Eine Dose AstraZeneca
APA/AFP/Fred Scheiber
AstraZeneca-Vakzin

Zurückhaltung und Rückstau

In Österreich wird das AstraZeneca-Vakzin vom Nationalen Impfgremium weiterhin nur für Personen unter 65 Jahren empfohlen – „bei logistischen Problemen“ können aber Ausnahmen gemacht werden. Ähnlich ist die Situation in Deutschland, hier kommt aber noch dazu, dass derzeit Hunderttausende Dosen ungenutzten Impfstoffs auf Lager liegen.

Vor einer Woche hatte Ursula Wiedermann-Schmidt, wissenschaftliche Leiterin des Nationalen Impfgremiums, in der ZIB gesagt, den Coronavirus-Impfstoff von AstraZeneca auch für über 65-Jährige zulassen zu wollen. Es gebe mittlerweile wissenschaftliche Belege, dass der Personengruppe auch mit diesem Serum ausreichender Impfschutz geboten werde.

Einigermaßen überraschend erfolgte am Montag daher die Bekanntgabe des Gesundheitsministeriums, das Vakzin vorerst weiter nur unter 65-Jährigen zu verimpfen – dem vorangegangen war eine Empfehlung des Impfgremiums, das vorliegende Daten über die Wirksamkeit von AstraZeneca reevaluiert hatte.

Anschober: Warten auf Studien

Die Sicherheits- und Immunogenitätsdaten des Impfstoffs seien bei Personen über 65 Jahren zwar vergleichbar gut wie bei Jüngeren. Die Wirksamkeitsdaten würden sich allerdings auf kleinere Probandengruppen und weniger Erkrankungsfälle in der Studienpopulation beziehen.

„Basierend auf nur sehr wenigen Erkrankungsfällen sind zum jetzigen Zeitpunkt daher noch keine verlässlichen Aussagen zur Wirksamkeit dieses Impfstoffs für Menschen über 65 möglich“, hieß es. Gesundheitsminister Rudolf Anschober sagte Montagabend in der ZIB2, dass man für eine Entscheidung noch auf eine Approbation mehrere Studien zum AstraZeneca-Impfstoff warte. Er rechne damit, dass dieser Prozess bis Ostern abgeschlossen sein werde.

Anwendung bei „logistischen Problemen“ gestattet

Bis zum Vorliegen weiterer Daten empfiehlt das Impfgremium somit, die bevorzugte Verwendung der hierzulande verfügbaren mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna bei über 65-Jährigen sowie bei Hochrisikopatienten gemäß der Priorisierungsliste aufrechtzuerhalten – mit einer Einschränkung: „Bei logistischen Problemen in der Impfanwendung mit den mRNA-Impfstoffen spricht nichts gegen eine Anwendung des Impfstoffes von AstraZeneca bei Menschen über 65.“

Dem ramponierten Ruf von AstraZeneca dürfte die Entscheidung des Impfgremiums nicht entgegenwirken. Immerhin aber lässt sich die aus einigen europäischen Ländern gemeldete Scheu, sich mit dem Vakzin impfen zu lassen, aus den österreichischen Zahlen nicht ablesen – auch wenn es am Sonntag etwa aus Niederösterreich hieß, dass von den 54.000 Impfterminen, die am Freitag freigegeben wurden, noch etwa 20.000 verfügbar wären. Impfkoordinator Christof Constantin Chwojka begründete das gegenüber ORF NÖ mit einem bewussten Taktikwechsel bei der Anmeldung.

Laut Gesundheitsministerium wurden bisher 156.000 Dosen ausgeliefert und bis inklusive Sonntag fast 93.000 davon verimpft. In Summe liegt der schon deutlich länger verfügbare Impfstoff von Biontech/Pfizer (mit 596.000 gelieferten und 544.000 verimpften Dosen) allerdings voran. Am seltensten zum Einsatz kommt der Impfstoff von Moderna (73.200 Dosen geliefert, 20.343 verimpft).

