Abstraktes Selbstporträt von Maria Lassnig
Maria Lassnig Stiftung
Maria Lassnig

Filme aus der Schatzkiste

Als Malerin ist die 2014 verstorbene Maria Lassnig eine der einflussreichsten Figuren der österreichischen wie auch der internationalen Kunstszene des 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Wenig bekannt ist hingegen ihr filmisches Werk, vielfach verschmitzte Trickfilme, die nach aufwendiger Restaurierung und Fertigstellung teils erstmals zugänglich sind.

„Veröffentlichen wir sie!“ – „Sicher nicht. Das machst du nach meinem Tod.“ So, erzählt der Künstler Hans Werner Poschauko, hat Lassnig über ihre unveröffentlichten Filme gesprochen, die jahrzehntelang in einer Transportkiste auf dem Dachboden verwahrt waren. Als Poschauko nach ihrem Tod die Kiste öffnete, gemäß ihren Anweisungen gemeinsam mit Lassnigs Vertrauter, der Filmemacherin Mara Mattuschka, fand er einen Schatz vor – jedoch einen, der gewaltige Arbeit erforderte.

Lassnig gilt international als eine der wichtigsten Malerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts. Ein wesentlicher Teil ihres Werks entstand in den Jahren 1968 bis 1980, die sie in New York verbrachte. Nach einem Kurs an der School of Visual Arts begann sie, sich mit Film und Trickfilm auseinanderzusetzen. Nur zehn ihrer kurzen Filme gelten als „kanonisch“ und waren vielfach im Ausstellungskontext zu sehen, etwa das gezeichnete, verschmitzte „Selfportrait“ von 1971, in dem Lassnig sich als Freiheitsstatue darstellt, oder die dokumentarische Porträtminiatur „Iris [Soul Sisters]“ aus demselben Jahr.

Transportkiste mit den Filmrollen aus Lassnigs Nachlass
Hans Werner Poschauko
Der Filmschatz vom Dachboden: Die Transportkiste mit den Filmrollen aus Lassnigs Nachlass

Schätze aus der vergessenen Kiste

In der vergessenen Kiste lagerten jedoch Materialien zu vielen weiteren, zum Teil nicht fertiggestellten Filmen. Mattuschka und Poschauko machten sich daran, die Filmstreifen zu sichten, die teils in beklagenswertem Zustand waren, die Klebestellen nur mit Malerkrepp fixiert. Manche Filme waren nur in Fragmenten vorhanden, dazu existierten aber Notizen und Tonaufnahmen.

Cover des Buchs „Maria Lassnig – Das filmische Werk“
Österreichisches Filmmuseum
Maria Lassnig. Das filmische Werk, Herausgegeben von Eszter Kondor, Michael Loebenstein, Peter Pakesch, Hans Werner Poschauko, Filmmuseum Synema Publikationen. Mit kommentiertem Bildteil und einer DVD mit einer Auswahl der „Films in Progress“, 192 Seiten, 24 Euro.

Bei anderen war der Schnitt noch nicht fertig, wieder andere brauchten nur Farbkorrektur oder Ton, jeweils möglichst nach den Aufzeichnungen Lassnigs. Achtzehn dieser Filme haben Mattuschka und Poschauko gemeinsam fertiggestellt, manche sind unvollendet geblieben.

Alle sind nun als „Films in Progress“ durch die Maria Lassnig Stiftung genau dokumentiert und verfügbar – und einige davon gemeinsam mit einer Publikation des Österreichischen Filmmuseums zu Lassnigs filmischem Werk auf DVD erschienen.

Lieben „wie ein Komet“

Einer dieser Kurzfilme ist „Soul Sisters: Bärbl“, für den Lassnig eine Freundin gefilmt hat – alle Frauen aus der Serie „Soul Sisters“ sind, wie Lassnig notierte, „Seelenschwestern“. Im englischsprachigen Voiceover erläutert Lassnig, dass Bärbl eine „typische österreichische Frau“ sei, „sie lebt mit ihrem Freund, sie lebt für ihn, sie kocht für ihn, und sie wartet auf ihn. Sie weint, weil er sehr oft alleine sein will. Er ist Künstler.“

Ob Lassnigs Anmerkungen empathische Beobachtung sind, ironischer Kommentar zum Gockelverhalten männlicher Künstlerkollegen oder beides? Ein anderes Porträt aus der Serie „Soul Sisters“, „Alice“, zeigt eine junge isländische Künstlerin, die sich nackt auf schwarzem Samt drapiert. Lassnig erzählt, dass Alice in der New Yorker Kunstszene aufgetaucht sei „wie ein Komet“, im Film illustriert von Überblendungen mit Feuerwerk, und wie vielfältig ihr Liebesleben gewesen sei.

Überblendete Wirklichkeiten

Wieder andere Filme sind dokumentarische Miniaturen vom Broadway, mit für Hochzeitsbilder posierenden weißen College-Paaren, mit Touristen und einer tanzenden schwarzen Dragqueen mit Federkopfschmuck. Die Broadway-Beobachtungen sind nicht genau datiert, aber dokumentieren Lassnigs Faszination, von der ihre Künstlerkollegin Martha Edelheit schreibt: „Maria lebte in einer harten Gegend (…) sie liebte die Gegend. ‚So voller Leben, Tag und Nacht!‘ Sie merkte nicht, dass es Drogenabhängige und Alkoholiker*innen waren.“

Edelheit war eine der Kolleginnen, mit denen Lassnig 1974 die avantgardistische Gruppe Women/Artist/Filmmakers, Inc. gründete, weitere Mitglieder waren Susan Brockman, Nancy Kendall, Doris Chase, Rosalind Schneider, Carolee Schneemann und Silvianna Goldsmith. Viele von ihnen hatten im Jahr zuvor im Rahmen der Ausstellung „Women Artists als Filmmakers“ gemeinsam ausgestellt. Der Ausstellungstitel verrät, dass sie zu diesem Zeitpunkt sowohl als Frauen als auch als Filmschaffende in der New Yorker Kunstszene als Sonderfall wahrgenommen wurden.

