Polizisten und Polizistinnen
ORF.at/Carina Kainz
Anzeigenstatistik

Pandemie stellt Kriminalität auf den Kopf

Die Pandemie hat im Vorjahr in Österreich – wenig überraschend – die Kriminalität auf den Kopf gestellt, das zeigt die Anzeigenstatistik für 2020: Um 11,3 Prozent weniger Straftaten wurden angezeigt, vor allem die Eigentumsdelikte gingen stark zurück: Dafür verlagerte sich die Kriminalität noch einmal stärker ins Internet. Vor allem ein Blick in die Bundesländer illustriert, wie die Coronavirus-Krise auch die Kriminalität veränderte.

433.811 Straftaten wurden im Jahr 2020 angezeigt, ein Rückgang von 11,3 Prozent gegenüber 2019 – und mit Abstand der geringste Wert der vergangenen Dekade. Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote auf 54,2 Prozent. Aber „förmlich explodiert“ sei die Cyberkriminalität, stellte der neue Direktor des Bundeskriminalamts (BK), Andreas Holzer, bei der Präsentation der Kriminalstatistik 2020 fest: Fast 36.000 Anzeigen bedeuten einen Anstieg von 26 Prozent gegenüber 2019.

Bei fast allen anderen Delikten gab es 2020 Rückgänge, so etwa ein Rekordtief bei Eigentumsdelikten mit 128.111 Anzeigen, das sind minus 21,9 Prozent. Gestiegen sind bei 11.652 ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverboten jene der 9.689 weggewiesenen Gefährder nach 8.254 im Jahr 2019.

Nicht mit anderen Jahren vergleichbar

„Die Kriminalität hat sich verändert“, resümierte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bei der Pressekonferenz, wies aber auch darauf hin, dass diese „Zahlen aus einem Jahr resultieren“, das mit keinem anderen vergleichbar ist. „Das Coronavirus dominiert auch den polizeilichen Alltag“, sagte Nehammer und nannte Grenzkontrollen als Beispiel für neue Aufgaben, die auch als „Binnengrenzkontrollen in den Bezirken“ anfallen.

Cyberkriminalität gestiegen

Seit Beginn der Coronavirus-Pandemie gibt es weniger kriminelle Handlungen, doch die Internetkriminalität ist 2020 deutlich angestiegen. Die Polizei will nun mehr Spezialisten auf diesem Gebiet einstellen.

Holzer hob bei der Analyse der Kriminalitätsentwicklung jene der vergangenen zehn Jahre hervor, von 2011 bis 2019 gab es bereits ein Minus von 51.000 Anzeigen, „im Coronavirus-Jahr selbst waren es noch einmal um 55.000 weniger, das sind in Summe über 100.000 Anzeigen weniger in einer Dekade“.

Die Kriminalstatistik

Bei der Kriminalstatistik handelt es sich um eine Anzeigenstatistik. Darin umfasst sind nur die von der Polizei an die Justiz weitergeleiteten Anzeigen. Sie spiegelt daher nicht die tatsächlich verübten Delikte oder gar Verurteilungen wider – oder wie es der Kriminalsoziologe Norbert Leonhardmair ausdrückt: „Kriminalstatistiken sagen wenig über Kriminalität aus, sondern belegen, was die Polizei tut.“

Weniger Taschendiebstahl, weniger Einbrüche

Konträr zum Anstieg der Kriminalität in digitaler Form sanken die Eigentumsdelikte auf ein Rekordtief, wie zu erwarten besonders in den Lockdown-Phasen: 128.111 Delikte in diesem Bereich bedeuten einen Rückgang von über 35.000 oder 21,9 Prozent gegenüber 2019, wo es noch 164.080 Fälle waren. Besonders signifikant war der Knick beim Delikt Taschendiebstahl, erläuterte Holzer, denn hier belief sich die Zahl 2020 erstmals unter 10.000 – vor zehn Jahren zählte man noch 37.000 Anzeigen.

Bei den Vermögensdelikten sei der Rückgang möglicherweise auch auf gesellschaftliche Faktoren wie den steigenden Lebensstandard zurückzuführen, so Holzer. Fazit: Der klassische „Hendldieb“ werde zunehmend vom digitalen Täter abgelöst. Auch die Zahl von Kfz-Diebstählen und Wohnungseinbrüchen sank wegen der Pandemie, im April und Mai zählte man sogar erstmals Tage ohne eine einzige Anzeige.

Rückgang bei Gewaltdelikten

Ebenfalls sanken die angezeigten Gewaltdelikte, bei den Tötungsdelikten setzte sich der Rückgang von 2019 fort, nachdem in den vier Jahren zuvor jeweils Anstiege verzeichnet worden waren. 2020 gab es 43 Taten mit 54 Opfern, so Holzer, in über 70 Prozent der Fälle kannten sich Täter und Opfer. Als „selbstkritische Anmerkung“ fügte der BK-Direktor hier hinzu, dass die Opfer des Attentats am 2. November hier noch fehlen, da die Ermittlungen weiterhin nicht abgeschlossen sind.

