Imfstoff von AstraZeneca
Reuters/Florion Goga
AstraZeneca

Experte sieht „guten“ Weg Österreichs

Nach dem Auftreten sehr seltener Hirnvenenthrombosen in zeitlicher Nähe zu einer Impfung mit AstraZeneca haben viele europäische Länder die Verwendung des CoV-Vakzins ausgesetzt. Hierzulande wird das Präparat weiter verimpft, was Experten begrüßen. Der österreichische Weg, weiter zu impfen, während der mögliche Zusammenhang zwischen Impfung und der Erkrankung untersucht werde, sei gut, sagte der Virologe Florian Krammer in der ZIB2.

In Deutschland gab es nach Angaben des für die Impfstoffzulassung zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts insgesamt sieben Fälle von Blutgerinnseln im Gehirn. Betroffen waren sechs Frauen und ein Mann im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Drei von ihnen starben. Die Erkrankungen seien in einem Zeitraum von vier bis 16 Tagen nach der Impfung mit dem CoV-Impfstoff Astrazeneca aufgetreten.

Die Fachleute setzten die Anzahl der ohne Impfung erwarteten Fälle binnen 14 Tagen mit der Anzahl der gemeldeten Fälle nach etwa 1,6 Millionen AstraZeneca-Impfungen in Deutschland ins Verhältnis. Nach dieser Rechnung wäre etwa ein Fall von Venenthrombosen im Gehirn zu erwarten gewesen. Die Impfung mit dem Präparat wurde vorläufig ausgesetzt.

Impfstoffforscher Krammer zu AstraZeneca-Impfungen

Das Aussetzen von Coronavirus-Impfungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff in weiten Teilen Europas sorgt für Kritik. In der ZIB2 war Florian Krammer, Impfstoffforscher am Mount-Sinai-Spital in New York, dazu im Interview.

Der in New York tätige österreichische Virologe Krammer erklärte in der ZIB2, ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und dem Auftreten der Hirnvenenthrombosen müsse untersucht und transparent gemacht werden. Es sei aber möglich, „weiter zu impfen, gleichzeitig vorsichtig zu sein und zu untersuchen“. „Der österreichische Weg ist da ganz gut“, sagte Krammer, aufhören zu impfen berge ebenfalls ein gewisses Risiko – nämlich für die Leute, „die nicht geimpft werden“. Momentan gibt es laut dem Virologen keine Daten für einen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und den Blutgerinnseln.

Bei sechs der in Deutschland beobachteten Blutgerinnsel im Gehirn handelte es sich laut Paul-Ehrlich-Institut um Sinusvenenthrombose, eine seltene Form der Hirnvenenthrombose. Diese komme bei Frauen grundsätzlich häufiger vor als bei Männern, sagte Krammer, was mit hormonellen Verhütungsmitteln zusammenhängen könnte.

Kein Grund, zweiten Stich zu verschieben

Wer bereits eine Dosis des AstraZeneca-Impfstoffes erhalten habe, könne die zweite Dosis aufschieben, so der Experte, der am Mount-Sinai-Hospital in New York arbeitet. Das sei grundsätzlich „kein Problem“, er sehe aber keinen Grund dafür. Denn: Der Impfstoff sei „sehr gut dafür geeignet, vor schwerer Erkrankung zu schützen“, sagte der Virologe mit Verweis auf eine aktuelle große Studie aus Schottland.

Alle derzeit verwendeten Impfstoffe können starke Impfreaktionen auslösen, die aber „meistens nach 24 bis 48 Stunden“ wieder verschwunden sein sollten. Halten die Symptome länger an oder treten spezielle Symptome wie unerklärliche Blutergüsse auf, sollte man mit einem Arzt reden, riet der Forscher.

Auch der Epidemiologe Gerald Gertlehner beurteilte Österreichs Entscheidung, weiter mit AstraZeneca zu impfen, als „klug“. Gartlehner plädierte gegenüber dem ORF NÖ für eine genaue Überprüfung der bisher aufgetretenen Nebenwirkungen. Im Vergleich zur Impfung berge etwa die Pille ein deutlich höheres Risiko, ein Blutgerinnsel zu entwickeln.

