Frau in Kleidungsgeschäft
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„Slow Fashion“

Vintage-Mode als Trend der Krise

Gekommen, um zu bleiben: Der Hype um die Vintage-Mode gewinnt in der Coronavirus-Pandemie noch mehr an Fahrt. Während der Verkauf von „Fast Fashion“ von Billigmodehäusern zurückgeht, schätzen immer mehr Menschen den Wert von hochwertiger Mode früherer Tage.

Insgesamt erlebte der Secondhand-Handel im Internet während der letzten Lockdowns einen wahren Boom. Aber auch der Einzelhandel mit dezidierter Vintage-Kleidung floriert. Die Kundschaft sucht Qualität und Nachhaltigkeit – und viele meinen, das bei Modelabels nicht mehr zu finden. Während der Ausgangsbeschränkungen hatten die Menschen Zeit, ihren Kleiderschrank aufzuräumen. So manchen dürfte dabei klar geworden sein, dass die besten Stücke oft die ältesten sind. Und so manches landete in Onlinebörsen.

Gleich mehrere Studien bescheinigen dem Geschäft mit Secondhand-Mode, günstigen Teilen aus dem Vorjahr genauso wie hochwertiger, älterer Stücke, einen enormen Wachstumsschub. Laut dem Marktforschungsinstitut Global Data soll sich der globale Umsatz in den nächsten drei Jahren auf 52 Milliarden Euro fast verdoppeln. Kein Wunder also, dass Modekonzerne wie Zalando und H&M nun ebenfalls mit „Mode aus Vorbesitz“ handeln.

Vintage-Trend in Krisenzeiten

Vintage-Mode liegt derzeit im Trend. Gerade in Zeiten des Lockdowns wurde online vermehrt nach hochwertiger Mode vergangener Tage gesucht

Weniger kaufen, länger besitzen

Weniger Produkte kaufen, die dafür länger haltbar sind, wollen 85 Prozent der Befragten laut einer Analyse der Boston Consulting Group. Die Unternehmensberatungsfirma befragte Kunden und Kundinnen der französischen Modeplattform Vestiaire Collective. Neun Millionen Mitglieder kaufen und verkaufen über die Website hochwertige Waren aus zweiter Hand.

Der Trend zur Nachhaltigkeit hat längst die Massen erreicht. Die Textilindustrie trägt mit ihrem jährlichen Ausstoß von 1,2 Milliarden Tonnen CO2 stark zur Klimakrise bei. Kleidung, die zum Teil in Billiglohnländern hergestellt wird, muss rasch verkauft werden, weil die nächste Kollektion immer schon in den Depots wartet. Viele Designer wollen und können in diesem Kreislauf nicht mehr mitmachen, aber auch diejenigen, die all diese Stücke kaufen sollen. Ein interessanter Aspekt, der aus den Studien hervorgeht: Der Kauf von gebrauchter Ware mit hoher Qualität ermutigt die Menschen, besser auf ihre Kleidung aufzupassen.

Ingrid Raab in ihrer Boutique „Flo Vintage“ neben einem Modell von Fred Adlmüller
Nicola Eller
Ingrid Raab neben einem Modell von Fred Adlmüller – einem Entwurf für die Flugbegleiterinnen der Austrian Airlines, das nie in Produktion ging

Mode mit Geschichte

Das weiß auch Ingrid Raab. Die Besitzerin einer Vintage-Boutique in Wien sammelt und verkauft Mode von 1880 bis 1980. „Da gab es noch keine Wegwerfgesellschaft. In den 1950er Jahren hat man Designermodelle gekauft, weil man Qualität wollte. Heute kaufen Sie nur mehr den Namen und keine Qualität mehr.“

Ihre Modelle hat Raab früher bei Wohnungsräumungen gefunden, heute nimmt sie auch Stücke in Kommission. Mode mit Geschichte, genäht von kleinen Schneiderateliers und Privatpersonen, wie das schlichte, schwarze Abendkleid mit einem Kragen aus Hasenfell. „Ein Kleid aus der Kriegszeit. Damals hat man den Hasen nicht nur gegessen. Man hat ihn voll verwertet“, so Raab.

