Masken von Hygiene Austria
ORF.at/Carina Kainz
Bruch bei Hygiene Austria

Lenzing zieht Manager ab

Bei der Hygiene Austria, einem Joint Venture von Palmers und Lenzing, ist es jetzt wegen des Maskenskandals zum offenen Bruch zwischen den beiden Eigentümern gekommen. Der börsennotierte Faserhersteller Lenzing gab am Montag bekannt, seine beiden Geschäftsführer zurückzuziehen bzw. abzuberufen. Der verbliebene Geschäftsführer Tino Wieser vom Minderheitsgesellschafter Palmers muss sich allein um die Schadensbegrenzung kümmern.

Als Grund für den Rückzug Lenzings wurde genannt, dass man keinen vollständigen Zugang zu wichtigen Unterlagen erhalten habe. Daher sei man außerstande, die operative Geschäftsführung auszuüben. Mit sofortiger Wirkung werde die Nominierung von Stephan Sielaff als Geschäftsführer der Hygiene Austria zurückgezogen und Stephan Trubrich als Geschäftsführer abberufen.

Ein möglichst bald von Lenzing zu bestimmender Wirtschaftstreuhänder werde mit der Verwaltung der Lenzing-Anteile an Hygiene Austria betraut. Im Vorstand der Lenzing AG werde künftig ausschließlich Sielaff für alle Agenden betreffend Beteiligung an der Hygiene Austria zuständig sein.

Lenzing: Aufklärung nicht möglich

Die zur Aufarbeitung der Vorgänge notwendigen Unterlagen befänden sich großteils in den Räumen von Palmers, zu denen Lenzing „weder Zutritt noch Zugriff“ bekommen habe. „Trotz intensivsten Ressourceneinsatzes seitens Lenzing war die dringend erforderliche rasche Aufklärung mit belastbaren Resultaten ebenso wenig möglich wie die tatsächliche Ausübung der Geschäftsführung. Lenzing sieht daher die Aufarbeitung der aktuellen Vorwürfe bei den zuständigen Behörden. Dabei wird Lenzing nach besten Kräften unterstützen“, hieß es in der Aussendung.

An der im Frühjahr 2020 zur Coronavirus-Maskenproduktion gegründeten Hygiene Austria hält die Lenzing AG 50,1 Prozent, die Palmers Textil AG 49,9 Prozent. Das in Wiener Neudorf in Niederösterreich ansässige Unternehmen Palmers hatte eingeräumt, dass ein Teil der als „made in Austria“ vermarkteten Masken in China zugekauft wurde. „Das Versprechen ‚Made in Austria‘ wurde offensichtlich nicht durchgehend gewährleistet. Eine umfassende und schonungslose Aufklärung ist daher unabdingbar“, so Lenzing.

Palmers: Unterlagen übergeben

Palmers dementierte am Montag in seiner Reaktion die Vorwürfe von Lenzing. „Zu keiner Zeit hat Palmers die Aufklärung der Untersuchung behindert oder Unterlagen zurückgehalten.“ Die Unterlagen seien im Rahmen der Hausdurchsuchung am 2. März den Behörden übergeben worden. Darüber hinaus seien alle Unterlagen immer auch von den von Lenzing gestellten Geschäftsführern vorgelegen, „da immer nur beide Geschäftsführer wirksam für Hygiene Austria LP GmbH zeichnen konnten“.

Wieser: Lenzing brach Kontakt ab

Der Geschäftsführung von Hygiene Austria gehört mit dem Rückzug der Lenzing-Manager nur noch Tino Wieser von Palmers an. Eigentlich habe er das Unternehmen ganz übernehmen wollen, aber Lenzing habe den Kontakt abgebrochen, sagte Wieser am Montagabend zur APA.

