Die zerstörte nordsyrische Stadt al-Bab
Reuters/Khalil Ashawi
Krieg ohne Frieden

Zehn Jahre Zerstörung in Syrien

In diesem Monat ist es zehn Jahre her, dass in Syrien der Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Was mit Protesten gegen die syrische Führung unter Präsident Baschar al-Assad begann, wurde zu einem Stellvertreterkrieg mit internationaler Beteiligung. Die Bilanz: Hunderttausende Menschen wurden getötet, über zehn Millionen vertrieben, Zehntausende sind noch immer verschwunden. Der Rest der verbliebenen Bevölkerung lebt in bitterer Armut. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Im Zuge des „arabischen Frühlings“ kam es in Syrien zu Massenprotesten gegen das Polizei- und Geheimdienstregime des Präsidenten. Diese mündeten in einen bis heute wütenden Krieg, nachdem Assad das Militär gegen die eigene Bevölkerung einsetzte.

Knapp zehn Jahre später beklagte der UNO-Menschenrechtsrat schwere Kriegsverbrechen in dem zerstörten Land. Über die gesamte Zeit hätten die Konfliktparteien die „abscheulichsten Verstöße“ gegen die Menschenrechte begangen, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Rates. So seien etwa auch Chemiewaffen eingesetzt worden.

Zerstörte Gebäude in Aleppo im Februar 2018
AP/The Yomiuri Shimbun/Keiichi Honma
Nach zehn Jahren Bürgerkrieg liegt das Land in Trümmern

UNO: Kriegsverbrechen und Völkermord

Die Regierungskräfte, aber auch andere Gruppen hätten sich auf Kosten der Zivilbevölkerung auf die Einnahme und Kontrolle von Gebieten konzentriert. So seien die Menschen rücksichtslosen Bombardierungen und Angriffen mit Giftgas ausgesetzt gewesen. Bei Belagerungen seien sie unter anderem durch „schändliche Beschränkungen“ der humanitären Hilfe ausgehungert worden.

In insgesamt 38 Fällen sei der Einsatz von Chemiewaffen dokumentiert worden, heißt es in dem UNO-Bericht weiter. In 32 Fällen reichten die Beweise aus, um sie den Regierungskräften zuzuschreiben. Das syrische Militär und die mit ihm verbündete russische Luftwaffe hätten auch Wohngebiete und belebte Märkte angegriffen. Auch Rebellengruppen wie die militant-islamistische Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) sowie die kurdische Miliz der Volksverteidigungseinheiten (YPG) seien für Kriegsverbrechen und Verstöße gegen die Menschenrechte verantwortlich. So hätten sie wahllose Angriffe begonnen, bei denen Zivilisten und Zivilistinnen getötet und verletzt worden seien.

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Flüchtlingslager in Aleppo im Jahr 2021
Reuters/Mahmoud Hassano
Aleppo im Jahr 2021: Seit Beginn des Krieges sind laut UNO mehr als 13 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen worden. Viele von ihnen leben nun in stark überfüllten Flüchtlingslagern im Norden des Landes.
Zerstörung im Jarmuk im Jahr 2020
Reuters/Omar Sanadiki
Jarmuk, ein Wohn- und Geschäftsviertel am Rande der syrischen Hauptstadt Damaskus, ist neun Jahre nach Ausbruch des Krieges völlig verwüstet
Zerstörung nach Bombenexplosion in Suluk im Jahr 2019
Reuters/Aboud Hamam
Suluk, eine Stadt nahe der türkischen Grenze, nach einer Bombenexplosion im Jahr 2019
Türkische Soldaten in Manbij
Reuters/Khalil Ashawi
Türkische Soldaten kämpfen im Syrien-Krieg an der Seite der Rebellen
Soldat mit Minensuchgerät in Dabiq im Jahr 2017
Reuters/Khalil Ashawi
Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee sucht versteckte Sprengstoffe des IS
Zerstörte Gebäude in Douma im Jahr 2016
Reuters/Bassam Khabieh
Zerstörte Gebäude in Duma, der neuntgrößten Stadt des Landes
Syrisches Flüchtlingslager in Jordanien im Jahr 2015
Reuters/Muhammad Hamed
Viele flohen über die Grenze in die Nachbarländer. Nach Schätzungen der jordanischen Regierung beherbergt das Land derzeit rund 1,3 Millionen Syrerinnen und Syrer.
Soldaten in Panzern in Handarat im Jahr 2014
Reuters/George Ourfalian
2014 kommt es zu einer Internationalisierung des Konflikts – die USA und die Türkei unterstützen Aufständische, Russland und der Iran das Regime. Im Bild: Soldaten von Assad.
Mann schaufelt Gräber für zukünftige Opfer des Bürgerkrieges im Jahr 2012
Reuters/Ahmed Jadallah
Seit Beginn des Krieges hat die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mehr als 387.000 Tote gezählt
Proteste in Syrien im Jahr 2011
Reuters/Ali Jarekji
Im März 2011 gingen im Zuge des „arabischen Frühlings“ auch in Syrien die Menschen auf die Straße – was als friedlicher Volksaufstand begann, wurde zum internationalen Stellvertreterkrieg

