Flüchtlingscamp bei Marib, Jemen
APA/AFP/Nabil Alawzari
Flüchtlingslager im Jemen

Verheerender Brand vielleicht gelegt

Erst nach und nach treten die verheerenden Konsequenzen eines Brandes, der vergangenen Sonntag in einem Flüchtlingslager in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa gewütet hat, zutage. Es gibt Hinweise, dass die Huthi-Rebellen das Feuer absichtlich verursacht haben.

Laut Angaben von medizinischem Personal sind mehr als 80 Menschen ums Leben gekommen, die meisten der weiteren 150 Verletzten schwebten in Lebensgefahr. Die meisten Opfer seien Migranten. Die Huthi-Rebellen, die den Norden des Landes einschließlich der Hauptstadt Sanaa kontrollieren, hätten strenge Regeln in den Krankenhäusern erlassen, hieß es aus medizinischen Kreisen.

Vertreter und Augenzeugen dürften nicht öffentlich über den Brand oder die Zahl der Opfer sprechen. Die Rebellen selbst kommentierten den Brand nicht. Informationsminister Muammar al-Arjani sprach von einem „Massaker“. Hunderte Opfer seien in einem Massengrab beerdigt worden, um das Verbrechen zu verschleiern.

„Rauchende Projektile“ gegen Hungerstreikende

Die Menschenrechtsorganisation Mwatana for Human Rights teilte unter Berufung auf Augenzeugen mit, Huthi-Aufseher hätten den Brand absichtlich verursacht. Sie hätten die Migranten in schrecklichen Zuständen gehalten und Geld für ihre Freilassung gefordert. Deshalb sei eine Gruppe in einen Hungerstreik getreten. Als der Streit eskalierte, hätten die Aufseher „rauchende Projektile“ durch Fenster geworfen. Diese seien explodiert und hätten den Brand verursacht. Den Menschenrechtlern zufolge wurden einige der Verletzten festgenommen. Ihnen werde humanitäre Hilfe und der Besuch von Angehörigen verwehrt.

Flüchtlingscamp bei Marib, Jemen
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Trotz der katastrophalen Lage im Jemen brechen jedes Jahr Zehntausende Afrikaner dorthin auf

Ruf nach unabhängiger Untersuchung

Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge befanden sich zum Zeitpunkt des Brandes rund 900 Migranten vorwiegend aus Äthiopien in dem Lager. Trotz des Krieges brechen jedes Jahr Zehntausende Afrikaner in den Jemen auf, unter anderem, um von dort auf der Suche nach Arbeit in Richtung der reichen Golfstaaten zu reisen. Die Auswirkungen des Feuers seien „schrecklich“, sagte die IOM-Direktorin für den Nahen Osten, Carmela Godeau. Der Fall müsse unabhängig untersucht werden, forderten Informationsminister Arjani und Amnesty International.

Die Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden, hatten den Jemen 2014 überrannt und weite Teile des Nordens unter ihre Kontrolle gebracht. Mit schätzungsweise 180.000 bis 200.000 aktiven bewaffneten Kämpfern sind sie heute die stärkste Kraft. Im Norden kontrollieren sie nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Seit 2015 kämpft ein von Saudi-Arabien angeführtes Militärbündnis an der Seite der Regierung gegen die Rebellen.

Gefechte ohne Ende

Die Kämpfe eskalieren indessen: In der ölreichen Provinz Marib im Nordjemen tobten am Wochenende schwere Gefechte, gleichzeitig starteten die Rebellen eine Angriffswelle mit Drohnen auf Ziele in Saudi-Arabien. Das Militärbündnis flog unterdessen Luftangriffe in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. Mindestens 120 Kämpfer der Huthi-Rebellen wurden innerhalb von 24 Stunden bei deren Offensive auf die strategisch wichtige Stadt Marib getötet, hieß es aus jemenitischen Militärkreisen.

Der Konflikt spielt auch an der Grenze des Jemen zu Saudi-Arabien, wo die Rebellen ihre Angriffe verstärkten. Innerhalb von fünf Stunden habe die Koalition zehn mit Sprengstoff beladene Drohnen abgefangen, teilte Bündnissprecher Turki al-Maliki mit. Die Rebellen hatten zuletzt Ziele in Riad, Dschisan und Chamis Muschait in Saudi-Arabien angegriffen, sieben Zivilisten wurden nach Angaben aus Riad verletzt. Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen seien „eine rote Linie“, erklärte das Bündnis am Sonntag.

Flüchtlingscamp bei Marib, Jemen
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„Kindheit im Jemen ist eine besondere Art der Hölle“, sagte jüngst UNO-Generalsekretär Antonio Guterres

Mit der Offensive auf Marib toben dort die schwersten Kämpfe seit 2018. Sollten die Rebellen auch diese Region einnehmen, hätten sie die Kontrolle über einen Großteil der Öl- und Gasproduktion des verarmten Landes. Zudem würden nach Worten von UNO-Nothilfekoordinator Mark Lowcock „unvorstellbare humanitäre Konsequenzen“ drohen: In Marib leben etwa zwei Millionen Vertriebene.

Schwerste humanitäre Krise der Welt

Im Jemen herrscht seit fast sechs Jahren Krieg. Zehntausende Menschen wurden getötet, Millionen Einwohner mussten flüchten. Die Vereinten Nationen stufen die Lage im Jemen als schwerste humanitäre Krise der Welt ein. Bei der diesjährigen UNO-Geberkonferenz für den Jemen sind dennoch nur rund 1,7 Milliarden Dollar (1,4 Mrd. Euro) an Spenden zusammengekommen und damit weniger als die Hälfte der benötigten Summe. Das Ergebnis sei „enttäuschend“, sagte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres Anfang März.

„Die humanitäre Lage im Jemen war noch nie schlimmer“, sagte er. Dennoch seien die Spenden vergangenes Jahr zurückgegangen – mit „brutalen“ Folgen. Organisationen, die Wasser, Lebensmittel und medizinische Hilfe lieferten, hätten ihre Arbeit einschränken oder ganz einstellen müssen. „Das Kürzen von Hilfsgeldern ist ein Todesurteil“, so Guterres.

Besonders schwer leiden Kinder unter dem Konflikt. „Kindheit im Jemen ist eine besondere Art der Hölle“, sagte Guterres. Fast die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren drohe akute Unterernährung. Ohne rasche ärztliche Behandlung könnten 400.000 sterben. Insgesamt brauchen 16 der 29 Millionen Einwohner Nahrungsmittelhilfe.