Enges, spannendes Hemd
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Hohes Risiko

CoV und Fettleibigkeit als Doppelkrise

Derzeit treffen zwei Gesundheitskrisen aufeinander: Weltweit wird zunehmend gegen krankhaftes Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) gekämpft, auch in Österreich steigt die Zahl an Übergewichtigen und Personen mit Adipositas seit Jahren. Fatal ist nun, dass Betroffene im Falle einer Covid-19-Erkrankung besonders gefährdet sind. Sie erkranken schwerer, müssen häufiger auf die Intensivstation und künstlich beatmet werden – und das gerade auch in jungen Jahren, wie Medizinerinnen gegenüber ORF.at schildern.

Die Erfahrung der letzten Monate habe deutlich gezeigt, dass vor allem Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 kg/m2 – und damit der Diagnose Adipositas bzw. Fettleibigkeit – ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe haben. Weniger gut erforscht sind Krankheitsverläufe bei einem BMI zwischen 25 und 29,9, der als Übergewicht klassifiziert wird. Auch hier zeige sich in ersten Studien ein erhöhtes Risiko, der „große Sprung“ finde aber bei einem BMI von mehr als 30 statt, so Marie-Kathrin Breyer, Internistin an der Lungenabteilung der Klinik Penzing in Wien und Leiterin der epidemiologischen Beobachtungsstudie LEAD.

Dafür verantwortlich sind laut Breyer mehrere Faktoren: „Personen mit Adipositas haben aufgrund der höheren Körpermasse mehr viszerales Fettgewebe. Dieses Bauchfett führt dazu, dass das Zwerchfell die Atmung behindert und die Lunge nicht mehr ausreichend Platz hat, um sich auszudehnen. Fettleibige Personen sind deswegen für eine verminderte Lungenfunktion besonders anfällig.“ Das viszerale Fettgewebe produziere zudem Entzündungszellen in großen Mengen, was bei fettleibigen Personen zu einem chronischen Entzündungszustand und damit einem geschwächten Immunsystem führe.

Intensivstation des Universitätsklinikums Tulln
APA/Helmut Fohringer
Schwere Verläufe, häufigere Hospitalisierung, schwierigere Behandlung: Menschen mit Adipositas gehören zur Risikogruppe

Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Enzym ACE2. Dieses hat in der Pandemie eine zweischneidige Rolle: Einerseits erfüllt es im Körper zahlreiche wichtige Funktionen und hat viele positive Effekte, es ist etwa für die Gefäßdurchgängigkeit zuständig. Andererseits dient es als „Andockstelle“ für das Virus SARS-CoV-2. Dieses hemmt die positive Wirkung, was wiederum zu Thrombosen, Lungen- oder Herzinfarkten führen kann. Diese können dann auch Todesursache sein. Fatal dabei: Je mehr Fettgewebe, desto mehr ACE2. „Das ist ein wesentlicher Faktor, mit dem wir in den Kliniken zu tun haben“, so Breyer.

Schwierige Behandlung, Probleme mit „Long Covid“

Ähnliches schildert die Internistin Bianca Itariu, Leiterin der Adipositas-Ambulanz der MedUni Wien. Bereits im Frühjahr habe sich in den Intensivstationen gezeigt, dass insbesondere bei jüngeren Personen Adipositas ein entscheidender Risikofaktor ist. Die Krankheit wirke sich auch auf die Behandlung aus: Patientinnen und Patienten bräuchten eher ein Intensivbett, was gerade bei hochgradiger Adipositas die Behandlung erschwere: „Die Beatmung ist schwieriger, die Umlagerung ist schwieriger“, so Itariu.

Weltweites Problem

Laut Erhebungen der WHO hat sich der Anteil von Menschen mit Übergewicht seit 1975 weltweit fast verdoppelt. Damals waren nur 22 Prozent übergewichtig, 2016 waren es 39 Prozent.

In der Adipositas-Ambulanz beobachte sie nun auch, dass Patienten und Patientinnen bei einer überstandenen Covid-19-Erkrankung erheblich mit „Long Covid“ zu kämpfen hätten. Eine neue Erkrankung, „wo noch einiges auf uns zukommen wird“, so Itariu. Umso wichtiger sei es daher für gefährdete Personen, sich so gut wie möglich zu schützen und bei ihrer Erkrankung gegenzusteuern. Zudem sei es wichtig, dass Adipositas-Erkrankte sich impfen lassen. Sie werden auch im Impfplan als Risikogruppe geführt, allerdings erst ab einem BMI von 40 – was laut den Expertinnen zu hoch angesetzt ist.

