Joseph Beuys, Hirschkuh / Dreibein frisst Gras, 1979
Sammlung Ph. Konzett, Wien, Foto: Pixelstorm, Wien / Bildrecht, Wien 2021
Belvedere 21

Es ist ein Beuys entsprungen

Für die einen war er ein Kunstrevolutionär, für die anderen ein Scharlatan: Zu seinem 100. Geburtstag wird der Künstler Joseph Beuys (1921–1986) international mit Dutzenden Präsentationen gewürdigt. Hierzulande war es lange still um den Erfinder der „sozialen Plastik“, obwohl er in Österreich sehr aktiv war. Das Belvedere 21 eröffnet nun den Reigen des Jubiläumsjahrs mit der Schau „Joseph Beuys. Denken. Handeln. Vermitteln“. Schwerpunkte bilden die Tiersymbolik und der Wien-Bezug des Bildhauers.

Was ranken sich nicht alles für Mythen um Joseph Beuys. Bis heute werden abstruse Geschichten wie jene überliefert, dass er unter seinem Filzhut eine Silberplatte im Kopf trug. Diese sei ihm nach seinem Flugzeugabsturz 1944 eingesetzt worden. In Wahrheit kam der 22-jährige Bordfunker der deutschen Luftwaffe mit leichten Verletzungen glimpflich davon.

Freilich war Beuys auch selbst ein großer Mythologe seiner Kunst: In einem Interview mit der BBC erzählte er einmal von Nomaden, die ihn nach seinem Absturz auf der Krim gerettet, in Filzdecken gehüllt und seine Wunden in der Tradition des Naturvolks mit Honig und Fett geheilt hätten. Beuys wollte mit dieser Legende die Herkunft seiner ungewöhnlichen Materialien erklären. In kritischen Biografien wurde „der deutscheste Künstler der Deutschen“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“) später der Lüge in Bezug auf seine NS-Vergangenheit bezichtigt.

Honigschläuche im Museum

Auf dem Boden des Belvedere-21-Erdgeschoßes stehen nun alte Blechkübel, daneben liegen Plastikschläuche mit braunen Flüssigkeitsresten. Auch alte Maschinen gehören zum Ensemble „Die Honigpumpe am Arbeitsplatz“. 1977 zeigte Beuys sie zum ersten Mal, als er sich 100 Tage lang in der Ausstellung der Documenta 6 in Kassel aufhielt und dort mit dem Publikum über Kunst und Leben diskutierte.

Fotostrecke mit 8 Bildern

Joseph Beuys, Honigpumpe am Arbeitsplatz, 1974-1977
Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek, Dänemark, Dauerleihgabe: Museumsfonden af 7 December, 1966 / Bildrecht, Wien 2021
Joseph Beuys, „Honigpumpe am Arbeitsplatz“, 1974–1977
Joseph Beuys während seines Vortrags in der Galerie nächst St. Stephan am 4. April 1979
Foto: Gerhard Kaiser, Archiv Gerhard Kaiser
Joseph Beuys während seines Vortrags in der Galerie nächst St. Stephan am 4. April 1979
Joseph Beuys, Das Erdtelefon, 1968
Joseph Beuys Estate / Bildrecht Wien, 2021, Foto: Marcus Leith, Collection Thaddaeus Ropac, London/Paris/Salzburg
Joseph Beuys, „Das Erdtelefon“, 1968
Joseph Beuys, Basisraum Nasse Wäsche, 1979
Mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung, seit 1981 / Bildrecht, Wie
Joseph Beuys, „Basisraum Nasse Wäsche“, 1979
Joseph Beuys, Katalog Museum Mönchengladbach, 1967
Sammlung Ph. Konzett, Wien, Foto: Pixelstorm, Wien / Bildrecht, Wien 2021
Joseph Beuys, „Katalog Museum Mönchengladbach“, 1967
Joseph Beuys, Wegweiser für den Khan, 1963
Sammlung Ph. Konzett, Wien, Foto: Pixelstorm, Wien / Bildrecht, Wien 2021
Joseph Beuys, „Wegweiser für den Khan“, 1963
Joseph Beuys, Ohne Titel (Friedrichshof), 1983
Privatsammlung / Bildrecht, Wien 2021
Joseph Beuys, „Ohne Titel (Friedrichshof)“, 1983
Joseph Beuys, Gib mir Honig, 1979
Sammlung Ph. Konzett, Wien, Foto: Pixelstorm, Wien / Bildrecht, Wien 2021
Joseph Beuys, „Gib mir Honig“, 1979