Die UNO-Untersuchungskommission für Syrien wirft der Regierung und den Rebellen ebenso Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) habe Völkermord begangen, heißt es in einem Bericht. Die Täter seien für die Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Lediglich im Februar wurde ein mutmaßliches Mitglied des syrischen Geheimdienstes wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit von einem deutschen Gericht verurteilt. Es war der weltweit erste Prozess um Mord und Folter durch den syrischen Staat.

Dreigeteiltes Land

Heute ist Syrien de facto dreigeteilt: Die Regierungstruppen kontrollieren mittlerweile wieder rund zwei Drittel des Landes. Rebellen halten – teils an der Seite des türkischen Militärs – Gebiete im Norden und Nordwesten des Land. Die kurdische Miliz YPG wiederum beherrscht eine große Region im Nordosten und Osten. Assad kündigte mehrfach an, Syrien „bis zum letzten Fleck befreien“ zu wollen. Auf der Seite seiner Gegner wiederum ist immer wieder zu hören, dass der Aufstand zwar nicht erfolgreich gewesen, aber lange noch nicht vorbei sei.

Grafik zum Krieg in Syrien
Grafik: APA/ORF:at; Quelle: ISW/liveuamap.com

Während Russland und der Iran die Regierung unterstützen, ist die Türkei mit den Rebellen verbündet. Auch Israel greift regelmäßig Ziele in Syrien an – verstärkt in den vergangenen Wochen. Israel will in dem benachbarten Bürgerkriegsland den militärischen Einfluss des Iran zurückdrängen. Teheran sieht in Israel einen Erzfeind.

Keine politische Lösung in Sicht

Ende Februar flog auch das US-Militär, erstmals auf Befehl von Präsident Joe Biden, Luftangriffe im Osten Syriens. Dieser richtete sich laut US-Verteidigungsministerium gegen Milizen, die vom Iran unterstützt würden. In den vergangenen Monaten ist die Gewalt aufgrund von Waffenruhen zwar zurückgegangen, eine politische Lösung für den blutigen Konflikt zeichnet sich trotz diplomatischer Bemühungen aber nicht ab.

Die EU plant Ende März eine Syrien-Konferenz, um Geld für das Bürgerkriegsland zu sammeln und um ihrer Unterstützung für die Bemühungen des UNO-Sondergesandten für eine politische Lösung Nachdruck zu verleihen. Auch Österreich werde an der Konferenz teilnehmen, so ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg am Sonntag in einer Aussendung. Zudem kündigte er an, dass Österreich humanitäre Hilfe im Wert von über 15 Millionen Euro zur Verfügung stellen werde. Und Schallenberg forderte: „Der Terror gegen Menschen muss aufhören, Waffenstillstände müssen endlich dauerhaft halten.“

Doch auch dem UNO-Sicherheitsrat gelang es Anfang Februar nicht, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu einigen und den festgefahrenen Friedensprozess wieder in Gang zu bringen. Russland, die Türkei und der Iran warnten unterdessen Ende Februar vor Einmischungen aus dem Ausland in die Gespräche über eine neue Verfassung für Syrien.

Der syrische Präsident Bashar al-Assad im Dezember 2020
APA/AFP
Der syrische Präsident Assad, hier im Dezember 2020, wird von Russland und dem Iran unterstützt

Beobachter: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung geflohen

Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind seit Beginn des Krieges rund 380.000 Menschen bei Kämpfen zwischen Rebellen und der syrischen Armee getötet worden, darunter 117.000 Zivilisten und Zivilistinnen. Die Beobachtungsstelle mit Sitz in Großbritannien dokumentiert seit 2011 Opferzahlen. Sie gilt als gut vernetzt und der syrischen Opposition nahestehend. Ihre Angaben sind allerdings meist kaum überprüfbar. Hilfsorganisationen gehen dagegen sogar von bis zu 600.000 Todesopfern aus.

