Männer mit Schutzhandschuhen halten Boxen mit Covid-Impfstoffen
AP/Morry Gash
Nach Kurz-Kritik an EU

Debatte über Impfstoffverteilung hält an

Das Gesundheitsministerium widerspricht der Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an der Verteilung von Impfstoffen unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union – es gebe keine Basarmethoden. Der Kanzler aber hält an seinem Unmut fest und fordert gemeinsam mit vier Amtskollegen einen eigenen EU-Gipfel zu dem Thema.

Die Verhandlungen über die Verteilung der Vakzine seien „ausgewogen und transparent“ gelaufen, sagte die Generalsekretärin des Ministeriums, Ines Stilling, am Samstag im Ö1-Morgenjournal. Alle Mitgliedsstaaten, also auch Österreich, hätten die Möglichkeit gehabt, freie Vakzinkontingente zu kaufen. Es sei nicht nach dem Prinzip gegangen, wer zuerst oder am lautesten rufe, betonte Stilling.

Kurz hatte am Freitag scharfe Kritik an der Verteilung von Impfstoffen in der Europäischen Union geübt und den Verdacht von Nebenabsprachen einzelner Mitgliedsstaaten mit Pharmaunternehmen geäußert. Damit würde ein EU-Gipfelbeschluss verletzt, wonach die Impfstoffe gleichmäßig nach der Bevölkerungsanzahl an die Staaten verteilt werden sollen. Kurz verwies darauf, dass etwa Malta dreimal so viele Impfstoffdosen pro Kopf erhalten habe wie Bulgarien. Österreich selbst sei nicht benachteiligt. In einem gemeinsamen Brief mit vier Amtskollegen fordert er nun einen EU-Gipfel zum Thema Impfstoffverteilung.

ZIB-Korrespondent Peter Fritz aus Brüssel

Peter Fritz analysiert die Gründe, warum es zu unterschiedlichen Verteilungen kommt

Mitgliedsstaaten konnten selber wählen

Jeder Mitgliedstaat sei bei den Verhandlungen im Sommer 2020 gefragt worden, wie viel er von jedem bestimmten Impfstoff haben wolle, hielt dagegen Stilling gegenüber Ö1 fest. Angeboten worden sei zumindest ein Anteil an Dosen eines bestimmten Impfstoffs gemäß Anteil der Bevölkerung eines Mitgliedslandes an der EU-Gesamtbevölkerung. Jedes Mitgliedsland habe sich an jedem Impfstoff aber unterschiedlich viel gesichert.

Die Impfstoffverteilung sei zudem laufend Thema im Ministerrat, sodass auch das Bundeskanzleramt laufend informiert sei. Seit Jänner gebe es in Österreich sogar einen eigenen Steuerungsausschuss zu Beschaffung und Lieferplänen unter Einbeziehung des Bundeskanzleramts, so Stilling.

Ines Stilling (Generalsekretärin des Gesundheitsministeriums)
APA/Hans Punz
Stilling spricht von „ausgewogenen, transparenten Verhandlungen“

Am Samstag wollte das Gesundheitsministerium zugleich nochmals betont wissen, dass „unser gemeinsames Ziel“ sei, möglichst rasch und im europäischen Gleichklang zu impfen. „Prioritär sind dabei vor allem die über 65-Jährigen und die Risikogruppen.“ Die Impfkampagne sei von Anfang ein gemeinsames Projekt der Bundesregierung als eines der wichtigsten Vorhaben zur Bekämpfung der Pandemie gewesen.

„Ziel muss in dieser entscheidenden Phase eine gerechte gleichberechtigte Aufteilung der Impfstoffe innerhalb der EU für die Sicherstellung einer gleichzeitigen Impftätigkeit sein. Das ist das gemeinsame Bemühen des Gesundheitsministeriums und des Bundeskanzleramts. Daher muss die Europäische Union jetzt sicherstellen, dass in Zeiten von Impfstoffknappheit alle Mitgliedsstaaten fair beliefert werden – nämlich so wie ursprünglich versprochen, und alle gleich viel an Impfstoff pro Person erhalten.“

Brief von Kurz und Kollegen

Bundeskanzler Kurz hat unterdessen in einem gemeinsamen Brief mit vier Amtskollegen einen EU-Gipfel zum Thema Impfstoffverteilung gefordert. Damit alle EU-Staaten ihre Impfziele für das zweite Quartal erreichen, solle EU-Ratspräsident Charles Michel „so bald wie möglich“ einen Gipfel abhalten, heißt es in dem am Samstag veröffentlichen Schreiben der Regierungschefs von Österreich, Tschechien, Slowenien, Bulgarien und Lettland an die EU-Spitze.

