Frankreichs Dassault Jet Rafale startet vom Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ im Jahr 2011
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Libyen-Intervention 2011

Mit „Harmattan“ gegen Gaddafis Truppen

Im Sog des „arabischen Frühlings“ hat sich ab Februar 2011 auch auf den Straßen von Libyen erstmals öffentlicher Widerstand gegen das von Muammar al-Gaddafi seit Jahrzehnten autokratisch angeführte Regime formiert. Der Umsturz in Libyen war von Anfang an von Gewalt begleitet. Was folgte, waren ein blutiger Bürgerkrieg und eine mit Frankreichs „Operation Harmattan“ eingeläutete internationale Militärinvervention, die beim Sturz Gaddafis eine tragende Rolle spielte.

Unter der auf den Namen eines Sahara-Windes getauften Operation flogen am 19. März 2011 französische Kampfflugzeuge erste Angriffe auf Gaddafis Bodentruppen rund um die damals umkämpfte libysche Hafenstadt Bengasi. Wenige Stunden später folgte der Abschuss von Tomahawk-Marschflugkörpern von US-amerikanischen („Operation Odyssey Dawn“) und britischen Kriegsschiffen („Operation Ellamy“) auf strategische Ziele in ganz Libyen.

Erklärtes Ziel der am 17. März durch die Resolution 1973 des UNO-Sicherheitsrates autorisierte Militäraktion waren der Schutz der Zivilbevölkerung und in diesem Zusammenhang die Durchsetzung eines ebenfalls vom Sicherheitrat beschlossene Flugverbotszone. Dem damals von Präsident Nicolas Sarkozy regierten Frankreich kam eine Schlüsselrolle zu: Paris sprach sich nicht nur frühzeitig für eine Militärintervention aus – als erstes Land erkannte Frankreich am 10. März auch den „Libyschen Nationalen Übergangsrat“ der gegen Gaddafi kämpfenden Rebellen als „legitime Vertretung des libyschen Volkes“ an.

Lenkraketenzerstörer USS Barry
APA/AFP/US Navy Visual News Service/Jonathan Sunderman
Nur kurz nach Frankreich starteten am 19. Juni auch die USA und Großbritannien Militäroperationen in Libyen

Die Militärintervention richtete sich dann auch nicht gegen die Aufständischen, sondern gegen Gaddafi und seine Truppen. Rund um den angelaufenen Militäreinsatz machten dann Mitglieder der französischen und der von David Cameron angeführten britischen Regierung auch deutlich, dass die Intervention nicht ohne den Sturz von Libyens Langzeitmachthaber beendet werden solle.

NATO-Einsatz endete am 31. Oktober 2011

Die zunächst noch unabhängig durchgeführten Operationen der sich an der Militärintervention beteiligenden Länder wurden am 25. März im Rahmen der NATO-geführten „Operation Unified Protector“ vereinheitlicht. Die Koalition, die zunächst aus Belgien, Dänemark, Italien, Frankreich, Kanada, Norwegen, Katar, Spanien, Großbritannien und den USA bestand, erweiterte sich im Laufe der Zeit auf 19 Staaten, die alle an der Seeblockade libyscher Gewässer und der Durchsetzung der Flugverbotszone beteiligt waren.

Der Militäreinsatz sorgte im Vorfeld auf EU-Ebene für Turbulenzen. Während Frankreichs damaliger Präsident Sarkozy bei einem EU-Libyen-Sondergipfel am 11. März einen gemeinsamen Einsatz mit Großbritannien in den Raum stellte, lehnte Deutschland eine militärische Option ab und enthielt sich am 17. März dann auch bei der für den Militäreinsatz ausschlaggebenden Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat. Trotz ernsthafter Vorbehalte machten dort auch China und Russland nicht von ihrem Vetorecht Gebrauch.

Der damit auf den Weg gebrachte NATO-Einsatz trug entscheidend zu Gaddafis Sturz bei – teils unterstützt durch NATO-Luftstreitkräfte wurden bis Oktober die letzten von Gaddafi-Anhängern noch kontrollierten Städte Bani Walid und Sirte von Rebellengruppen besetzt und am 20. Oktober schließlich Gaddafis Tod verkündet. Eine Woche später beschloss der UNO-Sicherheitsrat die Auflösung der rund sieben Monate zuvor eingeführten Flugverbotszone und das Ende der Luftschläge zum Schutz von Zivilisten – am 31. Oktober um 23.59 Uhr war der NATO-Einsatz offiziell beendet.

Französischer Flugzeugträger Charles de Gaulle 2011
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Französische Kampfjets starteten unter anderem vom Flugzeugträger Charles de Gaulle

Übergangsregierung soll Land befrieden

Nicht erfüllt wurde somit der Wunsch des seit September 2011 auch von der UNO-Versammlung als neue Führung des Landes anerkannten „Libyschen Nationalen Übergangsrates“, wonach die NATO so lange im Land aktiv bleiben solle, bis klar ist, ob die neue Führung auch in der Lage ist, allein für Sicherheit und Stabilität zu sorgen.

