„Sold“-Schild vor Häusern in London
APA/AFP/Chris J Ratcliffe
Exodus aus Hongkong

Teure Flucht nach Großbritannien

Nach politischem Aufruhr und Repression haben zahllose Hongkonger die Flucht aus der früheren britischen Kronkolonie angetreten. In Großbritannien wird ihnen die Einwanderung erleichtert – wenn sie über das nötige Geld verfügen. Viele der jungen Demokratieaktivistinnen und -aktivisten sind nun wegen Geldmangels mit neuen Nöten konfrontiert.

Das „Sicherheitsgesetz“, gegen das die Demokratiebewegung in Hongkong einen zermürbenden Kampf führt, zieht eine enorme Auswanderungswelle nach sich. Großbritannien hatte im Zuge der monatelangen und teils gewaltsamen Proteste seine Einwanderungsbestimmungen für Millionen Bewohner und Bewohnerinnen Hongkongs gelockert. Jene, die einen „British National Overseas“-Pass (BNO) haben, können ein Arbeits- und Aufenthaltsvisum für Großbritannien beantragen, nach fünf Jahren dann auch die britische Staatsangehörigkeit.

Rund 70 Prozent der 7,5 Millionen Hongkonger haben prinzipiell Anspruch auf den BNO-Pass. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes schnellten die Antragszahlen dafür rasant in die Höhe. London rechnet in den kommenden fünf Jahren mit der Ankunft von bis zu 322.000 Menschen aus Hongkong. Nun aber finden sich viele von jenen, die vor Repressionen in Hongkong flüchteten, in der britischen Bürokratie gefangen wieder. Während sich Wohlhabende relativ einfach niederlassen können, geraten Finanzschwächere ins Hintertreffen.

Bedingungen für das Visum

Die BNO-Visa sind für Hongkonger bestimmt, die über 18 Jahre alt sind und die Gebühren stemmen können: Das Visum und ein Aufschlag für die Krankenversicherung kosten rund 3.370 Pfund (rund 3.900 Euro). Zudem müssen Interessierte über genügend Mittel verfügen, um mindestens ein halbes Jahr Kost und Logis selbst bestreiten zu können. Viele der jungen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für demokratische Reformen in Hongkong einsetzten, kommen dafür nicht infrage. Ohne Geld kein Visum, ohne Visum keine Versicherungsnummer und damit auch kein Job.

„Sicherheitsgesetz“

Das Gesetz trat trotz aller Proteste 2020 in Kraft und richtet sich gegen Handlungen, die China als umstürzlerisch, separatistisch oder terroristisch ansieht. Seit 1997 gehört die frühere britische Kronkolonie Hongkong wieder zu China und wird als Sonderverwaltungsregion autonom regiert.

Allein seit Anfang Februar seien rund 200 junge Demokratieaktivisten aus Hongkong in Großbritannien angekommen, sagte Krish Kandiah von der kirchlichen Organisation UKHK, die Einwandernde unterstützt, gegenüber der Wirtschaftsnachrichtenplattform Bloomberg. Viele seien nicht befugt, ein BNO-Visum zu beantragen oder könnten es sich schlicht nicht leisten. „Es wäre tragisch, wenn die Route, die Hongkongern mit Angst vor politischer Verfolgung helfen soll, nicht denjenigen zugutekommt, die sie am dringendsten brauchen“, so Kandiah.

Langes, teures Warten

Stattdessen kommen nun viele mit einem Touristenvisum ins Vereinigte Königreich und beantragen Asyl auf klassischem Weg oder zeitlich begrenzt durch eine Regelung namens „Leave outside the rules“ für jene, die in keine der vielen Asylkategorien passen. Das Einwanderungssystem ist kompliziert und langsam. Bis zu einer Entscheidung kann es mehrere Monate dauern, hinzu kommen weitere Verzögerungen durch die Coronavirus-Pandemie.

Demonstranten in Hongkong
AP/Vincent Yu
In Hongkong gingen die Menschen gegen das „Sicherheitsgesetz“ auf die Straßen – viele verließen auch das Land

Laut Bloomberg hat das britische Innenministerium keine offiziellen Schätzungen über die Zahl der Menschen, die einen Aufenthalt abseits des BNO-Passes beantragen. NGOs beklagen einen Mangel an Hilfe und Zusammenarbeit. In der Zwischenzeit geht den Asylsuchenden das letzte Geld aus, viele fürchten in der Folge eine Abschiebung. Man sei aber stolz auf die Hilfe, die man Hongkongern angedeihen lasse, wird Kevin Foster, der für Einwanderung zuständige Minister, zitiert. „Jene, die nicht für ein BNO-Visum infrage kommen, können immer noch unter den existierenden Bedingungen einwandern, um im Vereinigten Königreich zu leben, zu arbeiten oder zu studieren.“

Großes Interesse bei wohlhabenden Zuzüglern

Jener Hongkongerinnen und Hongkonger, die keine Geldprobleme haben, kaufen sich in Großbritannien in großem Stil ein. Bereits vergangenes Jahr stammte ein Zehntel der Käufer, die in London und seinem Speckgürtel Immobilien erwarben, aus der Sonderverwaltungszone, wie aus einer Befragung der Maklergesellschaft Hamptons International hervorging. Laut Reuters ist bei den Immobiliengeschäften ein Trend zu erkennen: Makler gaben vermehrt an, dass die Häuser und Wohnungen vor allem zum Weitervermieten gekauft worden seien. Damit werde Geld verdient, um sich in weiterer Folge dauerhaft in Großbritannien niederlassen zu können.

Findige Unternehmer hätten dafür in Hongkong auch Kurse für das nötige Know-how angeboten und seien überrannt worden. Der Londoner Immobilienmarkt ist teuer, doch nicht so teuer wie jener Hongkongs. Erst Mitte Februar wechselte dort eine Fünfzimmerwohnung für 49 Mio. Euro den Besitzer – bei einem Quadratmeterpreis von über 156.000 Euro. Hongkong wurde schon mehrfach zum teuersten Wohnungsmarkt der Welt gekürt.

Obwohl die finanzkräftigen Zuzügler aus Hongkong Londons Wohnungen aufkaufen, erlitt der Immobilienmarkt in der britischen Hauptstadt 2020 einen Einbruch von rund 13 Prozent, so Bloomberg. Selbst die hohe Zahl an Einwandernden und Investoren aus Übersee konnte die pandemiebedingten Einbußen nicht kompensieren. Die ansässigen Kaufwilligen würden in der Pandemie eher aus London fliehen und sich nach Häusern auf dem Land umsehen.