In einer Zeit, in der ein französischer Ex-Präsident wegen Korruption in Haft muss und sich ein gerade abgewählter US-Präsident einem breiten Portfolio an Klagen und noch mehr Vorwürfen gegenübersieht, hat Elsberg einmal mehr ein hochaktuelles, wenn auch nicht ganz unsperriges Kernthema ins Zentrum seines Romans gerückt: den Internationalen Strafgerichtshof (im Roman in der englischen Version als International Criminal Court mit ICC abgekürzt).
Die zeitliche Verortung von „Der Fall des Präsidenten“ ist in naher Zukunft, nach der Pandemie, vor einer US-Präsidentschaftswahl. Zur Wiederwahl kandidiert ein Demokrat, sein republikanischer Vorgänger Douglas Turner weist – auch abgesehen von den gleichen Initialen – ganz klare Ähnlichkeiten mit Trump auf. Polternd, laut und selbstherrlich, so zeichnet Elsberg seine Titelfigur, die im Rahmen der Handlung aber großteils das bleibt, was Alfred Hitchcock als „McGuffin“ bezeichnete – eine zentrale Figur und doch keine Hauptrolle quasi.
David gegen Goliath
Auf einer Reise nach Griechenland wird Turner in Athen festgenommen, auf Haftbefehl des ICC. Vorgeworfen werden ihm Kriegsverbrechen in Afghanistan, die er in seiner Amtszeit angeordnet haben soll und bei denen Elsberg nach eigenen Angaben die Melange der Politik von George W. Bush, Barack Obama und Trump im Kopf hatte. Ein griechisches Gericht muss klären, ob die Verhaftung rechtmäßig war und eine Auslieferung nach Den Haag, den Sitz des ICC, somit möglich ist.
Und so entspinnt sich ein ungleiches Duell unterhalb der Akropolis: ein riesiges Team an Anwälten und Experten mit offenkundig endlosen Ressourcen im Auftrag der US-Regierung, das für Turners Freilassung kämpft auf der einen Seite. Auf der anderen: Die junge ICC-Juristin Dana Marin, die mit viel Idealismus und wenigen Verbündeten versucht, die Anklage und das Verfahren zu retten.
Whistleblower und Überwachungsstaat
Auf mehreren parallelen Handlungsebenen widmet er sich nicht nur der Arbeit des ICC, seiner Legitimation und der Kritik daran, sondern wirft auch Themen wie Whistleblowing, Datenschutz und Überwachungsstaat auf und führt damit sein bisheriges Erfolgskonzept recht nahtlos fort.
Buchhinweis
Marc Elsberg: Der Fall des Präsidenten. Blanvalet, 609 Seiten, 24,70 Euro.
Mit seinem Stromausfallsapokalypse-Roman „Blackout – Morgen ist es zu spät“ schaffte der in Wien geborene frühere Werbestratege Elsberg den Durchbruch und katapultierte sich mit 1,9 Millionen verkauften Exemplaren alleine im deutschsprachigen Raum an die Spitze der heimischen Bestsellerautoren. Die Idee, aktuelle Bedrohungsszenarien in einer nahen Zukunft ausbrechen zu lassen, behielt er als Grundlage für seine – ebenfalls ausnahmslos als Bestseller gefeierten Werke (2014: „Zero“, 2016: „Helix“, 2019: „Gier“) bei.
Realität und Fiktion verschwimmen
Stets recherchiert Elsberg tief in sein Thema hinein, so tief, dass er nicht nur für Romanlesungen, sondern auch als Experte für Energiesicherheit, Resilienz und Datensicherheit gebucht wird. Für seine Leserinnen und Leser bedeutet das bei „Der Fall des Präsidenten“, dass er ein eigentlich eher sperriges Thema – internationales Strafrecht – auch für Laien verständlich aufbereitet.
Und auch wenn die von ihm konsultierten Experten in dem entworfenen Szenario kaum reale Wahrscheinlichkeit sehen, wie Elsberg im APA-Interview zugab – die Verwebung von Realität und Fiktion funktioniert so gut, dass die Grenzen verschwimmen. Aus der Werkstatt des Thrillerprofis ist damit der nächste Pageturner entlassen, der seine Fans kaum enttäuschen dürfte.