Ganz im Gegensatz zu diesem Vorhaben erodierten wegen anhaltender Machtkämpfe die staatliche Ordnung und Wirtschaft. Zudem geriet das Land in den Fokus der nach wie vor ungelösten Flüchtlingsproblematik. Durch den Sturz des Gaddafi-Regimes verlor Europa auch hier einen laut Beobachtern fragwürdigen, aber zuverlässigen Kooperationspartner. Mit einher geht die Frage, inwieweit die NATO-Intervention 2011 zur Destabilisierung des Landes beigetragen bzw. ein noch größeres Blutvergießen verhindert habe.

Neuer Anlauf mit Übergangsregierung

Anläufe zur Befriedung gab es seitdem viele – ein Durchbruch steht aber weiter aus. Derzeit liegt die Hoffnung auf einer seit Oktober zwischen den Streitparteien vereinbarten Waffenruhe und der seit Beginn der Woche im Amt befindlichen Übergangsregierung. Diese soll neben der bisher vom Westen anerkannten und von Fajis al-Sarradsch angeführten Regierung mit Sitz in Tripolis auch eine in der Stadt Tobruk sitzende Gegenregierung rund um General Chalifa Haftar ablösen. Beide ringen seit Jahren um die Macht. Die Übergangsregierung soll Libyen schließlich zu landesweiten Wahlen am 24. Dezember führen.

Mohamed al-Manfi, Abdul Hamid Dbeibah und Fayez al-Sarraj
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Abdulhamid Mohammed Dbeiba ist Premier einer Übergangsregierung und neuer Hoffnungsträger in Libyen

Bis auf den Wahltermin stehen bisher allerdings kaum Details fest, wie der politischen Fahrplan weitergeht. Die Zentralbank Libyens bleibt zweigeteilt, und der Streit über die Einnahmen aus dem Ölgeschäft, der fast einzigen staatlichen Einnahmequelle, schwelt weiter. In beiden Lagern des Konflikts spielen sich einer dpa-Analyse zufolge auch interne Machtkämpfe ab, befeuert und verschärft durch die Interessen anderer Staaten, vor allem Russlands und der Türkei.

„Im Windschatten der UNO-Vermittlungen scheinen Libyens politische Eliten, verbündete Milizen und ausländische Mächte sich auf eine mögliche nächste heiße Phase des Krieges vorzubereiten“, heißt es dazu mit Blick auf die zähen von den Vereinten Nationen eingefädelten Verhandlungen, die in Genf zur Einigung auf die nun angelobte Übergangsregierung führten.

Demonstranten halten Gadaffi-Karikatur in den Händen
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Am 17. Februar 2011 gab es in Libyen die ersten Proteste gegen das Gaddafi-Regime

Erinnerung an 2015

Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations fühlt sich denn auch an 2015 erinnert: Damals entstand nach UNO-Vermittlungen im marokkanischen Skhirat ein Abkommen, das die Machtverhältnisse in Libyen ordnen und ein Ende der Kämpfe herbeiführen sollte. Die wichtigste Frage – die Einheit des gespaltenen Landes – sei dabei aber unbeantwortet geblieben: „Stattdessen wurde versucht, neue Institutionen zu schaffen, damit alle ein Stück vom Kuchen behalten.“

Waffenembargo für Libyen „absolut ineffizient“

Ernüchternd erscheint denn auch ein erst am Mittwoch vorgestelleter UNO-Bericht rund um das an sich vor zehn Jahren gegen Libyen erlassene Waffenembargo. Die sechs Experten, die von der UNO mit einer Untersuchung zu den Waffenlieferungen an die Konfliktparteien in dem nordafrikanischen Land beauftragt wurden, erklärten in ihrem Bericht, das Waffenembargo sei „vollkommen ineffizient“ und werde von UNO-Mitgliedsstaaten „umfangreich“ und „unverhohlen“ umgangen.

Als Unterstützer des im Osten Libyens einflussreichen Generals Haftar werden in dem Bericht – und in früheren UNO-Dokumenten – die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Russland, Syrien und Ägypten genannt. Die Regierung in Tripolis erhält dem Bericht zufolge Hilfen aus der Türkei und Katar. Weitere Parteien, die sich in den Konflikt in Libyen einmischen, sind nach den Erkenntnissen der UNO-Experten die russische Söldnergruppe Wagner, Aufständische aus Syrien – bis zu 13.000 Kämpfer – sowie Gruppierungen aus dem Tschad und dem Sudan.

Die UNO-Experten gehen davon aus, dass die dem Kreml nahestehende Gruppe Wagner bis zu 2.000 Söldner nach Libyen entsandte. Auch nach dem Waffenstillstandsabkommen vom 25. Oktober 2020 gebe es keine Anzeichen dafür, dass sich die Gruppierung aus Libyen zurückgezogen habe, heißt es in dem Bericht.