Forderung nach EU-Gipfel zu Impfstoffverteilung

Österreich, Tschechien, Slowenien Bulgarien und Lettland fordern im Streit um die Verteilung der Impfstoffe nun ein EU-Gipfeltreffen. Der Streit wird durch die angekündigten Kürzungen der Lieferungen von AstraZeneca noch angefacht werden.

Das Schreiben an Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wiederholt im Wesentlichen die von Kurz am Freitag in einer Pressekonferenz gemachten Aussagen. Kurz und seine Amtskollegen Andrej Babis (Tschechien), Janez Jansa (Slowenien), Bojko Borissow (Bulgarien) und Krisjanis Karins (Lettland) berichten, sie hätten „in den vergangenen Tagen entdeckt“, dass die Lieferungen der Impfstoffdosen durch die Pharmafirmen nicht entsprechend dem Bevölkerungsschlüssel erfolgen.

Warnung vor „riesigen Ungleichheiten“

„Wenn dieses System so weitergeht, würde das bis zum Sommer riesige Ungleichheiten unter den Mitgliedsstaaten schaffen und vertiefen. So würden einige in wenigen Wochen die Herdenimmunität erreichen können, während andere weit zurückblieben“, beklagten die fünf Regierungschefs. „Aus unserer Sicht widerspricht das nicht nur unserer Vereinbarung, sondern auch dem Geist der europäischen Solidarität.“

Die Premiers verwiesen darauf, dass die EU-Staaten Ende Dezember ihre Impfkampagnen gleichzeitig gestartet hätten und die Kommission zu Recht gemeinsame Impfziele für das zweite Quartal 2021 gesetzt habe. „Wir müssen nun sicherstellen, dass alle Mitgliedsstaaten die gleiche Chance haben, diese Ziele zu erreichen. Aus diesem Grund rufen wir Dich, Charles, auf, so bald wie möglich eine Gipfeldiskussion über diese wichtige Frage abzuhalten.“

Von den fünf Unterzeichnern des Schreibens sind drei (Bulgarien, Tschechien und Lettland) bisher schlechter ausgestiegen als bei einer konsequenten Verteilung der Impfdosen nach der Bevölkerung. Slowenien und Österreich haben so viele Dosen erhalten, wie es ihrer Bevölkerungsanzahl entspricht. Kroatien, das in der bisherigen Bilanz mit minus 27 Prozent an drittletzter Stelle liegt, schloss sich dem Schreiben nicht an. Der kroatische Premier Andrej Plenkovic äußerte am Freitag bei einem Besuch in Brüssel sogar Unverständnis für den Vorstoß des Kanzlers. Es komme ganz einfach darauf an, welches Land bei welchem Hersteller bestellt habe, sagte Plenkovic.

Unverständnis in Berlin und Brüssel

Malta wies die Kritik des Kanzlers am Freitag ebenso zurück wie Deutschland. „Es ist vereinbart, dass die Verteilung der Impfstoffkontingente zwischen den Mitgliedsstaaten grundsätzlich nach dem Bevölkerungsanteil erfolgt“, sagte ein deutscher Regierungssprecher. „Für den Fall, dass Mitgliedsstaaten die ihnen zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, wurde ein Verfahren etabliert, das anderen Mitgliedsstaaten den ‚Aufkauf‘ dieser nicht abgenommenen Dosen ermöglicht“, fügte er hinzu. Auch dabei würden die Bestellungen nach demselben Verfahren verteilt. „Wenn ein Mitgliedsstaat dabei keine Dosen bestellt, erhält er auch nichts.“ Ähnlich hatte sich zuvor auch die EU-Kommission geäußert.

Die FPÖ kritisierte Kurz für sein „verzweifeltes EU-Bashing“. Dieses sei „unglaubwürdig“. „Im November noch applaudierte der Kanzler im Rahmen einer Videokonferenz der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die von der Impfstoffbeschaffung als einer der großen Erfolgsgeschichten der EU sprach“, sagte Klubobmann Herbert Kickl am Samstag. „Nur einen Tag nach dem Bekanntwerden einer für den Kanzler katastrophalen Umfrage, in der fast zwei Drittel aller Befragten dem von der Regierung hauptsächlich eingekauften Impfstoff von AstraZeneca misstrauen, hat Sebastian Kurz zufällig die Schuld der EU entdeckt“, heißt es in der FPÖ-Aussendung.