Fotostrecke mit 6 Bildern

Maria Lassnig in New York
Maria Lassnig Stiftung
Maria Lassnig, New York, ca. 1969
Foto der Gruppe mit Susan Brockman, Martha Edelheit, Nancy Kendall, Doris Chase, Silvianna Goldsmith, Maria Lassnig, Carolee Schneemann und Rosalind Schneider
Bob Parent
Women/Artist/Filmmakers, Inc. – von links hinten nach rechts unten: Susan Brockman, Martha Edelheit, Nancy Kendall, Doris Chase, Silvianna Goldsmith, Maria Lassnig, Carolee Schneemann, Rosalind Schneider
Porträt von Bärbel
Maria Lassnig Stiftung
In „Soul Sisters: Bärbl“ (1974/79) porträtiert Lassnig „a typical Austrian woman“
Foto der jungen isländischen Künstlerin Alice
Maria Lassnig Stiftung
„Soul Sisters: Alice“ (1974/79) zeigt eine junge isländische Künstlerin, deren Liebesleben zum Spiel wird
Faksimile Notizheft
Maria Lassnig Stiftung
Die Filmnotizen aus Lassnigs Nachlass sind eine Fundgrube weiterer Filmideen, hier das Storyboard zum nicht realisierten Trickfilm „Die Mauer“
Tricktisch
Maria Lassnig Stiftung
Über zwanzig Jahre lang arbeitete Lassnig immer wieder an einem „Anti-Kriegsfilm“, den zu vollenden ihr nicht gelang – hier eine Aufnahme aus dem Atelier

Technische Vielfalt und enorme Experimentierlust

Lassnigs Filme sind eine Wundertüte an Techniken und Formaten. Sie arbeitet mit Zeichentrick, handgemalten Bildern, Legetrick, mit Slow Motion, sie stellt sich selbst vor die Kamera, filmt Tänzer im Wald und im Studio und ihre engsten Freundinnen. Und sie dokumentiert – wie in der Miniaturtrilogie „Godfather“ – ihre Umgebung, in dem Fall die Dreharbeiten zu Francis Ford Coppolas „Godfather II“, in dem sich ein rekonstruiertes Little Italy der 1920er Jahre mit dem New York der Gegenwart von 1974 mischt, und überblendet die Wirklichkeiten in Doppelbelichtung.

Godfather II (Ausschnitt)

Lassnig drehte am Set von Francis Ford Coppolas „Der Pate 2“ – in unmittelbarer Nähe ihres Ateliers in der Avenue B.

„Der Trickfilm soll eine Story erzählen, so ist man es gewohnt“, schrieb Lassnig 1973. „Das ist aber für jemanden, der unter einer Überfülle von Einfällen leidet, eine langweilige Geschichte.“ Sie spielt darauf an, pro Filmsekunde 24 Bilder produzieren zu müssen, der Satz kann aber für ihr gesamtes Filmschaffen gelten: Die Vielgestaltigkeit der Ausdrucksmittel zeugt von enormer Experimentierlust.

Ein Film, der fast das gesamte Spektrum abdeckt und zudem noch Lassnigs malerischen Prozess dokumentiert, ist „Stone Lifting. A Self Portrait in Progress“ aus den Jahren 1971–1975, in dem unter anderem Schnipsel aus anderen Filmen mit ironisch dokumentierenden Aufnahmen von einer Vernissage montiert sind.

Stone Lifting. A Self Portrait in Progress (Ausschnitt)

Die Montage aus gemalten, gezeichneten und gefilmten Bildern wird zur Collage einer künstlerischen Entwicklung.

„Es ist die Kunst, ja ja!“

Als sie New York verließ und 1980 widerwillig nach Wien zurückkehrte, um – auf persönliche Bitte der damaligen Bundesministerin Hertha Firnberg – als erste Frau eine Professur an der Hochschule für angewandte Kunst anzutreten, ließ sie auch ihr Trickfilmschaffen weitgehend zurück. Erst vier Jahre nach Lassnigs Tod waren die unvollendeten „Films in Progress“ nach der Wiederher- und Fertigstellung 2018 zu sehen, nach der Weltpremiere in New York auch im Filmmuseum in Wien.

Viele Jahre nach ihrer Rückkehr aus Amerika arbeitete Lassnig wieder mit Trickfilm, in der legendär witzigen „Maria Lassnig Kantate“ von 1996, in der sie im Tonfall einer Bänkelsängerin und mit wechselnden Kostümen vor gezeichnetem Hintergrund ihr eigenes Leben in 14 Strophen erzählt, vom Kindbett an, in dem die Tränen ihrer Mutter auf sie fallen, bis ins Alter: „Statt Liebe hab ich jetzt den Fernseher“ – nur um dann umwerfend optimistisch zu enden: „Es ist die Kunst, ja ja, die macht mich immer jünger. Sie macht den Geist erst hungrig und dann satt!“