Vintage als Wertanlage

Eines ihrer wertvollsten Stücke ist ein rosafarbenes Cocktailkleid aus den 1920er Jahren, ein zartes Seidenkleid bestickt mit Tausenden Glasperlen. Den Namen der Vorbesitzerin, einer schon verstorbenen deutschen Schauspielerin, darf sie nicht verraten. Das Etikett ist wichtig, „Signatur“ nennt es Raab, wie bei einem Gemälde. Jean Patou steht auf der Innenseite des ärmellosen Hängekleids. „Das ist ein Original. Damit haben Sie eine echte Wertanlage.“

Entwurf von Paco Rabanne
Nicola Eller
Vintage als Wertanlage: Ein Original des Designers Paco Rabanne

Stardesigner sind Vintage-Fans

Vor drei Jahren wurde ein Kleid des spanischen Designers um 44.000 Euro bei einer Auktion von Sotheby’s versteigert. Solche Kleidungsstücke landen oft in Museen. Angreifen kann man sie dort nicht mehr. Genau das schätzen viele Modedesigner, die sich in Vintage-Geschäften umsehen und sich für ihre eigenen Entwürfe inspirieren lassen. „Stella McCartney war schon hier und ein Assistent von Karl Lagerfeld. Der hat meine gesamte Sammlung an Trachtenjankern aufgekauft“, erzählt Raab, und „Helmut Lang hat sich für Jugendstil-Stickereien interessiert“.

Mode von Designern wie Lang, aber auch eine breite Palette an gebrauchten Jeans und Trainingsanzügen der bekannten Marken findet sich im Polyklamott im 6. Bezirk. Mit seiner großen Glasfassade, hinter der man Elektronik-Beats wummern hört, erinnert der Vintage-Store an ein hippes Modegeschäft. Wiens aufstrebende Rap-Musiker trifft man hier ebenso wie Menschen aus der Kunstszene.

Berlin als Vorbild

Seit seiner Jugend begeistert sich Geschäftsführer Christoph Pfandler für Flohmärkte. Vor 21 Jahren ist der Wiener aus Berlin in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Was damals in Berlin schon überall zu finden war, wollte er auch in Wien etablieren: einen lässigen Vintage-Laden mit besonderer Kleidung aus zweiter Hand. Mittlerweile hat er für sein Geschäft ein weltweites Netzwerk an Zwischenhändlern aufgebaut, die ihm gebrauchte Kleidung, aber auch sogenannte Deadstocks aufstöbern – alte, aber neue Lagerbestände von Mode und vor allem Sonnenbrillen.

„Re-use ist die Nachhaltigkeit per se“, so Pfandler. „Auch wenn du etwas recycelst, ist es immer unter Einsatz von zusätzlichen Ressourcen. Re-use ist der einzige, wirklich ehrliche nachhaltige Gedanke.“

Show Angewandte 18, Ankerbrotfabrik Wien
Ostermann Nikolaus
Christoph Rumpfs Mantel aus alten Teppichen

Edle Roben aus alten Teppichen

Pfandlers Shop ist ein beliebter Treffpunkt von Studenten und Studentinnen der Modeklasse der Universität für Angewandte Kunst in Wien: „Die lieben das, wenn sie Teile von Vivienne Westwood und Helmut Lang anfassen können, wenn sie nachschauen können, wie ein Innenfutter vernäht wurde. Und viele von ihnen arbeiten bei mir auch während ihres Studiums.“

Einer seiner Mitarbeiter war Christoph Rumpf, der im Vorjahr das Abschlussdiplom an der Modeklasse machte und nun sein Studio in die Fashion-Metropole Paris verlegt hat. Für seine Entwürfe aus der Studienzeit hat Rumpf Teppiche und Vorhangstoffe vom Flohmarkt zu opulenten Roben verarbeitet.

Seine eigene Kleidung kauft Rumpf ausschließlich am Flohmarkt und in Secondhand-Geschäften. „Secondhand-Mode ist die nachhaltigste Mode, die es gibt. Die Sachen wurden früher einfach besser produziert. Du findest diese Stoffe teilweise gar nicht mehr. Die Baumwolle ist dicker, die Farben sind besser. Aus dem Grund kaufe ich für meine Arbeit auch Reststoffe aus Lagerbeständen, das sind Stoffe, die nicht nachproduziert werden. Man fördert damit nicht die Produktion, sondern nimmt, was schon da ist.“

Vintage am Puls der Zeit

Für die kommenden Kollektionen, die in größerer Zahl in Produktion gehen sollen, kommen Stoffreste nicht mehr infrage. Materialien wie nachhaltig produzierte Wolle und Baumwolle bieten einen guten Ersatz, so der Modedesigner, der neben dem Aufbau seines Labels noch einen großen Traum hegt: „Mein Ziel ist es, einen Shop zu haben, der gleichzeitig ein Secondhand-Shop ist. Wir gehen zum Flohmarkt, kaufen den Stoff, nähen die Hemden und hängen sie in den Laden. Das macht uns unabhängiger von den großen Einkäufern.“