Grafik zeigt Daten zur Kriminalität in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Bundeskriminalamt

Wien: Niedrigster Wert seit 20 Jahren

Die Trends sind auch in allen Bundesländern abzulesen: In Wien verzeichnete man den niedrigsten Wert an Anzeigen seit mehr als 20 Jahren. Diese Entwicklung sei in hohem Maß auf die Coronavirus-Einschränkungen zurückzuführen. Räuberischer Diebstahl und Einbruchsdiebstahl gingen stark zurück Einen Anstieg gab es u. a. aber auch bei „Gewalt in der Privatsphäre“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

Ähnlich sieht es in der Steiermark aus: Dort verzeichnete man den niedrigsten Wert seit zehn Jahren – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

In Kärnten sank die Anzeigen um 13,6 Prozent. Besonders deutlich spürbar war der Rückgang im Bereich der Eigentumskriminalität, auch in Sachen Gewaltdelikte gab es weniger Anzeigen. Probleme bereitet der Kärntner Polizei weiterhin die Drogenproblematik – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Vorarlberg: Mehr Gewalt gegen Polizei

In der Vorarlberger Statistik wird augenfällig, dass Aggressivität in der Gesellschaft zugenommen hat, das merkt die Polizei auch selbst, denn sie wird immer mehr zum Blitzableiter für den Frust mancher Gruppen. Neben Übergriffen gegen Beamten nahm auch die häusliche Gewalt deutlich zu – mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.

Das Burgenland gehört weiterhin zu den sichersten Bundesländern: Die Aufklärungsquote stieg um knapp zwei Prozentpunkte, auf fast 60 Prozent, liegt also über dem österreichweiten Durchschnitt – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

Starke Rückgänge in NÖ und OÖ

In Oberösterreich war vergangenes Jahr mit 59.832 Straftaten die Anzahl so niedrig wie noch nie. Grund zur Sorge bereite aber auch in Oberösterreich der ungebremste Anstieg der Internet- und Cyberkriminalität – mehr dazu in ooe.ORF.at.

In Niederösterreich sanken die Anzeigen insgesamt um mehr als zwölf Prozent. 8.425 Gewaltdelikte, die 2020 in Niederösterreich angezeigt wurden, waren um 8,8 Prozent weniger als im Jahr davor. Die Aufklärungsquote lag bei 91,3 Prozent (plus 4,5 Prozentpunkte) – mehr dazu in noe.ORF.at.

Um ein Viertel mehr Onlinekriminalität angezeigt

Sorgen bereitet aber immer mehr der digitale Bereich, in dem es mit 35.915 Anzeigen, die im Vorjahr den Gerichten vorgelegt wurden, ein Plus von 26,3 Prozent gab. Ganz vorne steht laut Holzer der Betrug, dem 18.780 Fälle zugerechnet wurden. 1.702 Anzeigen betrafen den Onlinekindesmissbrauch, ein „neuer trauriger Höchststand“, so der BK-Direktor, der hier die Zusammenarbeit mit internationalen NGOs zur Aufdeckung solcher Fälle hervorhob – sie reichen von Übermittlung von Bildmaterial bis zur physischen Gewalt per Livevideo.

Der Austausch mit der US-Organisation National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) sorgt für einen kontinuierlichen Anstieg an Anzeigen: Die Zahl der Anzeigen wegen pornografischer Darstellungen Minderjähriger (Paragraf 207a StGB) belief sich 2019 auf 1.666, 468 wurden durch Hinweise von NCMEC ausgeforscht.

Mehr Know-how gegen „Cybercrime“

Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, wies auf die hohe Aufklärungsquote hin: „Wir sind gut aufgestellt in der Kriminalitätsbekämpfung, aber müssen uns weiterentwickeln“, stellte er fest. Der Bereich der Digitalisierung sei wesentliches und zentrales Thema für die Zukunft. Es gebe nur mehr wenige Bereiche in der Kriminalität, in denen IT keine Rolle spielt. Insgesamt habe die organisierte Kriminalität seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie Anpassung bewiesen – ob es sich nun um illegale Kredite oder um gefälschte Waren handle.

Auf die Entwicklung im Cybercrime-Bereich werde man mit weiteren Maßnahmen reagieren, kündigte BK-Direktor Holzer an, man benötige hier ein „flächendeckendes Netz an Experten“, denn es reiche nicht aus, wenn nur in der zentralen Stelle des Bundeskriminalamts „High-Level-Ermittlungen von Experten“ ausgeübt würden. Daher wird bis hinab zu den Polizeiinspektionen auf Bezirksebene die „niederschwellige Vor-Forensik“ ausgebaut werden, 600 Bezirks-IT-Ermittler sind das anvisierte Ziel, was eine Verdoppelung bedeutet. Eine neue Abteilung, die sich ausschließlich mit Cybercrime beschäftigt, werde eingerichtet, und mit „Hochdruck“ soll auch eine universitäre Ausbildung folgen, auch wenn gegenwärtig bereits ein Transfer zwischen Wissenschaft und Polizei bestünde.