Impfettiketts für den Impfstoff AstraZeneca
Reuters/Hannibal Hanschke
Coronavirus-Impfungen

Berlin, Paris und Rom setzen AstraZeneca aus

Auch Deutschland, Frankreich und Italien setzen nun die CoV-Impfung mit dem Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca aus. Das deutsche Gesundheitsministerium in Berlin teilte am Montagnachmittag mit, man folge damit einer Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts. Kurz darauf folgte auch Frankreich. Man setzte die Impfungen mit AstraZeneca vorerst aus, so der französische Präsident Emmanuel Macron.

Italien setzt ebenfalls die Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin landesweit aus. Die Arzneimittelbehörde nannte den Schritt Montagnachmittag eine „vorsorgliche und vorübergehende Maßnahme“. Zuvor waren einzelne Chargen nach ungeklärten Todesfällen im Zusammenhang mit der Impfung beschlagnahmt worden. In Wien trat indes das heimische Impfgremium zusammen. Wie es aus dem Büro von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hieß, sollte noch im Laufe des Abends eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob das Vakzin in Österreich weiter verimpft wird.

Nach Berichten über Komplikationen durch Blutgerinnsel nach der Impfung hatten bereits die Niederlande, Irland, Dänemark, Norwegen und Island den Einsatz des Impfstoffs vorübergehend ausgesetzt. Italien und Österreich hatten die Verwendung von bestimmten Chargen gestoppt. Zuvor waren einzelne Fälle in Österreich, Dänemark und Norwegen bekanntgeworden, in denen schwere Blutgerinnsel nach der Verabreichung des Mittels auftraten. In Großbritannien wurden bisher keine Fälle schwerer Nebenwirkungen bekannt. Das Paul-Ehrlich-Institut halte weitere Untersuchungen für notwendig, teilt das deutsche Gesundheitsministerium via Twitter mit.

Spahn: Fachliche und nicht politische Entscheidung

Hintergrund sind neue Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der AstraZeneca-Impfung. „Bis jetzt gibt es sieben berichtete Fälle, die im Zusammenhang mit einer solche Hirnvenenthrombose stehen bei mittlerweile über 1,6 Millionen Impfungen in Deutschland“, sagte der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über die Fälle in Deutschland. „Es geht um ein sehr geringeres Risiko – aber falls es tatsächlich im Zusammenhang mit der Impfung stehen sollte, um ein überdurchschnittliches Risiko.“ Laut dem zuständigen deutschen Paul-Ehrlich-Institut solle man sich in ärztliche Behandlung begeben, wenn man sich mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühle, etwa mit starken oder anhaltenden Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen, sagte Spahn weiter.

Außenansicht der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) in Amsterdam
Reuters/Piroschka Van De Wouw
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA)

Bis Sonntag waren laut Robert-Koch-Institut 1,65 Millionen Dosen AstraZeneca-Impfstoff in Deutschland verabreicht worden. Bis auf wenige hundert Fälle betreffen alle diese Impfungen die erste von zwei für den Impfschutz nötigen Impfungen. Die Aussetzung betreffe nun auch alle Folgeimpfungen, sagte Spahn.

Warten auf EMA

Nun ist die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) am Zug, denn dort wird an einer erneuerten Bewertung des Impfstoffs gearbeitet. Im Zuge einer Sondersitzung am Donnerstag will die EMA die vorliegenden Informationen über den AstraZeneca-Impfstoff bewerten. Das Sicherheitskomitee untersuche gegenwärtig weiter das Auftreten von Thrombosen bei einer sehr kleinen Zahl von Personen, teilte die EMA mit. Zurzeit sei man weiter der Überzeugung, dass die Vorteile von AstraZeneca bei der Verhinderung einer CoV-Infektion mit der Gefahr eines tödlichen Verlaufs größer seien als das Risiko durch Nebenwirkungen.

Die Experten und Expertinnen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden am Dienstag über den Impfstoff von AstraZeneca beraten. Das Beratergremium habe die Daten zur Sicherheit des Vakzins geprüft und stehe „in engem Kontakt mit der Europäischen Arzneimittelagentur“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Montag. Er fügte hinzu: „Wir werden uns morgen treffen.“

Spahn setzte zuvor darauf, dass die EMA „idealerweise noch im Laufe dieser Woche zu ihrer Entscheidung“ kommt. Falls der Impfstoff weiter zugelassen wird, sollten auch die Impfungen wieder anlaufen. „Uns allen ist die Tragweite dieser Entscheidung sehr bewusst“, sagt der CDU-Politiker. Das sei eine fachliche und keine politische Entscheidung.

