EU-Flaggen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
Impfstoffverteilung

EU erklärt Abweichungen

In einer überraschend anberaumten Pressekonferenz hat Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitag eine ungleiche Impfstoffverteilung innerhalb der EU kritisiert. Er sprach von „Hinweisen“ auf einen „Basar“, auf dem sich einzelne EU-Staaten mehr Impfstoff sichern würden. Die EU-Kommission sieht das freilich anders und klärte das in einer Reaktion umgehend auf.

Der Kommission zufolge kann es tatsächlich zu Abweichungen des ursprünglich zwischen den EU-Staaten vereinbarten Schlüssels kommen. Das hängt laut EU aber nicht daran, dass sich einzelne Staaten entgegen der Vereinbarung zusätzliche Liefermengen sichern würden. Vielmehr würden in einem „Steering Committee“, in dem alle EU-Staaten vertreten sind, konkrete Lieferungen bei den einzelnen Impfstoffherstellern fixiert. Kurz meinte mit dem „Basar“ genau dieses Komitee.

Österreich ist im „Steering Committee“ mit Clemens Martin Auer, dem Sonderbeauftragten des Gesundheitsministeriums, hochrangig vertreten. Auer ist der stellvertretende Vorsitzende der EU-Steuerungsgruppe. Er selbst habe mit Auer nicht gesprochen, sagte Kurz auf Nachfrage bei der Pressekonferenz, allerdings Vizekanzler Werner Kogler (Grüne).

„Ich weiß nicht, wer die Verträge unterschrieben hat“ und warum in dem Board „anscheinend andere Vereinbarungen getroffen worden sind“, sagte Kurz und forderte Transparenz. „Es muss aufgeklärt werden, wie die Verträge im ‚Steering Board‘ aussehen.“ Er ergänzte, dass es schwierig sei, an Informationen heranzukommen, „da alle Mitglieder Geheimhaltungsvereinbarungen unterschrieben haben“.

Welches Land bestellt wie viel wovon?

Wer besonders viele Dosen von Pfizer und Biontech im Rahmen des „Steering Committee“ für sich beantragt habe, der liege nun bei den Lieferungen voran – wer aber mehr AstraZeneca bestellt habe, der gerate ins Hintertreffen, hieß es in der ZIB um 13.00 Uhr unter Berufung auf die EU-Kommission. AstraZeneca hatte ja vor ein paar Wochen Lieferschwierigkeiten angekündigt.

ZIB-Korrespondent Peter Fritz aus Brüssel

Peter Fritz analysiert die Gründe, warum es zu unterschiedlichen Verteilungen kommt.

Es hänge davon ab, welches Land welche Mengen welchen Impfstoffes bestellt habe. So habe Österreich die Möglichkeit gehabt, mehr Pfizer und Biontech zu bestellen, sich damals aber für AstraZeneca entschieden, mit dem es aktuell Lieferprobleme gibt, berichtete ORF-Korrespondent Peter Fritz unter Berufung auf informelle Informationen aus der Kommission.

Kurz vermutet Absprachen

Kurz hatte zuvor die Verteilungspolitik in der EU scharf kritisiert. Die Coronavirus-Impfdosen würden nicht wie vereinbart nach Bevölkerungsschlüssel an die Mitgliedsstaaten verteilt. Es gebe „Hinweise“ darauf, dass es zusätzliche Absprachen auf einem „Basar“ zwischen einzelnen Mitgliedsländern und der Pharmaindustrie gegeben habe.

Während Österreich bei der Verteilung der Dosen im Mittelfeld liege und bisher keinen Schaden zu beklagen habe, würden Staaten wie Bulgarien stark benachteiligt. Laut Kurz würden diese, wenn sich der Trend fortsetze, erst im späten Sommer oder Herbst mit der Durchimpfung fertig sein. Andere könnten dagegen schon im Mai fertig sein. Als Beispiel nannte Kurz, dass Malta bezogen auf die Bevölkerungszahl bis Ende Juni dreimal so viele Dosen erhalten werde wie Bulgarien. Die Niederlande bekämen bis dahin das Doppelte von Kroatien.

„Volle Transparenz“

Kurz forderte „volle Transparenz“ und faire Verteilung. Auf nationaler Ebene stimme er hier mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) überein, dass herausgefunden werden müsse, wer mögliche zusätzliche Verträge unterschrieben habe und warum vom gemeinsamen europäischen Ziel abgewichen werde, gleichmäßig zu verteilen.

Kogler war bei dem Pressegespräch nicht zugegen. Im Juni 2020 wurde von der EU beschlossen, den Impfstoff für alle Mitgliedsstaaten gemeinsam zu beschaffen. Dieser sollte pro Kopf fair auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden. Kurz bezeichnete das als „guten Ansatz“, den er voll unterstütze.

