Politologe Peter Filzmaier im ZiB2-Studio
ORF
Impfstreit

Kein „Zeichen von Souveränität“

Die Debatte über die Verteilung der CoV-Impfstoffe innerhalb der EU ist im Laufe des Wochenendes zu einer Belastungsprobe für die Koalition geworden. Es kam zu einem Schlagabtausch zwischen der ÖVP und dem vom grünen Koalitionspartner geführten Gesundheitsministerium – Rücktrittsforderungen inklusive. Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier zeigte sich ob der Vorgänge verwundert und äußerte scharfe Kritik.

Die „Impfsache“ laufe angesichts des langsamen Tempos „furchtbar schief“, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stehe „objektiv und wohl auch subjektiv gewaltig unter Druck“, analysierte Filzmaier in der ZIB2 am Sonntag die politischen Geschehnisse. Kurz sei mit schlechten Umfragewerten konfrontiert, hielten doch zwei Drittel das Coronavirus-Management der Regierung für schlecht.

Vor diesem Hintergrund sei es umso ungewöhnlicher, dass Kurz die Probleme der Impfstoffbeschaffung öffentlich mache und sich nicht hinter den Kulissen um eine Lösung bemühe. Und: Sehr viele als „Totalversager zu bezeichnen mit Ausnahme von sich selber“ sei kein „Zeichen von Souveränität“, so Filzmaier. Wenn das jeder politische Akteur so mache, „haben wir nicht ein Vertrauensdefizit in der Pandemiebekämpfung, sondern ein Vertrauensfiasko“.

Politologe Filzmaier ortet „Vertrauensfiasko“ in Pandemiebekämpfung

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier analysiert den Koalitionsstreit über die Impfbeschaffung.

Kritik am „Stil des Abputzens“

Auf die Frage, wie glaubwürdig die Überraschung des Bundeskanzlers über die Impfstoffverteilung und die Liefermenge sei, antwortete der Politologe, dass es „schon irritierend“ sei, dass Kurz die Impfung kürzlich noch offensiv als „Gamechanger“ präsentiert habe und dann von den Verträgen und Gepflogenheiten innerhalb der EU nichts mitbekommen haben wolle. „Da muss er sich dann schon die Frage gefallen lassen: Was hat er bis zum letzten Freitag eigentlich beruflich im Jahr 2021 so gemacht?“, sagte Filzmaier.

Noch problematischer sei jedoch der „Stil des Abputzens.“ Schließlich habe Kurz Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) über seine Partei ausrichten lassen, dass dieser zwei Spitzenbeamte entlassen solle. Wenn die Grünen so gehandelt hätten, würde das von der ÖVP „zu Recht als Kriegserklärung verstanden werden“. Und weiter: „Umgekehrt erwartet die ÖVP, dass die Grünen das nicht als Kriegserklärung verstehen. Also da hofft man schon sehr, dass Anschober in sich ruht“, sagte Filzmaier.

Natürlich sei es legitim, die EU auf einer sachlichen Ebene zu kritisieren, allerdings dürfe man dabei nicht vergessen: „Die EU, das sind wir alle.“ Das bedeute, wenn etwas grundsätzlich schiefgehe, seien dem Politologen zufolge auch alle Mitgliedsstaaten schuld.

Konflikt in Koalition

Kurz’ Kritik zur Impfstoffbeschaffung in der EU wurde am Wochenende zum Gegenstand eines Koalitionskonflikts zwischen der ÖVP und dem Gesundheitsministerium. Ines Stilling, Generalsekretärin im Gesundheitsministerium, hatte Samstagfrüh im Ö1-Morgenjournal betont, die Verhandlungen über die Verteilung in der EU seien „ausgewogen und transparent“ gelaufen.

Alle Mitgliedsstaaten, also auch Österreich, hätten die Möglichkeit gehabt, freie Vakzinkontingente zu kaufen. Es gebe keine Basarmethoden, wie Kurz es genannt hatte, so Stilling. Die Impfstoffverteilung sei zudem laufend Thema im Ministerrat, sodass auch das Bundeskanzleramt laufend informiert sei.

Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Roland Schlager
Kurz nahm am Freitag die Impfstoffverteilung in der EU ins Visier und setzte am Samstag mit Kritik am Gesundheitsministerium fort

ÖVP fordert Suspendierungen

ÖVP-Gesundheitssprecherin Gaby Schwarz verlangte daraufhin die Suspendierung Stillings und des schwarzen Spitzenbeamten Clemens Martin Auer. Dieser ist CoV-Sonderbeauftragter im Gesundheitsministerium und stellvertretender Vorsitzender im EU-Lenkungsgremium für die Impfstoffbeschaffung (EU-Steering-Board). Es ist aber laut in der EU für das Thema Zuständige auszuschließen, dass ein hoher Beamter wie Auer von sich aus ein Impfstoffgeschäft in dieser Größenordnung tätige, berichtete der „Standard“ am Samstag.

Es stelle sich insbesondere die Frage, so Schwarz, wie man Verträge habe abschließen können, die dazu geführt hätten, dass andere EU-Länder mehr Impfstoff bekommen würden, und warum die Vereinbarung der EU-Staats- und -Regierungschefs gebrochen worden sei. „Es ist kaum vorstellbar, dass Anschober darüber im Detail Bescheid wusste. Es gilt aufzuklären, ob er von den zuständigen Beamten des Gesundheitsministeriums getäuscht wurde.“ Anschober war krankheitsbedingt nicht im Einsatz. Er will am Montag seine Arbeit wieder voll aufnehmen.

Kurz forderte „volle Transparenz“

Nach Schwarz nahm Kurz via „Österreich“ selbst Stellung und forderte auch auf nationaler Ebene volle Transparenz über Vereinbarungen. „Ich fordere das Ministerium auf, jetzt zu prüfen, wie das passieren konnte. Ich hoffe sehr, dass sich die Beamten an die Vorgaben der Politik gehalten haben.“ Das Gesundheitsministerium müsse die Verträge und alle getätigten Bestellungen offenlegen, damit Klarheit besteht, „ob wir hier wirklich mehr Impfstoff hätten bestellen können“.

Covid-Sonderbeauftragter Clemens Martin Auer und Gesundheitsminister Rudolf Anschober
APA/Robert Jäger
Die ÖVP forderte die Suspendierung des hochrangigen Beamten Auer (l.) im grün geführten Gesundheitsministerium

Opposition sieht Schuld bei Kurz

Die Rufe nach Suspendierungen sorgten in der Opposition für Irritation. SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher warf Kurz vor, für sein eigenes Impfchaos andere verantwortlich zu machen. Dabei zeige sich einmal mehr: „Wenn Sebastian Kurz mit dem Finger auf andere zeigt, hat er in aller Regel selbst was verbockt.“ Seit dem Sommer 2020 sei die Impfstoffbeschaffung nämlich mindestens neunmal Thema im Ministerrat gewesen, verwies Kucher auf die entsprechenden Protokolle.

Kucher äußerte zudem den Verdacht, das Finanzministerium von Minister Gernot Blümel (ÖVP) habe bei den Impfungen sparen wollen. Das wurde vom Ministerium zurückgewiesen. Im Ministerrat sei klar vereinbart gewesen, so viel Impfstoff wie möglich zu beschaffen, die budgetären Mittel dafür seien gestellt worden. Für 2020 und 2021 stehen laut Finanzressort zusammen 278 Mio. Euro zur Verfügung, davon habe das Gesundheitsressort erst knapp 53 Mio. Euro beansprucht.

Auch FPÖ-Klubchef Herbert Kickl übte entsprechende Kritik an der Regierung. Es sei nicht vorstellbar, dass Kurz nicht informiert gewesen sei. „Ausgerechnet Message-Control-Kanzler Kurz, der zudem von Anfang an in Sachen Corona eine Art ‚Richtlinienkompetenz‘ für sich reklamiert hat, will nicht über die Beschaffungsvorgänge bei den Impfstoffen informiert gewesen sein? Unglaubwürdiger geht es nicht mehr“, meinte er und ortete einen Ablenkungsversuch.

Grüne zurückhaltend

Die Grünen blieben angesichts der Attacken ihres Koalitionspartners weiterhin höchst zurückhaltend. Lediglich Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner meldete sich Sonntagabend zu Wort. In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ verteidigte er die involvierten Mitarbeiter des Gesundheitsressorts. „Sie sind Beamte, sie dürfen nicht mehr ausgeben, als ihnen zur Verfügung gestellt wurde“, verwies er auf den vom Finanzministerium vorgegebenen Deckel. „Sich heute hinzustellen und den Rücktritt von den beiden zu fordern ist aus meiner Sicht deutlich überzogen“, nahm er Auer und Stilling in Schutz.