In den vergangenen zehn Jahren seien einem Bericht der UNO-Untersuchungskommission für Syrien zufolge zudem Zehntausende Menschen willkürlich festgenommen worden und noch immer verschwunden. Tausende seien Folter und sexueller Gewalt ausgesetzt oder in Haft gestorben. Laut der Beobachtungsstelle führte der Krieg zur Vertreibung von mehr als der Hälfte der Bevölkerung.

Grafik zum Krieg in Syrien
Grafik: APA/ORF:at; Quelle: UNHCR

NGO: 90 Prozent unter Armutsgrenze

Unterdessen kämpft die verbliebene Bevölkerung mit den Folgen des Kriegs. Laut UNO bräuchten 13,4 Millionen Menschen Unterstützung und Schutz, so viele wie zuletzt 2016 und 2017. Treiber der Entwicklung seien der Verfall der syrischen Währung, die im vergangenen Jahr 78 Prozent an Wert verlor, und die damit verbundenen Preiserhöhungen.

Viele Familien könnten sich keine ärztliche Versorgung und Medikamente, kein Essen und keinen Schulbesuch für ihre Kinder mehr leisten. Zwei der rund 17 Millionen Syrerinnen und Syrer lebten sogar in extremer Armut. Schätzungen der NGO Syrisch-Arabischer Roter Halbmond (SARC) zufolge seien insgesamt mehr als 90 Prozent der Bevölkerung unter die Armutsgrenze gerutscht.

Syrische Flüchtlinge in einem Camp in der Provinz Idlib
AP/Ghaith Alsayed
Viele syrische Geflüchtete leben unter schwierigen Bedingungen in Flüchtlingscamps – wie hier in einem Lager in der Provinz Idlib

Pandemie als Brandbeschleuniger

Zusätzlich wird die humanitäre Lage durch die Coronavirus-Pandemie verschärft. Mit rund 16.000 Coronavirus-Infizierungen hat Syriens Regierung bisher vergleichsweise wenig Fälle gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen.

Es sei wegen eines starken Mangels an Testausrüstung nicht möglich, jeden zu testen und die tatsächliche Zahl zu wissen, sagte der SARC-Präsident Chalid Hbubati. Ähnlich sieht es in den syrischen Gebieten aus, die von Rebellen bzw. den Kurden kontrolliert werden, sowie in den stark überfüllten Flüchtlingscamps in Nordsyrien.

Menschen in Syrien „nicht vergessen“

Hier haben laut der NGO CARE rund 1,5 Millionen Menschen Schutz gesucht. Die Lage in den Flüchtlingslagern sei katastrophal. „Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, wären Hygienemaßnahmen wichtig, doch den meisten Vertriebenen fehlt sogar Wasser“, heißt es seitens der Hilfsorganisation. Gemeinsam mit 34 weiteren Hilfsorganisationen appellierte CARE, dass die Welt auf die Menschen in Syrien nicht vergessen dürfe.

Andrea Barschdorf-Hager, Geschäftsführerin von CARE Österreich, sagte: „Die Menschen in Syrien haben ein Leben verdient, in dem Einkommensmöglichkeiten, reparierte Häuser, funktionierende öffentliche Infrastruktur, sauberes Wasser und eine Grundversorgung keine unrealistische Hoffnung sind. Andernfalls werden die Auswirkungen dieses Kriegsjahrzehnts irreversibel sein.“

„Warten auf Frieden muss ein Ende haben“

„Das lange Warten auf Frieden muss ein Ende haben“, forderte am Sonntag auch Außenminister Alexander Schallenberg. In einer Aussendung kündigte er fortgesetztes humanitäres Engagement Österreichs an. „Der Terror gegen Menschen muss aufhören, Waffenstillstände müssen endlich dauerhaft halten“, forderte der Außenminister. „Wir unterstützen daher voll und ganz die Bemühungen des UNO-Sondergesandten Geir Pedersen, der richtigerweise einen umfassenden Ansatz verfolgt und alle Akteure einbezieht.“

Was die nach wie vor vom syrischen Regime, dessen Verbündeten und verschiedenen Terrormilizen begangenen Gräueltaten betrifft, fordere Österreich die Befassung des Internationalen Strafgerichtshofs. Ein entsprechender Beschluss des UNO-Sicherheitsrates sei aber bisher stets am Veto Russlands oder Chinas gescheitert. Im Hinblick auf die nach wie vor katastrophale humanitäre Situation kündigte Schallenberg zur fünften Syrien-Konferenz einen österreichischen Beitrag von 15 Millionen Euro an.