„Letzte Woche haben wir zusammen mit der Lenzing an der Aufklärung der ganzen Sache gearbeitet, auch das ganze Wochenende bis auf gestern um acht Uhr, wo ich dann auf einmal allein da gesessen bin“, so Wieser. „Heute kam das Statement zu Mittag, während alle Mitarbeiter zu einem Team-Lunch eingeladen wurden, dass alle Mitarbeiter der Lenzing abgezogen werden.“

„Nicht in Ordnung, wenn sich ein Partner davonstiehlt“

Lenzing sei bis dahin mit 15 bis 20 Leuten im Betrieb gewesen. „Von der Aufgabenaufteilung her war von Anfang an klar, dass die Lenzing die Produktion und die Materialbeschaffung plus Qualitätssicherung und Zertifikate macht“, so Wieser. Die Aufgaben von Palmers seien Verkauf, Marketing, Logistik und Buchhaltung gewesen. „Ich finde es einfach nicht in Ordnung, wenn sich ein Partner in dieser Zeit, salopp gesagt, ein bissl davonstiehlt.“

Die Begründung von Lenzing, wonach man keinen Zugang zu wichtigen Unterlagen erhalten habe, lässt Wieser nicht gelten. „Wissen Sie, was bei einer Hausdurchsuchung passiert? Die beschlagnahmen alles. Wir sind bis Samstagabend hier gesessen, haben alles zusammen ausgearbeitet. Gestern noch sind Daten ausgetauscht worden, heute in der Früh sind die letzten Daten ausgetauscht worden.“ Aber es sei eben keine Einsicht in Unterlagen möglich, die bei der Staatsanwaltschaft seien.

„Habe alle angerufen, es hebt keiner ab“

Er habe weiterhin vor, die Hygiene Austria ganz zu übernehmen. „Ich habe ein Übernahmeangebot gelegt, wir waren schon in Vertragsausarbeitung, es war für 14 Uhr heute der Notar bestellt“, sagte Wieser. Stattdessen habe es aber die überraschende Presseaussendung der Lenzing gegeben. Er sei nach wie vor an der Übernahme interessiert, aber „da muss man mit mir reden. Wenn der Mehrheitsgesellschafter nicht mehr mit dir redet, dann wird’s ein bissl schwierig. Ich habe alle angerufen, es hebt keiner ab.“

Derzeit werden Masken auf Lager produziert

Am Wochenende sei die Maskenproduktion unterbrochen gewesen, inzwischen habe man sie aber wieder aufgenommen, berichtete Wieser. Man produziere jetzt eben vorerst auf Lager. „Die letzte Woche war jetzt nicht die umsatzstärkste, das muss man ganz klar sagen.“ Die Qualität der Masken sei aber hervorragend, auch wenn geringe Mengen in China zugekauft worden seien.

„Ich verstehe die Verunsicherung der Menschen“, so Wieser, aber „unsere Masken sind alle höchste Qualität. Wir haben auch die beim Lohnfertiger gefertigten Masken über das Wochenende noch einmal überprüfen lassen.“ Es müsse sich niemand Sorgen machen, „die Masken sind besser als alle anderen, die man am Markt kaufen kann“. 98 Prozent ihres Umsatzes habe die Hygiene Austria in Österreich gemacht. „Wir sind ein österreichisches Unternehmen, und alles, was ich ausliefere, ist in Ordnung.“

„Bin der Meinung, dass ich nichts verbrochen habe“

Bisher habe man mehr als 100 Millionen Masken produziert, nur ein geringer Teil davon sei wegen der hohen Nachfrage bei einem Lohnfertiger zugekauft worden. „Ich bin der Meinung, dass ich nichts verbrochen habe“, sagte Wieser. „Ich war der Meinung, dass ein gewisser Anteil am Produkt ausreicht, um ‚Made in Austria‘ draufzuschreiben.“ Es handle sich um das gleiche Baumuster und das gleiche Material, „sie sind doppelt so teuer wie wenn man sie selber herstellt“.