Macron äußerte die Hoffnung, die Impfungen mit dem Vakzin des britischen Herstellers „bald wieder aufnehmen“ zu können. Er verwies bei einem französisch-spanischen Gipfeltreffen in Montauban ebenfalls auf die ausstehende Entscheidung der EMA. Auch die Arzneimittelbehörde in Rom erklärte, sie warte die Stellungnahme der EU-Aufseher ab. Bis dahin sei der Einsatz des Impfstoffs in ganz Italien untersagt.

WHO und EMA sehen kein Problem

Noch Montagfrüh hatte es aus dem deutschen Gesundheitsministerium geheißen, Deutschland werde das Vakzin trotz des Impfstopps in mehreren Ländern weiter verwenden. Dazu rief auch die WHO auf. „Bis heute gibt es keine Hinweise darauf, dass die Vorfälle durch den Impfstoff verursacht werden, und es ist wichtig, dass die Impfkampagnen fortgesetzt werden, damit wir Leben retten und schwere Krankheiten durch das Virus eindämmen können“, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier.

Die EMA sieht indes keine Hinweise darauf, dass die Fälle von Blutgerinnseln durch die Impfung mit AstraZeneca verursacht wurden – eine Einschätzung, der sich bisher auch das Paul-Ehrlich-Institut noch angeschlossen hatte. Die EMA betonte in der vergangenen Woche, dass die bisher verfügbaren Informationen zeigten, dass die Anzahl der thromboembolischen Vorfälle bei geimpften Personen nicht höher sei als in der Allgemeinbevölkerung.

Johnson weiterhin von Sicherheit überzeugt

AstraZeneca selbst verteidigte seinen Covid-19-Impfstoff. Der Pharmakonzern sehe kein erhöhtes Risiko von Blutgerinnseln im Zusammenhang mit dem Vakzin. Eine sorgfältige Analyse aller verfügbaren Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Menschen, die in der Europäischen Union und in Großbritannien mit dem Mittel geimpft worden seien, habe keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko einer Lungenembolie, einer tiefen Venenthrombose oder eines Rückgangs der Blutplättchen ergeben, teilte AstraZeneca am Sonntagabend mit.

Anders als mehrere andere europäische Länder nutzt Großbritannien weiter den Impfstoff von AstraZeneca. „Wir prüfen die Berichte genau, aber angesichts der großen Anzahl verabreichter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinnsel auf natürliche Weise auftreten können, deuten die verfügbaren Beweise nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist“, sagte Phil Bryan von der britischen Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA) einer Mitteilung zufolge. „Alle Menschen sollten sich gegen Covid-19 impfen lassen, wenn sie dazu aufgefordert werden“, sagte Bryan.

Auch der britische Premierminister Boris Johnson ist weiterhin von der Sicherheit und Effektivität des Vakzins überzeugt, wie ein Sprecher am Montag vor Journalisten betonte. Jeder, der eine Einladung dafür erhalte, sei dazu aufgerufen, sich damit impfen zu lassen. Zuletzt hatte die irische Impfkommission sich für einen vorübergehenden Stopp der Impfungen mit dem Präparat ausgesprochen, das der Konzern AstraZeneca gemeinsam mit der Universität Oxford entwickelt hat. Es handle sich um eine Vorsichtsmaßnahme.

US-Experten prüfen Studiendaten

In den USA nehmen derzeit unabhängige Berater Studiendaten zum AstraZeneca-Impfstoff unter die Lupe, um dessen Wirksamkeit und Sicherheit festzustellen. Die Daten stammen aus einer US-Studie mit 30.000 Personen. Sollten diese positiv ausfallen und alles nach Plan laufen, könnte die US-Arzneimittelbehörde FDA ihre Notzulassung für das Vakzin in etwa einem Monat erteilen, sagt der Chef der Nationalen Gesundheitsdienste, Francis Collins.