wie laut Reuters aus einem Entwurf hervorgeht. Der Vorstoß wird besonders von Ländern verfolgt, die stark vom Tourismus abhängen, etwa Zypern, Spanien und Griechenland.

Schaidreiter (ORF) aus Brüssel

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet aus Brüssel über mögliche Erleichterung nach einer CoV-Impfung.

In Deutschland hingegen herrscht Skepsis vor. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach sich gegen Sonderrechte für Geimpfte zum jetzigen Zeitpunkt aus, „solange die Zahl der Geimpften noch so viel kleiner ist als die derjenigen, die auf die Impfung warten“, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Außerdem müsse erst eindeutig geklärt sein, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend sind.

Ähnlich argumentierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Eine europaweite Regelung, wie Reisen aufgrund einer Impfung stattfinden können, müsse auf europäischer Ebene festgelegt werden. Das werde aber erst dann zur Debatte stehen, wenn große Teile der Bevölkerung geimpft sind.

Anschober: Debatte über Ungleichbehandlung führen

Kurz aber sagte am Mittwoch, er „hoffe, möglichst schnell die Vorbehalte der Staaten aufbrechen zu können“. Er strebe eine europäische Lösung an. „Wenn es nicht gelingt, werden wir selbstverständlich dieses Projekt national angehen und mit möglichst vielen Staaten in der Nachbarschaft und darüber hinaus versuchen, einen gemeinsamen Weg zu finden.“ Eine Rückkehr zur Normalität bis zum Sommer sei „absolut realistisch“.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sprach sich am Mittwochabend auf Puls24 prinzipiell für einen europäischen Impfpass aus, relativierte aber auch: Ein Pass als „Türöffner für eine Ungleichbehandlung in der Gesellschaft, so wie es in Israel der Fall ist“, sei eine „hochpolitische, ethische Frage“ und eine „spannende Diskussion“, die zu führen sei. Anschober ergänzte: „Ob wir das wollen, hängt auch davon ab, wie groß der Anteil der Geimpften tatsächlich ist.“ Im APA-Interview hatte Anschober zuvor gesagt, eine Entscheidung über Erleichterungen für Geimpfte – wie etwa in Israel – werde in Österreich nicht vor April fallen.

Kritik der SPÖ

Die SPÖ reagierte skeptisch. In Israel hätten bereits 88,7 Prozent die erste Impfung erhalten, in Österreich aber erst 4,5 Prozent. „Obwohl gerade einmal 4,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung bisher eine Impfung erhalten haben, beginnt Kurz jetzt eine Diskussion über Privilegien für geimpfte Personen“, so SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher. „Zu Ende gedacht bedeutet das, der Bundeskanzler will 95,5 Prozent der ÖsterreicherInnen dafür diskriminieren, dass sie noch keine Chance hatten, sich impfen zu lassen“, so Kucher in einer Aussendung.

Green-Pass-App
APA/AFP/Jack Guez
„Grüner Pass“ in Israel: Hier genießen Geimpfte bereits mehr Freiheiten

Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sagte, man müsse eine „tiefgreifende Diskussion“ führen, ob es Einschränkungen für Nicht-Geimpfte geben dürfe, weil es viele ansteckende Krankheiten gebe, bei denen „nie jemand auf die Idee kommen“ würde, so etwas zu tun. „Es ist ein echter Tabubruch“, sagte Hacker.

FPÖ sieht Drohung

Die FPÖ erneuerte unterdessen am Donnerstag ihre Kritik. Der Vorschlag von Kurz „stößt auf klare Ablehnung der FPÖ“, so Parteichef Norbert Hofer in einer Aussendung. Denn Kurz wolle „nicht geimpfte, nicht getestete oder zuvor nicht infizierte Menschen dauerhaft ihrer Freiheit berauben“, sah Hofer „den Höhepunkt einer gefährlichen und inhumanen Entwicklung“. Hofer vermutete außerdem ein Ablenkungsmanöver. Um von den „Problemen rund um den Finanzminister und das Impfdebakel abzulenken“, präsentiere Kurz einfach ein neues Thema.

Kritik daran, den „Grünen Pass“ notfalls auch im Alleingang umzusetzen, übte der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Harald Vilimsky. „Welch ‚Drohung‘ von Kurz: den ‚Impfpass‘ zur internationalen Reisefreiheit für Geimpfte bei EU-Nein für ‚innerösterreichische Staatsgrenzen‘ im Alleingang einführen“, so Vilimsky auf Twitter. „Nimmt sich die Regierung eigentlich selbst noch ernst oder testen die aus, was bei Medien unhinterfragt durchgeht?“

Griechenland, Zypern und Israel preschen vor

Angeheizt wurde die Debatte zuletzt durch Abkommen von Israel mit Griechenland und Zypern: Geimpften Bürgern will man Reisen zwischen den Staaten ohne Auflagen gestatten, sobald die Flugbeschränkungen aufgehoben sind.

Island, das nicht Mitglied der EU, wohl aber im Schengen-Raum ist, hat bereits damit begonnen, geimpften Bürgern digitale Zertifikate auszustellen. Europäern mit vergleichbaren Nachweisen will Reykjavik die Einreise erlauben. International anerkannt sind solche Impfzertifikate aber nicht.

„Reinimpfen“ in Kultur und Gastro

Im technologieaffinen Estland läuft ein Pilotprojekt mit einer Plattform für Impfdaten, die automatisch auch Impfausweise erstellt. Bei der Einreise nach Estland bleibt geimpften Menschen bereits die ansonsten obligatorische Quarantäne erspart. So ist es auch in Polen, wo Reisende dafür eine spezielle Smartphone-App nutzen können.

Die nordischen EU-Länder gehen noch einen Schritt weiter. Schweden und Dänemark wollen elektronische Impfausweise einführen, die neben Reisen auch den Besuch von Kultur- und Sportveranstaltungen ermöglichen könnten. Die dänischen Pläne schließen zudem Restaurantbesuche ein. Finnland erwägt ebenfalls die Einführung solcher elektronischer Impfpässe.