Tunesien: Größter Protest seit Jahren

Anhänger und Anhängerinnen der stärksten Partei Tunesiens haben sich heute in Tunis zu einem der größten Proteste seit Jahren versammelt. Laut Augenzeugen zogen Tausende Anhänger der islamisch-konservativen Ennahda aus verschiedenen Teilen des Landes durch die Hauptstadt. Sie forderten „nationale Einheit“ und „politische Stabilität“, wie die Staatsagentur TAP berichtete. Die Partei hatte für heute zum „Marsch zur Verteidigung demokratischer Institutionen“ aufgerufen. Die Proteste blieben vorerst friedlich.

Demonstration in Tunis
AP/Hassene Dridi

Hintergrund des Protests ist eine sich zuspitzende politische Krise in dem kleinen Mittelmeer-Land. Präsident Kais Saied weigert sich dabei, einer von Ministerpräsident Hichem Mechichi vorgeschlagenen Umbildung des Kabinetts zuzustimmen. Das Parlament hat diese bereits abgesegnet. Der Konflikt lähmt die Regierung, die neben der Coronavirus-Pandemie auch mit einer schweren Wirtschaftskrise ringt.

Schwere wirtschaftliche Probleme

Das tunesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte 2020 um schätzungsweise 8,2 Prozent – nach Angaben des Internationalen Währungsfonds der stärkste Abschwung seit der Unabhängigkeit Tunesiens im Jahr 1956. Die Arbeitslosigkeit lag im letzten Quartal des vergangenen Jahres bei rund 17 Prozent.

In den vergangenen Wochen war es in Tunesien bereits zu mehreren Protesten gegen die Regierung gekommen, die sich unter anderem gegen Korruption und Polizeigewalt richteten. Dabei wurden dem Innenministerium zufolge Hunderte Menschen festgenommen. Tunesien hat als einziges Land der arabischen Welt nach den Aufständen von 2011 den Übergang in die Demokratie geschafft. Es kämpft aber weiter mit schweren wirtschaftlichen Problemen und sozialen Unruhen.

Mit dem Marsch von heute scheint die Ennahda-Partei ihre Macht demonstrieren und Mechichi stärken zu wollen. Tunesien habe über mehrere Monate „unverantwortliches Verhalten“ erlebt, das den „demokratischen Prozess stören“ solle, schrieb die Partei in ihrem Aufruf zum Marsch. In der Bevölkerung sei eine „Atmosphäre von Zweifel und Unsicherheit“ mit Blick auf staatliche Einrichtungen entstanden.