Menschen bei einer U-Bahnstation
ORF.at/Lukas Krummholz
Neue Studie

Antisemitismus „ist kein Randphänomen“

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat am Freitag eine neue Antisemitismusstudie im Auftrag des Parlaments präsentiert. Judenhass sei ein jahrhundertealtes Phänomen, sagte Sobotka bei der Vorstellung der Studie – und auch „kein Randphänomen“.

Antisemitismus komme vielmehr „aus der Mitte der Gesellschaft“, was man laut Sobotka insbesondere im Internet sieht. Das Parlament ließ bereits 2018 vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES) in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut Demox eine Datenerhebung zum Thema Antisemitismus in Österreich durchführen.

Im November und Dezember 2020 wurde die Befragung (Bevölkerung ab 16 Jahren mit 2.000 Befragten) wiederholt. Neu beleuchtet wurden mediale Einflüsse und auch antisemitische Verschwörungsmythen rund um die Coronavirus-Pandemie.

V.r.n.l.: Eva Zeglovits vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES), Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Thomas Stern (Braintrust)
APA/Helmut Fohringer
Pressekonferenz von Eva Zeglovits von IFES, Nationalratspräsident Sobotka und Studienkoordinator Thomas Stern (v. l. n. r.)

„In ungeheurer Breite vorhanden“

Ohne ihn namentlich zu nennen, übte Sobotka bei der Vorstellung der Studie auch Kritik an FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, der am Samstag in seiner Rede bei einer Demo gegen die Coronavirus-Maßnahmen der Regierung Israel „Gesundheitsapartheid“ vorgeworfen hatte.

Man verwende diese Vergleiche, „weil diese antisemitischen Grundmuster noch in einer ungeheuren Dichte und Breite vorhanden sind“, sagte Sobotka. Wenn man die Rede „eines Klubobmanns“ hernehme, spielte Sobotka auf Kickl an, sehe man ganz klar, es werde kein anderes Land erwähnt, das auch Lockdowns habe oder eine besondere Impfstrategie, sondern es werde Israel genannt. Man bemühe den Sprachbegriff der „Apartheid“ und der „Unfreiheit“, wissend, dass Israel eigentlich die einzige Demokratie in dieser Region sei

Eng mit Verschwörungsmythen verbunden

Der Koordinator des Studienprojekts, Thomas Stern von der Agentur Braintrust, verwies auf den engen Zusammenhang zwischen Antisemitismus und dem Hang zu Verschwörungsmythen. 28 Prozent der Befragten empfinden die Aussage „Eine mächtige und einflussreiche Elite (z. B. Soros, Rothschild, Zuckerberg, …) nutzt die Corona-Pandemie, um ihren Reichtum und politischen Einfluss weiter auszubauen“ als sehr oder eher zutreffend. Und, so Stern: „Personen mit hohem Hang zu Verschwörungsmythen sind deutlich antisemitischer als der Rest der Bevölkerung.“

Eine Rolle spielt neben dem Alter und dem Bildungsgrad der Befragten auch, welche Medien sie konsumieren: Zwar gibt nur eine Minderheit an, Sozialen Netzwerken zu vertrauen. Wer dies tut, weise allerdings überdurchschnittlich starke antisemitische Einstellungen auf, zeigt die Studie. Die den Holocaust verharmlosende Position „In den Berichten über Konzentrationslager und Judenverfolgung im 2. Weltkrieg wird vieles übertrieben dargestellt“ nehmen 24 Prozent jener ein, die TikTok vertrauen, und 16 Prozent jener, die Facebook und YouTube vertrauen.

Von jenen, die traditionellen Zeitungen und Zeitschriften (egal ob im Print oder online) bzw. Nachrichten im Fernsehen oder Radio vertrauen, sind vier Prozent der Ansicht, dass die Aussage zutrifft. Es gebe einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Vertrauen in Soziale Netzwerke, Verschwörungsmythen und Antisemitismus, meinte Studienleiterin Eva Zeglovits.

Hinweis auf wachsende Sensibilisierung?

Im Vergleich zu 2018 scheinen die antisemitischen Einstellungen auf den ersten Blick etwas zurückgegangen zu sein. So fanden 2018 zum Beispiel 39 Prozent der Befragten die Aussage „Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt“ sehr oder eher zutreffend, 2020 galt das lediglich für 26 Prozent.

Die Studienautoren betonen aber, dass die Ergebnisse nicht wirklich miteinander vergleichbar sind. So spiele es auch eine Rolle, inwieweit gewisse Antworten als sozial erwünscht angesehen werden. Die Befragung fand kurz nach dem islamistisch motivierten Terroranschlag vom Allerseelentag in der Nähe der Synagoge in der Wiener Innenstadt statt, was wohl auch noch nachgewirkt haben könnte.

„Auch wenn es sich bei den Rückgängen um Effekte sozial erwünschten Antwortverhaltens handeln sollte, ist dies für uns relevant und wichtig. Denn dadurch wird eine wachsende Sensibilisierung für die Problematik des Antisemitismus deutlich, die wiederum Grundlage für eine tatsächliche Einstellungsänderung ist“, meinte Sobotka.

„Gemeinsamer Kampf wichtiger denn je“

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bedankte sich für die Studie, denn der gemeinsame Kampf gegen Antisemitismus sei wichtiger denn je. Nehemmer verwies in einer Aussendung auf antisemitische Vorfälle bei den Demos gegen die CoV-Maßnahmen. So werde etwa mit dem Tragen von gelben Judensternen „auf perfide Art und Weise versucht, die Verbrechen des Holocaust zu verharmlosen“.

„Wer Antisemitismus effektiv bekämpfen will, der muss vor allem wissen, woher dieser kommt“, so Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) in einer Aussendung: Und „dieser Frage geht diese Studie ausführlich nach und nimmt dabei insbesondere Bezug auf aktuelle Entwicklungen.“

FPÖ fordert Entschuldigung von Sobotka

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz reagierte per Aussendung indes auf Sobotkas Vorwürfe Richtung Kickl. Diesen „in Verbindung mit Antisemitismus bringen zu wollen ist vollkommen letztklassig und hat mit der Realität nicht das Geringste zu tun“.

Als besonders verwerflich befindet es Schnedlitz, dass Sobotka ausgerechnet die Präsentation einer Antisemitismusstudie dazu missbrauche, einen politischen Mitbewerber zu diffamieren. Der FPÖ-Generalsekretär warf Sobotka in diesem Zusammenhang mangelnde Neutralität vor und forderte von diesem eine Entschuldigung bei Kickl.