Es fanden auch Workshops seiner „Free International University“ statt, die der Künstler nach seinem Rauswurf als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf fünf Jahre zuvor gegründet hatte. Als Metapher für diesen kommunikativen Austausch ließ Beuys 150 Liter Honig in einem Schlauchsystem durch das Kasseler Museum Fridericianum zirkulieren.

Gedränge um Beuys-Werke

„Es ist ein Wunder, dass wir diese Installation bekommen konnten“, freut sich Belvedere-Kurator Harald Krejci im Interview mit ORF.at über die Leihgabe aus Dänemark. Das Gedränge um die Werke des Jubilars war zuletzt riesig. Allein in Nordrhein-Westfalen eröffnen im Rahmen des Projekts „Beuys 2021“ rund 25 Ausstellungen.

Der Schamane der Kunst: 100 Jahre Joseph Beuys

Mit Fett und Filz revolutionierte er die Welt der Kunst, mit Aussagen wie „Jeder ist ein Künstler“ provozierte er die Gesellschaft und reklamierte für sich, Leben und Werk nicht zu trennen.

Im Belvedere 21 hängt auch eine Bleistiftskizze zur „Honigpumpe“ aus der Sammlung des Wiener Galeristen Philipp Konzett. Der sendungsbewusste Künstler hat darauf in seiner markanten Handschrift Begriffe wie „Bewegung“, „Energie“ und „Neue Empfindung“ vermerkt. „Die Zeichnungen, die Installation, sein Engagement auf der Documenta und die Relikte davon, das gehört bei Beuys alles untrennbar zusammen“, erklärt Kurator Krejci.

Leise Innerlichkeit statt laute Gesten

Honig kam auch bei der legendären Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ 1965 zum Einsatz. Damals strich sich der Mann mit der Anglerweste Kopf und Gesicht klebrig ein und legte Blattgold darauf. Mit einem ausgestopften Hasen im Arm ging er murmelnd durch die Galerie. Die Vernissagencrowd konnte die Performance nur von außen durch die Fenster sehen.

Portrait von Joseph Beuys (1921-1986), Paris, 1985
Laurence Sudre/Bridgeman Images
Joseph Beuys, hier in einer Aufnahme von 1985 in Paris, gilt als Deutschlands einflussreichster Künstler

Trotz dieses Abstands hinterließ Beuys’ Auftritt tiefen Eindruck und machte ihn schnell bekannt. Im Gegensatz zu den agitatorischen Aktionen der Fluxus-Künstler, bei denen Klaviere und die Sprache zertrümmert wurden, setzte Beuys auf Innerlichkeit und Aura. Der Hase als fruchtbares, flinkes Fluchttier hoppelte auch in den beiden Jahrzehnten danach immer wieder durch sein Werk. Nicht zuletzt wird auch der Stetson-Hut, das Erkennungszeichen des Künstlers, aus Hasenhaaren gefilzt.

Tiere als Leitmotiv

„Tiere sind ein Leitmotiv der Ausstellung“, sagt der Kurator zur Überblicksschau im Belvedere 21. Als eine der frühesten Arbeiten hängt dort der 1948 entstandene Holzschnitt „Hirschkuh“. Im Gegensatz zu den Ölbildern von röhrenden Hirschen, die zu jener Zeit biedere deutsche Stuben schmückten, erinnern die Drucke, Zeichnungen und Pastelle des jungen Beuys an Höhlenbilder aus der Steinzeit.

Es ist faszinierend zu sehen, wie sich diese archaische Ästhetik des jungen Kunststudenten bis zum 1982 entstandenen Spätwerk „Hirschdenkmäler“ durchzieht, das ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. „Sie stehen hier wie auf einer Lichtung“, erklärt Krejci zur Ansammlung länglicher Lehmgebilde, die eher wie die Überreste kleinerer Tiere aussehen.