Kritisiert wurde auch, dass die Zertifizierung der FFP2-Schutzmasken nicht in Österreich durchgeführt wurde. Auch die Überprüfung am vergangenen Wochenende sei wieder in Ungarn erfolgt, sagte Wieser. „Das ist Europa, das ist nicht die Pampa. Wir haben damals im Zuge der Zertifizierung in ganz Europa überall angerufen: ‚Wer kann uns schnell ein Zertifikat ausstellen?‘ Österreich hat erst, ich glaube seit Dezember letzten Jahres, eine Zertifizierungsstelle.“ Bei anderen Zertifizierungsstellen hätte es Wartezeiten von sechs bis acht Monaten gegeben.

Wieser wies auch den Vorwurf zurück, die Hygiene Austria habe nicht angemeldete Leiharbeiter beschäftigt. Man habe sich dreier Personalbereitstellungsfirmen bedient und sich jeden Monat Auszüge der Sozialversicherung und des Finanzamts vorlegen lassen um zu überprüfen, ob alle Mitarbeiter korrekt angemeldet sind. „Im Zuge der letztwöchigen Ermittlungen haben wir von allen Mitarbeitern alle Anmeldungen gehabt. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“ Aktuell habe man 220 Beschäftigte und habe vorgehabt, Mitte des Monats auf 300 aufzustocken.

„Ich habe mit dem Kurz nie telefoniert“

Eine politische Dimension erhält der Skandal durch Wiesers Verwandtschaftsverhältnis zur Büroleiterin von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), die mit seinem Bruder, Palmers-Vorstand Luca Wieser, verheiratet ist. Die Hygiene Austria könnte von diesem Naheverhältnis profitiert haben, so der Verdacht. Wieser weist auch diesen Vorwurf zurück. „Wir haben von all dem, was wir über den gesamten Zeitraum produziert haben, in Summe gerade einmal ein Prozent an öffentliche Stellen, Regierungen und die BBG (Bundesbeschaffungsgesellschaft, Anm.) verkauft“, so der Hygiene-Austria-Geschäftsführer. „Ich habe mit dem Kurz nie telefoniert. Ich war bei seiner Wahlveranstaltung – was weiß ich, wann das war, 2015? – um ihm zu gratulieren, das war’s.“

Mikl-Leitner fordert „lückenlose Aufklärung“

Die Causa um den österreichischen FFP2-Maskenhersteller beschäftigte vergangene Woche auch die Politik. Während SPÖ und NEOS Aufklärung forderten, verlangte die FPÖ gleich eine Neuwahl. Kurz sah indes keine Verantwortlichkeit der Politik. Erst am Sonntag forderte aber die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in der Causa „lückenlose Aufklärung“: „Wenn sich herausstellt, dass hier betrogen wurde, dann ist das eine Frechheit der Sonderklasse und wird von uns rechtlich verfolgt werden.“ Bisherige öffentliche Erklärungen des Unternehmens seien „nicht zufriedenstellend“.

Für SPÖ-Vizeklubvorsitzenden Jörg Leichtfried entwickelt sich die Causa „zu einem der größten Kriminal- und Korruptionsfälle der jüngeren Wirtschaftsgeschichte (…), und das im Umfeld von Sebastian Kurz“. Der Schaden für den Standort Österreich sei bereits entstanden. Leichtfried: „Angesichts der persönlichen Verbindungen zwischen Kanzlerbüro und Hygiene Austria werden die Aussagen des Kanzlers, er wusste von nichts, von Tag zu Tag unglaubwürdiger.“

Bericht: Zweifelhafte Arbeitsbedingungen

Zudem soll es schlechte Arbeitsbedingungen bei Hygiene Austria gegeben haben, berichtete der „Standard“ kürzlich unter Berufung auf einen „Informanten“ und Ermittler. Demnach sollen die hygienischen Bedingungen schlecht gewesen sein, es habe Schwarzarbeiter gegeben und es soll zumindest einmal einen schweren Arbeitsunfall gegeben haben, der als Haushaltsunfall vertuscht worden sein soll. Die Zeitarbeitsfirmen, von denen die Mitarbeiter kamen, seien nicht Mitglied im Verband der Personaldienstleister gewesen.