Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan.
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Regierungsgebäude gestürmt

Armeniens Premier bereit zu Neuwahlen

Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan hat seine Bereitschaft zu Neuwahlen erklärt. „Lasst uns wählen und sehen, wessen Rücktritt die Menschen fordern“, sagte der Ministerpräsident am Montag bei einer Versammlung Tausender Unterstützer in der Hauptstadt Eriwan. Zuvor waren regierungskritische Demonstranten kurzzeitig in ein Regierungsgebäude eingedrungen.

Paschinjan gestand Fehler während des bewaffneten Konflikts mit dem Nachbarland Aserbaidschan im vergangenen Jahr ein. Doch nur das Volk könne entscheiden, „wer an der Macht bleibt“, sagte er. Er sei bereit, den oppositionellen Parteien eine zweite Chance einzuräumen, ihn in einer Wahl zu besiegen.

Zuvor sorgte der Sturm eines Regierungsgebäudes für Aufsehen: Nach einer kurzen Protestaktion verließen die Demonstranten am Montag das Regierungsgebäude ohne Zwischenfälle wieder, wie eine Reporterin der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Die Polizei habe nicht eingegriffen. Armenien befindet derzeit in einem offenen Machtkampf zwischen Militär und Regierung. Am Donnerstag hatte Paschinjan eine Rücktrittsforderung der Armee noch abgelehnt und von einem Putschversuch gesprochen. Zehntausende Unterstützer des Regierungschefs, aber auch der Opposition versammelten sich daraufhin in Eriwan, wie eine AFP-Reporterin berichtete.

Paschinjan hatte am Donnerstag die Entlassung des Generalstabschefs Onik Gasparjan bekanntgegeben, dessen Büro die Rücktrittsforderung des Militärs an Paschinjan veröffentlicht hatte. Zuvor hatte Paschinjan bereits den stellvertretenden Stabschef der Streitkräfte, Tigran Chatschatrjan, entlassen. Dieser hatte sich über Äußerungen Paschinjans lustig gemacht, die im jüngsten Konflikt um Bergkarabach von Russland gelieferten Iskander-Raketen hätten versagt.

Von Russland vermittelter Waffenstillstand als Auslöser

Der Generalstab warf Paschinjan umgehend vor, Chatschatrjan aus rein „persönlichen Gefühlen und Ambitionen“ entlassen zu haben. Der Ministerpräsident und seine Regierung seien „nicht in der Lage, angemessene Entscheidungen zu treffen“, hieß es in der Mitteilung. Staatspräsident Armen Sarkisjan rief beide Seiten zur Zurückhaltung auf. Politischer Kampf dürfe die „Grenzen des Gesetzes nicht überschreiten“, forderte das Staatsoberhaupt. Er dürfe nicht zu „Schock und Instabilität“ führen.

Am Samstag verweigerte Sarkisjan die von Paschinjan geforderte Entlassung von Gasparjan. Am Samstag demonstrierten erneut Tausende Oppositionsanhänger mit armenischen Flaggen vor dem Parlament. Die Tausenden Demonstranten und Demonstrantinnen forderten ebenfalls den Rücktritt Paschinjans.

Bild zeigt Polizisten und Demonstranten in Eriwan.
APA/AFP/Karen Minasyan
Die Demonstration der Opposition wird von der Polizei begleitet wie hier am Freitag

Seit der Unterzeichnung des von Russland vermittelten Waffenstillstands mit dem benachbarten Aserbaidschan im jahrzehntelangen Konflikt um Bergkarabach im November ist Armenien in Aufruhr. Das Abkommen zwischen den verfeindeten Nachbarstaaten beendete mehrwöchige schwere Kämpfe und hatte für Armenien bedeutende Gebietsverluste und den Verlust der Kontrolle über Bergkarabach zur Folge. Während der Kämpfe wurden nach Angaben beider Seiten etwa 6.000 Menschen getötet.

2018 an die Macht gekommen

Der Konflikt selbst ist schon jahrzehntealt. Aserbaidschan verlor in einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren die Kontrolle über das Gebiet mit etwa 145.000 Bewohnern, überwiegend Armenier. Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe. Aserbaidschan berief sich in dem neuen Krieg auf das Völkerrecht und suchte immer wieder die Unterstützung seines „Bruderstaates“ Türkei. Armenien wiederum setzte auf Russland als Schutzmacht.

Paschinjan war 2018 an die Macht gekommen. Wochenlange Massenproteste führten damals zu einem friedlichen politischen Umbruch. Bei der ersten international als fair und frei bewerteten Wahl in der früheren Sowjetrepublik übernahm das aus der Protestbewegung hervorgegangene Bündnis Mein Schritt von Paschinjan mit absoluter Mehrheit ausgestattet die Macht. Die Republikanische Partei, die bis dahin seit 1995 die Machthebel in der Hand gehabt hatte, flog aus dem Parlament.

BIld zeigt Demonstranten in Eriwan.
APA/AFP/Karen Minasyan
Dicht gedrängt stehen Demonstranten in Eriwan

Auch Österreich beunruhigt

Österreich reagierte auf die neue Entwicklung beunruhigt. Das Außenministerium äußerte sich am Montag in einem Tweet „sehr besorgt“ über die Berichte. „Wir fordern alle Seiten auf, ruhig zu bleiben und sich in maximaler Zurückhaltung zu üben. Alle politischen Differenzen müssen im Dialog beigelegt werden“, schrieb das Außenministerium am Montag.

Die NATO forderte ebenfalls bereits letzte Woche die politischen Lager im Partnerland Armenien zu einer friedlichen Lösung des aktuellen innenpolitischen Konflikts auf. „Es ist wichtig, alle Worte und Taten zu vermeiden, die zu einer weiteren Eskalation führen könnten“, teilte Bündnissprecherin Oana Lungescu mit.