Beuys hat dafür Werkzeuge in Ton gegossen. Die Installation hat etwas von einer kultischen Opferstelle, an der vielleicht germanische Riten ausgeführt wurden. Im Christentum fungiert der Hirsch mit Kreuz im Geweih oft als rettendes Symbol.

Beuys mit Wien-Bezug

Kurator Krejci verweist auf die politischen Hintergründe des Kalten Krieges während der 1980er Jahre, als in Deutschland heftig über die Aufstellung von NATO-Pershing-Raketen gestritten wurde. Dass ein Atomkrieg die Menschheit wieder zurück in eine Steinzeit befördern könnte, führten damals dystopische Filme wie „The Day After“ (1983) vor Augen.

Joseph Beuys, Baumbepflanzung im Garten und vor der Hochschule für angewandte Kunst, 1983
Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv, Inv.Nr. 16.102/1/FP / Foto: Philippe Dutartre
Ökopionier Joseph Beuys bei der Baumpflanzung im Garten vor der Wiener Hochschule für angewandte Kunst, 1983

Während von Beuys’ kapitalismuskritischem Aktivismus und seinem Einsatz für direkte Demokratie in der jetzigen Schau wenig zu erfahren ist, führt sein Modell von „Eurasia“ nach Wien. Bereits im Sommer 1967 trat der Künstler in der Galerie nächst St. Stephan mit der Aktion „Eurasienstab 82 min fluxorum organum op. 39“ auf. Die Galerie wurde damals vom Dompfarrer Monsignore Otto Mauer geleitet, der den deutschen Künstler förderte.

Ost und West versöhnen

Beuys trat mit Filzdecke und einem hohen Kupferstab in der Hand wie ein Hirte auf. Der begeisterte Anhänger von Rudolf Steiner folgte den Vorstellungen des Anthroposophen, dass der „Westmensch“ von der Vernunft dominiert sei, während der „Ostmensch“ primär seiner Intuition vertraue. Diese Gegensätze wollte Beuys symbolhaft versöhnen. Dafür griff er wie einst Steiner zur Schultafel und zeichnete mit Kreide kryptische Diagramme auf.

Ausstellungshinweis

„Joseph Beuys. Denken. Handeln. Vermitteln“, von 4. März bis 13. Juni im Belvedere 21, dienstags bis sonntags 11.00 bis 18.00 Uhr.

Den schweren Metallstab, den Beuys bei der Aktion auch in die jeweiligen Himmelsrichtungen schwenkte, begriff der Künstler als Wärmeleiter, der Energie in die erstarrten, „kalten“ Beziehungen bringen sollte. Für den Wärmeaustausch schmierte sich der durchaus humorvolle Beuys auch Fett in die Kniekehle und gab später eine Postkartenedition mit der Aufschrift „Ich denke sowieso mit dem Knie“ heraus.

Voll im Ökotrend

Seit der Jahrtausendwende ist das Interesse an Magie, Initiationsriten, Kosmologie und Naturmythen in der zeitgenössischen Kunst wieder stark gestiegen. Dieser Trend wird mit einer ökologischen Rückbesinnung und einem Überdruss an der Konsumgesellschaft in Verbindung gebracht. So verwundert es nicht, dass sich die Kunsthalle Krems 2008 in der einzigen größeren Retrospektive hierzulande dem Thema „Joseph Beuys Schamane“ gewidmet hat.

Im Wiener mumok kann derzeit Andy Warhol wiederentdeckt werden, um den es ebenfalls zwei Jahrzehnte still war und dessen Oeuvre jetzt in Bezug auf Gender-Identitäten neu befragt wird. Im Belvedere 21 lässt sich entdecken, wie viel ökologische Sensibilität schon rund 60 Jahre vor „Fridays for Future“ poetisch zum Ausdruck gebracht wurde. Gründlich entstaubt, taugt Beuys’ alter Hut immer noch hervorragend für eine alternative Weltsicht.