Kurz vermutet ungleiche Impfstoffverteilung

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Freitag die Verteilungspolitik in der EU scharf kritisiert. Die Coronavirus-Impfdosen würden nicht wie vereinbart nach Bevölkerungsschlüssel an die Mitgliedsstaaten verteilt. Es gebe „Hinweise“ darauf, dass es zusätzliche Absprachen auf einem „Basar“ zwischen einzelnen Mitgliedsländern und der Pharmaindustrie gegeben habe.

Das Gesundheitsministerium unterstrich indes, dass das „Ziel in dieser entscheidenden Phase eine gerechte, gleichberechtigte Aufteilung der Impfstoffe innerhalb der EU für die Sicherstellung einer gleichzeitigen Impftätigkeit sein muss“. Das sei das gemeinsame Bemühen des Gesundheitsministeriums und des Bundeskanzleramtes.

EU verteidigt „Steering Committee“

Der Steuerungsausschuss mit Gesundheitsbeamtinnen und -beamten – also das „Steering Committee“ – der Mitgliedsstaaten sei wichtig bei der Umsetzung der Verträge, so die Kommission. Entscheidungen in dem Board würden aber zwischen den EU-Staaten und der EU-Kommission gemeinsam vereinbart.

Die EU-Kommission halte an ihrem Ziel fest, dass bis Ende des Sommers alle Erwachsenen in der EU geimpft seien, sagte ein Sprecher der EU-Behörde weiter. Die Impfstofflieferungen seien eine wichtige Komponente, aber nicht die einzige.

Heftige Kritik von Oppositionsparteien

Die Oppositionsparteien kritisierten Kurz scharf. Der Kanzler versuche „auf unwürdige Art und Weise, Sündenböcke für sein Versagen zu finden“, meinte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher. NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger kritisierte, dass Österreich „womöglich“ selbst Impfstoff ausgeschlagen habe. Meinl-Reisinger konstatierte auf Twitter: „Leadership eine Katastrophe. Und jetzt? Ablenkung“.

NEOS-Klubobmann und -Gesundheitssprecher Gerald Loacker fragte, warum der Sonderbeauftragte des Gesundheitsministeriums, Auer, in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der EU-Steuerungsgruppe der ungleichen Verteilung überhaupt zustimmte. Loacker kritisierte außerdem, dass Kurz davon nichts wusste, wie dieser zuvor selbst vor Journalistinnen und Journalisten gesagt hatte.

Auch die SPÖ kritisierte, dass in der Regierung „völliges Chaos“ herrsche. Kurz wisse „nicht einmal, was seine Spitzenbeamten in der EU ausverhandeln“, so Kucher in einer Aussendung. Sowohl Kucher als auch Loacker forderten Aufklärung. Gleichzeitig äußerten die beiden Nationalratsabgeordneten aber auch die Vermutung, dass Kurz mit den Vorwürfen von „diversen Korruptionsvorwürfen“ bzw. seinem eigenen „Versagen“ ablenken wolle.

Der FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky fragte auf Twitter: „Wann schmeißen Kurz/Anschober nach der ‚Impfstoff Benachteiligung Österreichs‘ Ihren in der EU dafür zuständigen stellvertretenden Vorsitzenden des ‚Gemeinsamen EU Impfstoffausschusses‘ hinaus?“

Österreich schöpfte Bestellungen nicht voll aus

Erst am Dienstag war bekanntgeworden, dass Österreich und mehrere weitere EU-Länder etwa nicht so viele Dosen des Impfstoffs von Moderna bestellt hatten, wie sie hätten können. Österreich schöpfte zwar sein volles Kontingent des ersten und zweiten Vertrags der EU mit Moderna aus, bei einer Zusatzoption wurde aber weniger abgerufen, wie das Gesundheitsministerium in Wien einen Bericht von „Politico“ (Onlineausgabe) bestätigte.

Der Zeitplan zeigte dem Bericht zufolge auch, dass Österreich, Portugal und Kroatien kleinere Bestellungen für die zweite Charge von Moderna-Dosen aufgaben. Der Grund: der späte Liefertermin. Wie die EU-Kommission dem ORF in Brüssel am Freitag mitteilte, seien auch die Möglichkeiten Österreichs bei Biontech und Pfizer nicht voll ausgeschöpft worden.

Weil die Kritik am Impfstoff von AstraZeneca auch in Österreich lauter wird, sagte Kurz am Freitag erneut, dass er sich mit AstraZeneca impfen lassen wolle und dass hoffentlich alle Europäerinnen und Europäer bis zum Sommer die Möglichkeit erhalten würden, zur Normalität zurückzukehren.