Eine blinde Person tippt auf einem Computer mit Blindenschrift
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CoV-Krise legt Barrieren offen

Die Rückkehr zur Normalität ist das Ziel. Dafür braucht es auch das Internet, das im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie noch weiter in das Zentrum des Alltags gerückt ist. Pläne und Informationen über Maßnahmen befinden sich auf Websites, für Test- und Impftermine kann man sich online anmelden. Doch nicht wenige Personen stehen vor Barrieren.

Der Föderalismus des heimischen Impfmanagements schlägt sich unter anderem in neun Anmeldeplattformen und einer Website, die auf die Länderstellen verweist, nieder. Daneben lassen sich noch zig Websites für Tests und weiteren Informationen finden. Wer sich für eine Impfung oder für einen Test registrieren will, kann sich im Internet informieren und sich auf der entsprechenden Seite des jeweiligen Bundeslandes anmelden. Jedoch gibt es offenbar zig Mängel, die zu Frust und Ärger bei Blinden und bei Personen mit Sehbehinderung führen.

Denn seit Monaten beklagen sowohl der Behindertenrat als auch die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen die mangelnde Berücksichtigung ihrer Interessen im Kampf gegen das Coronavirus. Ein Kritikpunkt betrifft eben die digitale Barrierefreiheit. Die Fachleute der Hilfsgemeinschaft haben CoV-Websites von öffentlichen Stellen getestet und „sind zu einem befremdlichen Ergebnis gekommen“, wie man gegenüber ORF.at mitteilte. Trotz der Aufforderung, bestehende Richtlinien einzuhalten, sei auf den Websites entweder „gar nichts verändert“ worden, oder es „ist schlechter geworden“.

„Mangelnde Sensibilisierung“

Für die Hilfsgemeinschaft ist es „unverständlich, warum die immer wieder angebotene Unterstützung durch sehbehinderte und blinde User nicht angenommen wird“. Die Anmeldeplattformen für die CoV-Impfungen seien „die nächsten Negativbeispiele“ auf einer schon „langen Liste“, hieß es. Zuvor habe es schon Probleme mit der „Stopp Corona“-App und dem Onlinehändlerverzeichnis „Kaufhaus Österreich“ gegeben. Man erinnere immer daran, dass es Richtlinien für die Barrierefreiheit gibt, die man nur umsetzen müsste. „Es fehlt offenbar das Bewusstsein, dass auch unsere Mitglieder an der Gesellschaft teilhaben wollen. In der Krise hat sich der Eindruck noch verstärkt.“

Frau mit Blindenstock auf einem Bahnsteig
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Auch Menschen mit Behinderung stoßen in der Pandemie an ihre Grenzen

Laut Web-Zugänglichkeits-Gesetz (WZG), das auf EU-Vorgaben fußt, müssen behördliche Websites und mobile Anwendungen so gestaltet werden, dass der Zugang für alle Nutzerinnen und Nutzer uneingeschränkt möglich ist. Hinzu kommt freilich das Diskriminierungsverbot gemäß Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG). „Ich unterstelle nicht, dass das mit Absicht passiert“, sagte der stv. Vorstandsvorsitzende der Hilfsgemeinschaft, Klaus Höckner. Manche Stellen würden sich auch bemühen. „Aber die mangelnde Sensibilisierung für die Situation von Menschen mit Behinderung fördert die Barrierefreiheit nicht.“

Das betreffe aber nicht nur Blinde, sondern auch Personen mit motorischen, kognitiven und auditiven Beeinträchtigungen. In sehr vielen Fällen würden Kleinigkeiten auf einer Website schon viel bewirken, sagte Höckner, der auch als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger im Bereich Barrierefreiheit im Web tätig ist. Mit Blick auf internationale Richtlinien betonte er, dass eine Website mit der Tastatur bedienbar sein muss und der Screenreader (Vorlesesystem) bei Onlineformularen nicht „Eingabefeld 1“ vorlesen soll, sondern „Bitte hier den Vornamen eintragen“.

Nicht nur eine Barriere

Gerade in der Pandemie ist das Internet aufgrund der Beschränkungen noch mehr in den Fokus gerückt. Nicht nur Behördenwege werden im Web erledigt, auch der Onlinehandel boomt, und der Unterricht findet aus der Ferne statt. Menschen mit Behinderung sind auf die digitale Barrierefreiheit angewiesen. Die Barriere im Web sei aber nur eine von vielen offenen Wunden, die in der Krise wieder sichtbar werden würden, sagte Herbert Pichler, Präsident des Behindertenrates, der Interessenvertretung für 1,4 Millionen Menschen mit Behinderungen.

