Gruppe von Menscen auf der Bellevuewiese in Wien
picturedesk.com/Georges Schneider
„Veranstaltung“ zu viert

Rekord an Stellungnahmen zu Novelle

Treffen gelten ab vier Personen als „Veranstaltung“: Der Entwurf zum Epidemiegesetz des Gesundheitsministeriums hat in den vergangenen Tagen für scharfe Kritik gesorgt, nun ist die Begutachtungsfrist zu Ende. Auf der Parlamentsseite gingen Tausende Stellungnahmen ein, auch die Volksanwaltschaft schaltete sich ein. Die Opposition kritisiert scharf, NEOS fordert überhaupt eine Rücknahme der Novelle. Das Ministerium will die Stellungnahmen jetzt genau prüfen.

Von der Volksanwaltschaft werden „skurrile“ Ergebnisse in der Praxis befürchtet. SPÖ-Volksanwalt Bernhard Achitz zweifelt, ob die Bevölkerung gewillt sei, derartige Regeln zu befolgen, wenn etwa der Veranstaltungsbegriff „von einem über Jahrhunderte hinweg gefestigten Verständnis der Bevölkerung eklatant abweicht“.

Die Volksanwaltschaft fürchtet, dass der „neue Veranstaltungsbegriff zu großen Schwierigkeiten in der Vollziehung und die Anwendung zu skurrilen, nicht sachgemäßen Ergebnissen führen könnte“. Die Möglichkeit, relativ hohe Verwaltungsstrafen zu verhängen, könnte dann außerdem erst recht dazu führen, dass sich Menschen mit Familienangehörigen und guten Freunden statt im Freien in Wohnungen und Häusern treffen, wo nicht kontrolliert werden kann. Das sei „sicherlich nicht im Interesse einer erfolgreichen Pandemiebekämpfung“, so Achitz.

Kritik von Gewerkschaft und Wirtschaftskammer

Kritik am geplanten restriktiven Veranstaltungsbegriff übten auch Gewerkschaftsbund (ÖGB), Wirtschaftskammer (WKÖ) und die Rechtsanwaltskammer (ÖRAK). Eine bloße Zusammenkunft solcher Personengruppen sei „keine Veranstaltung und kann als solche auch nicht bezeichnet werden“, heißt es dazu in der Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer, die Bestimmung wird klar abgelehnt.

Spaziergänger am Donaukanal in Wien
APA/Herbert Neubauer
Auch private Treffen von vier Personen oder mehr sollen von der Änderung betroffen sein

Für den ÖGB wird mit dem Plan „maßlos über das Ziel hinausgeschossen“. Wie auch die WKÖ äußerte die Gewerkschaft außerdem Befürchtungen, „dass auch zwingend erforderliche oder gesetzlich vorgeschriebene Sitzungen“ (etwa von Arbeitnehmer- und der Personalvertretung) der Bewilligungspflicht unterliegen „und entsprechend auch untersagt werden können“.

Auch Länder kritisch

Kritik kam auch von den Ländern. Die vorgesehene Definition der Veranstaltung sei so umfassend, dass auch „typische private Lebensumstände (privater Wohnbereich, familiäre Kontakte)“ erfasst wären, so unterdessen die oberösterreichische Landesregierung. Aus Wien hieß es, dass die vorgesehene Anzeigepflicht bzw. Bewilligungspflicht von derartigen Zusammenkünften „in keinem Fall bei der Kontaktpersonennachverfolgung hilfreich sein kann“. Aus dem Büro des burgenländischen Landesrats Leonhard Schneemann (SPÖ) hieß es auf APA-Anfrage, man habe Bedenken, ob der Plan verfassungskonform sei.

Zurückhaltend zeigte man sich in Vorarlberg. Begrüßt wird in der Stellungnahme die Begriffsdefinition der Veranstaltung, „um Unbestimmtheiten bei der Auslegung des Begriffes der ‚größeren Menschenmenge‘ zu vermeiden“. Salzburg schlägt vor, dass Zusammenkünfte in Einrichtungen des Sozialbereichs von den geplanten Verschärfungen betreffend Veranstaltungen ausgenommen bleiben. Das Land Steiermark begrüßte beim Veranstalterbegriff das Abgehen von der „sehr ungenauen Definition einer ‚größeren Menschenmenge‘“.

Tausende Stellungnahmen in Parlament eingelangt

Das Interesse an der Novelle war, geht man nach den eingelangten Stellungnahmen auf der Parlamentsseite, jedenfalls enorm. Auf der Website waren Dienstagmittag über 25.000 Rückmeldungen aufgelistet, am Wochenende waren es noch halb so viele. Das ist ein neuer Rekord bei der Zahl der Stellungnahmen, wie auch das Parlament auf Anfrage bestätigte. Wie schon bei den Novellen zuvor ähneln viele Stellungnahmen einander im Wortlaut und werden meist mit harscher Kritik an der Politik verbunden.

Scharfe Kritik der Opposition

Kurz vor Ende der Begutachtungsfrist erneuerte auch die Opposition ihre Kritik an dem Entwurf. SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher schrieb in einer Aussendung am Dienstag, dass die Gesetzesänderung „ein Ausdruck der Hilflosigkeit“ sei. Diese werde „weder den Infektionsanstieg bremsen noch die Wirtschaft schützen“.

Schon tags zuvor gab es Kritik von NEOS. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger sieht im Entwurf von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) einen „ungeheuerlichen Angriff auf die Grund- und Freiheitsrechte“, hieß es bei einer Pressekonferenz. Man wolle mit allen Mitteln gegen die Novelle vorgehen.