Am gefährlichsten sei nach wie vor die CoV-Infektion, bei der ein Drittel der Covid-19-Erkrankten Blutgerinnsel entwickle, so Gartlehner. „Es ist also wesentlich gefährlicher, eine Thrombose in Folge einer Erkrankung zu entwickeln als in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung“ – mehr dazu in noe.ORF.at.

Impfgremium rät von präventiven Blutverdünnern ab

Auch das Nationale Impfgremium ging in seiner jüngsten Stellungnahme von Dienstagabend noch einmal auf die Thematik ein. Die Expertinnen und Experten rieten dabei davon ab, gerinnungshemmende Medikamente „wegen einer COVID-19-Impfung“ einzusetzen.

Grafik zu Impfstoffbestellungen in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Gesundheitsministerium

Gemeint sei damit die präventive Gabe von gerinnungshemmenden Mitteln parallel zur Impfung, stellte dazu das Gesundheitsministerium auf Nachfrage von ORF.at klar. Wer aus anderen Gründen Blutverdünner nehme, könne ganz normal zur Impfung gehen. Dort werde das im Anamneseblatt ohnehin erhoben und entsprechend entschieden. Das sei bei der Impfung mit AstraZeneca nicht anders als bei den Impfstoffen der anderen Hersteller, so das Ministerium.

Das Impfgremium hielt überdies fest, dass im „zeitlichen Zusammenhang mit COVID-19-Impfungen“ in „sehr seltenen Fällen thrombo-embolische Ereignisse beobachtet“ worden seien. Noch lasse sich nicht ausschließen, dass hier ein „kausaler Zusammenhang“ bestehe. Häufig beobachtet würden Blutgerinnungsstörungen jedenfalls bei einer Erkrankung mit Covid-19. Blutgerinnsel könnten allerdings auch unabhängig davon spontan auftreten, so die aktuelle Stellungnahme.

Europäische Behörde entscheidet am Donnerstag

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat bisher keine Hinweise darauf, dass der CoV-Impfstoff von AstraZeneca Blutgerinnsel verursacht. Die Zahl der aufgetretenen Fälle sei nicht höher als in der Gesamtbevölkerung. Man sei vom Nutzen des Vakzins nach wie vor „zutiefst überzeugt“, sagte EMA-Chefin Emer Cooke am Dienstag.

Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen wird für Donnerstagnachmittag erwartet. Cooke zufolge würden Fachleute am Dienstag zu Beratungen zusammenkommen. Bis Donnerstag würden die Zwischenfälle, die Mitgliedsstaaten gemeldet hatten, genau überprüft und evaluiert. „Wir brauchen erst Fakten, bevor wir zu einer Entscheidung kommen“, so Cooke. Aktuell gebe es allerdings keinen Hinweis auf einen Zusammenhang der Blutgerinnsel mit dem Impfstoff, sagte Cooke mehrfach. Die Vorteile des Mittels würden die Risiken überwiegen.

Die EMA schaut sich bei ihrer Untersuchung des Impfstoffs auch an, ob nur einzelne Chargen problematisch sind. Das sei Teil der Prüfung, so Cooke. Sie sagte, dass eine Situation wie diese nicht unerwartet sei. Wenn man Millionen Menschen impfe, sei es unausweichlich, dass man seltene oder ernsthafte Vorkommnisse von Erkrankungen habe, die nach der Impfung auftreten. Die EMA prüfe nun, ob das tatsächlich eine Nebenwirkung sei oder Zufall.

EMA-Einschätzung für Paris und Rom „ermutigend“

Am Montag hatten unter anderem Deutschland, Frankreich und Italien die Impfung mit AstraZeneca vorerst gestoppt, nachdem es Berichte über Fälle von sehr seltenen Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gegeben hatte. Am Dienstag folgten Zypern, Luxemburg, Schweden, Litauen und Lettland.

Frankreich und Italien bezeichneten die erste Einschätzung der EMA am Dienstag als „ermutigend“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Premier Mario Draghi seien bereit, die Impfkampagnen mit dem AstraZeneca-Impfstoff sehr schnell wieder aufzunehmen, falls die zusätzliche Überprüfung durch die EMA positiv ausfalle, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung. Der Impfstopp sei eine „vorübergehende Vorsichtsmaßnahme“.