Zu Beginn der Krise sei seiner Meinung nach kaum die Situation von Personen mit Behinderungen berücksichtigt worden. Das habe sich zwar seit Herbst geändert, aber: „Mir kommt es oft so vor, als würden die Verantwortlichen in uns entweder bettlägerige Personen sehen oder einen Spitzensportler bei den Paraolympics. Ein Zwischending, eine Person mit Behinderung, die mit oder ohne persönlicher Assistenz eigenständig leben kann, scheint es offenbar nicht zu geben.“

Barrierefreie Website

Als internationaler Standard für barrierefreie Webangebote gelten die von der Web Accessibility Initiative (WAI) des World Wide Web Consortiums (W3C) ausgearbeiteten Richtlinien für barrierefreie Webinhalte: Web Content Accessibility Guidelines. Eine Website sollte wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein.

So hätte sich Pichler etwa gewünscht, dass man den Behindertenrat bei der Definition der Risikogruppe verstärkt involviert. „Zu Beginn der Pandemie wurden viele Verordnungen erlassen, die nicht auf die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen eingegangen sind“, sagte der Behindertenrat-Präsident. Dass man zuletzt Personen mit Behinderung, die eine persönliche Assistenz benötigen, auf dem Impfplan vorgereiht hat, begrüßte er. Das nationale Impfgremium hatte Ende Jänner ihre Empfehlungen konkreter formuliert und das Gesundheitsministerium den Impfplan entsprechend angepasst. Seitdem befinden sich Personen mit Behinderung sowie deren persönliche Assistentinnen und Assistenten in Phase 1B und werden im ersten Quartal geimpft.

Dennoch ist Pichler mit Blick auf die Zukunft und weitere Krisen dafür, die Definition der Risikogruppe zu überdenken. „Viele Menschen mit Behinderungen gehören zur Risikogruppe, aber nicht alle Formen der Behinderung sind abgebildet worden“, sagte er. Man werde zwar als Interessenvertretung nun besser und früher als zuvor eingebunden, aber von einer „vollen gesellschaftlichen Teilhabe“ will er noch lange nicht sprechen. Wichtig sei, dass man „mit uns über uns diskutiert und nicht über uns ohne uns“, so der Behindertenratspräsident.

Vergessen und ausgeschlossen

Dieser Meinung schloss sich die Hilfsgemeinschaft an, die hofft, dass viele Mitglieder bald geimpft werden. Eine Sehbehinderung oder die Blindheit bedeute zwar nicht, dass man krank ist, dennoch sei man gefährdeter als andere, hieß es aus dem Verein. „Der Mindestabstand zwischen anderen Personen kann natürlich nicht immer eingehalten werden, und auf körperliche Nähe ist man vor allem bei Arztbesuchen angewiesen.“ Allerdings verfügen nur wenige Mitglieder über eine persönliche Assistenz, weshalb man im Impfplan – sofern man keine Vorerkrankung hat – nicht in der Phase 1B ist.

Allerdings seien insbesondere ältere Personen im Alltag auf freiwillige Helfer und Helferinnen angewiesen. Dementsprechend groß sei auch der physische Kontakt. „Allmählich werden aber die Älteren, die nicht in Heimen wohnen, endlich geimpft“, so die Hilfsgemeinschaft, die ebenfalls vom Behindertenrat als Dachorganisation vertreten wird. Trotzdem entstehe der Eindruck, dass man auf „uns vergessen hat“. Selbst wenn das „Kaufhaus Österreich“ nicht das war, was anfangs versprochen wurde, seien zum Beispiel Blinde als Konsumentinnen und Konsumenten ausgeschlossen worden, so Höckner.

Am einfachsten wäre es, so der Experte, man lässt vor dem Start einer Website eine Person, die täglich mit Barrieren zu kämpfen hat, diese bedienen. „Eine Website im Nachhinein barrierefrei zu machen kostet neben Geld auch Nerven“, sagte Höckner und verweist auf das seit 2018 bestehende Zertifikat WACA (Web Accessibility Certificate Austria) für Barrierefreiheit. „Die Website wird von einer unabhängigen Stelle geprüft, am Ende erhält man das Qualitätssiegel und bescheinigt, dass man alle gesetzliche Regelungen eingehalten hat.“