Hunderttausende Dosen lagern in Deutschland

Indessen wächst in Deutschland der Stau an bereits vorhandenem Impfstoff. Bis Donnerstag sollen knapp 1,1 Millionen Dosen von AstraZeneca geliefert werden, insgesamt erhöht sich die Liefermenge damit auf fast 3,2 Millionen, wie aus Zahlen des Gesundheitsministeriums in Berlin hervorgeht. Bis einschließlich Sonntag haben nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) aber nur rund 455.000 Menschen eine Impfung mit AstraZeneca erhalten.

Trotz großer Mengen zunächst ungenutzten Impfstoffs will die deutsche Regierung das Präparat nicht für Impfungen jenseits der festgelegten Vorranggruppen freigeben. Eine grundsätzliche Freigabe verfolge die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt nicht, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte zuletzt eine weniger starre Priorisierung für AstraZeneca ins Gespräch gebracht, um den Rückstand möglichst schnell abzubauen.

Warum sich die AstraZeneca-Impfstoffe in den Kühlschränken der Impfzentren stapeln, ist seit Tagen unklar. Die deutsche Bundesregierung stellte sich am Montag dem Eindruck entgegen, dass Impfstoff einfach ungenutzt liegen bleibe. Es könne unterschiedliche Gründe geben, warum AstraZeneca-Impfstoff noch nicht verimpft sei, sagte Seibert. So könne Impfstoff erst relativ frisch geliefert worden sein, für eine zweite Impfung zurückgehalten werden oder noch nicht verimpft, aber für bestimmte Impfungen vorgesehen sein.

Merkel lehnt öffentliche Impfung ab

Andere suchen den Grund in einer ablehnenden Haltung vieler Menschen dem Präparat gegenüber – auch wenn sich Expertinnen und Experten laufend bemühen, Zweifel an der Wirksamkeit zu zerstreuen. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, brachte am Wochenende den Vorschlag auf, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) soll sich live im Fernsehen mit dem Präparat impfen lassen. Das soll der Skepsis gegen den Impfstoff entgegenwirken, wie er der britischen BBC sagte.

Es sei bereits abzusehen, dass die Ständige Impfkommission (STIKO) das Vakzin auch für die über 65-Jährigen empfehlen werde, so Watzl. Für diese Gruppe ist es mangels Studiendaten derzeit noch nicht zugelassen. „Wenn Angela Merkel zu diesem Zeitpunkt ins Livefernsehen gehen würde und mit dem Impfstoff geimpft würde, wäre das natürlich großartig“, so der Immunologe. Der AstraZeneca-Impfstoff habe ein reines PR-Problem.

Merkel selbst lehnt das aber ab. Regierungssprecher Seibert hielt fest, Merkel habe immer wieder gesagt, sie lasse sich dann impfen, wenn sie an der Reihe sei. Merkel sei zudem 66 Jahre alt, und derzeit sei der Impfstoff nur für unter 65-Jährige empfohlen, so Seibert. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hingegen würde sich „sofort mit AstraZeneca impfen lassen“, wie er am Montag sagte. Sowohl Seibert als auch Müller wiesen auf die Sicherheit des Impfstoffs hin.

Frankreich weitet Anwendung von AstraZeneca aus

Die französische Regierung weitete indes die Anwendung des AstraZeneca-Impfstoffes aus. Auch Menschen in der Altersgruppe 65 bis 75 Jahre können nun diesen Impfstoff erhalten, falls sie beispielsweise an Diabetes oder Bluthochdruck leiden. Von der Ausweitung seien potenziell rund 2,5 Millionen Franzosen betroffen.

Das kanadische Nationale Beratungskomitee für Impffragen sprach sich indes gegen eine Vergabe des AstraZeneca Impfstoffes an über 65-Jährige aus. Es gebe keine ausreichenden Informationen über die Wirksamkeit in dieser Bevölkerungsgruppe, heißt es zur Begründung.

Vakzine bei älteren Menschen „hochwirksam“

Laut Daten der britischen Gesundheitsbehörde erwiesen sich sowohl die Vakzine von Pfizer/Biontech als auch von AstraZeneca als „hochwirksam“ – auch bei älteren Menschen. Demnach wurde die Zahl der Krankenhauseinweisungen durch eine erste Dosis mit einem der beiden Vakzine drei bis vier Wochen nach der Impfung um 80 Prozent verringert. Das sei eine „extrem gute Nachricht“, sagte der britische Gesundheitsminister Matt Hancock.