Am Mittwoch legte NEOS nach und forderte die komplette Rücknahme dieser Gesetzesvorlage. „Es gibt keine andere Möglichkeit“, sagte Verfassungssprecher Nikolaus Scherak in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitssprecher Gerald Loacker. Aus Sicht von NEOS braucht es die Gesetzesänderungen gar nicht. Anschober wolle mit der Novelle seine zahlreichen rechtswidrigen Verordnungen im Nachhinein legitimieren, so Scherak.

Anschober sieht „Polemik und Fehlinformation“

Anschober versuchte nach der Oppositionskritik am Montag zu beruhigen. Er appellierte, „in der Frage der Krisenbewältigung von parteipolitischer Polemik und Fehlinformation abzusehen“. So sei es falsch, dass Treffen zu einem „finanziellen Desaster“ führen könnten – denn es sollten nur Strafen für von Betriebsstätten oder von gewerblichen Organisationen durchgeführte Veranstaltungen erhöht werden. Der übrige Strafrahmen bleibe unverändert.

Zur Frage der Treffen zweier Familien stellte Anschober klar, dass diese erst „ab einer Anzahl von vier Personen und nicht darunter“ untersagt werden sollen – und ohnehin „bei Verordnungen gerade auch in diesem Punkt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz immer einzuhalten ist und entsprechend differenzierende Regelungen zu erlassen sind“. Das werde in den Gesetzeserläuterungen auch klar zum Ausdruck gebracht.

„Veranstaltung“ ab vier Personen aus zwei Haushalten

Bisher wird im Epidemiegesetz eine Bewilligungspflicht von Veranstaltungen beim „Zusammenströmen größerer Menschenmengen“ erwähnt. Dieser Passus in Paragraf 15 soll nun gestrichen werden, stattdessen soll es künftig darin heißen: „Als Veranstaltungen gelten Zusammenkünfte von zumindest vier Personen aus zumindest zwei Haushalten.“

Das gilt im öffentlichen wie im privaten Bereich, wobei bei Letzterem wieder klargestellt wird, dass es daheim zu keinen Kontrollen kommt. Auch sollen private Treffen, bei denen einander die Beteiligten kennen, anders behandelt werden als Veranstaltungen, bei denen die Teilnehmer einander fremd sind, heißt es in den Erläuterungen.

Auch schärfere Strafen vorgesehen

Ebenfalls vorgesehen sind schärfere Strafen in bestimmten Bereichen: Wer gewerbsmäßig Veranstaltungen organisiert und eine Untersagung gemäß Epidemiegesetz missachtet, ist künftig mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 Euro oder sechs Wochen Haft zu bestrafen. Teilnehmende an verbotenen Events müssten bis zu 1.450 Euro zahlen. Veranstalter und Veranstalterinnen, die keine Bewilligung einholen oder Auflagen nicht einhalten, haben mit 3.600 Euro oder vier Wochen Haft zu rechnen.

Auch das Covid-19-Maßnahmengesetz soll maßgeblich angepasst werden. Zu den Ausgangsbeschränkungen soll klargestellt werden, dass sich die Bestimmung nicht nur auf die Bekämpfung eines bereits eingetretenen Zusammenbruchs der Gesundheitsversorgung bezieht, sondern auch einen drohenden Zusammenbruch verhindern soll. Auch die bisher bestehende Möglichkeit für Berufsgruppen mit viel Kundenkontakt, statt des Coronavirus-Tests eine FFP2-Maske zu tragen, soll fallen.

Auch diese Änderungen sorgen für Kritik. Das Vorhaben, Ausgangsbeschränkungen auch ohne Ausschöpfen aller anderen möglichen Maßnahmen erlassen zu können, könnte möglicherweise eine „unverhältnismäßige Einschränkung der persönlichen Freizügigkeit“ bedeuten, so die Wirtschaftskammer. Auch seitens der Rechtsanwälte kam dazu ein klares Nein. Der ÖGB lehnte das Vorhaben insgesamt als „unverhältnismäßig“ ab. Für die Testpflicht sei eine Alternative „unabdingbar“, so der ÖGB. Die Wiener Landesregierung verwies auf einen möglichen Engpass bei den Testkapazitäten, der eine Alternative nötig machen könnte.

Verfassungsdienst weist auf enorm kurze Frist hin

In einer Stellungnahme des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt vom Dienstag wird auf die besonders kurze Begutachtungsfrist hingewiesen. Diese habe „im Regelfall sechs Wochen zu betragen“, da diesmal aber nur eine Frist von „lediglich sechs Tagen eingeräumt“ wurde, sei eine „umfassende und abschließende Begutachtung“ des Gesetzesentwurfs nicht möglich.

Zu der konkret genannten Personenzahl bei Veranstaltungen heißt es vom Verfassungsdienst, dass es „unzweckmäßig“ erscheine, „Veranstaltungen allgemein mit einer festgelegten Personenanzahl zu definieren“. Auch die in Paragraf 15 vorgesehen Auflagen und Voraussetzungen könnten „für private Zusammenkünfte von lediglich vier Personen im Einzelfall als nicht zweckmäßig bzw. als überschießend und somit als unverhältnismäßig“ erscheinen, heißt es.

Minister will Stellungnahmen prüfen

Anschober sicherte bereits am Montag eine umfassende Prüfung aller Stellungnahmen zu den geplanten Novellen des Covid-19-Maßnahmengesetzes und des Epidemiegesetzes an: „Ich kann garantieren, dass wir die Stellungnahmen ernst nehmen werden und selbstverständlich begründete Änderungsvorschläge oder Ergänzungen berücksichtigen werden.“ Am 18. März soll sich der Gesundheitsausschuss mit dem Novellenpaket befassen.