Vier Vorerkrankungen als Risiko

Den Zusammenhang zwischen Covid-19 und Adipositas untermauern zahlreiche Studien aus den USA, auch eine Antikörperstudie für Wien habe einen Zusammenhang zwischen Covid-19 und Adopisitas sowie Diabetes gezeigt. Große Beachtung fand dabei zuletzt eine US-Studie, laut der ein Großteil der schweren Verläufe mit vier Vorerkrankungen zusammenhängt: Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes und Herzinsuffizienz. Ohne diese Risikofaktoren könnten mehr als 60 Prozent der Spitalsaufenthalte vermieden werden, so die Studie. Es sind Erkrankungen, die oft einen engen Zusammenhang mit Adipositas haben und sich begünstigen: „Oft stellt sich die schwierige Frage, wo welche Krankheit anfängt und wo die andere aufhört“, so Breyer.

Gefährdet ist jedenfalls auch in Österreich eine beträchtliche Zahl an Menschen. Bereits die Hälfte der über 15-Jährigen in Österreich gilt laut der Gesundheitserhebung der Statistik Austria als übergewichtig oder adipös. Präzisere Daten finden sich in der von Breyer geleiteten epidemiologischen LEAD-Studie, die die Entwicklung der Lungengesundheit in der österreichischen Bevölkerung über die gesamte Lebensspanne erforschen will. Ihr zufolge leiden 13 Prozent der Menschen in Österreich unter Adipositas. Rechnet man Übergewicht bzw. einen BMI von 25 bis 29,9 dazu, ist rund die Hälfte der Bevölkerung betroffen. Das sind zwar noch keine US-Verhältnisse, die Entwicklung ist aber hochgradig bedenklich – vor allem bei Schulkindern.

Lockdown mit Risiken und Chancen

Der Lockdown habe die Situation auch verschärft: Homeoffice und Home-Schooling, weniger Bewegung, ungesünderes Essen sorgten bei vielen für mehr Kilos. Vor allem für Kinder seien Turnunterricht und Toben auf Schulhof oder Spielplatz zu lange ausgefallen. Auch der Betrieb auf den Adipositas-Ambulanzen musste während der Lockdowns zurückfahren. Geholfen habe laut den Expertinnen in dieser Zeit die Telemedizin, die laut Itariu nicht zuletzt in den Bundesländern sehr gut aufgenommen wurde. Dadurch sei es möglich gewesen, regelmäßig Werte zu kontrollieren und den Kontakt mit den Patientinnen und Patienten aufrechtzuerhalten. Das Projekt Telemedizin soll auch weitergeführt und ausgebaut werden, so Itariu.

Geschlossener Sportplatz im April 2020
APA/Hans Punz
Der Sport-Lockdown hatte für viele negative Auswirkungen

Handlungsbedarf sehen die Medizinerinnen nun aber auch an anderen Fronten. Die Erkenntnisse aus der Coronavirus-Pandemie sollten dazu genutzt werden, um mehr Licht auf die Risiken durch Übergewicht und Adipositas zu werfen. Itariu verweist auf Großbritannien, wo angesichts der Pandemie ein eigener Übergewichtsaktionsplan angekündigt wurde. Die Pandemie sollte endgültig als Anlass genommen werden, um die Adipositas-Prävention ernster und mehr Geld in die Hand zu nehmen, so die Medizinerinnen.

„Mehr als gesellschaftlich relevant“

Dabei gelte es, Tempo zu machen und endlich ins Handeln zu kommen. Die Problematik, ihre Risiken für die Gesundheitssysteme und das Wohlbefinden einzelner seien seit Jahrzehnten bekannt, nach wie vor passiere viel zu wenig. „Das Thema ist mehr als gesellschaftlich relevant, wenn nicht bald etwas passiert, haben wir immer gravierendere Probleme“, warnt Breyer. Diese zeichnen sich schon jetzt ab. Jährlich sterben derzeit etwa 2,8 Millionen Menschen an den Folgen von Fettleibigkeit. Zum Vergleich: In der Coronavirus-Pandemie starben im Vorjahr rund zwei Millionen, an Krebs etwa zehn Millionen Menschen.

Es brauche mehr Anlaufstellen und eine bessere Langzeitbegleitung. Adipositas sei eine Erkrankung, die „nicht innerhalb von wenigen Wochen geheilt ist“, so Breyer. Itariu plädiert für mehr Therapieangebote im niedergelassenen Bereich. Aktuell sei es schwierig, eine Diätberatung als Kassenleistung zu kriegen, auch der Zugang zu Therapien wie dem Magenbypass sei erschwert. Obwohl es mittlerweile Medikamente mit guter Wirksamkeit gebe, würden medikamentöse Therapien von den Krankenkassen aktuell nicht erstattet. Grundsätzlich, so Itariu, Adipositas solle als „normale chronische Erkrankung gesehen werden. Darüber muss man weder schimpfen noch lachen noch urteilen, sondern Lösungen finden.“