Impfpass
APA/Barbara Gindl
Nach EMA-Entscheid

Heimischer Impfplan bleibt „unverändert“

Nachdem die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) die weitere Verwendung des Coronavirus-Impfstoffs von AstraZeneca empfohlen hatte, hat sich Donnerstagabend Österreichs Nationales Impfgremium angeschlossen. „In Anlehnung an die Beurteilung der EMA wird empfohlen, das Impfprogramm unverändert fortzusetzen“, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme.

„Die Vorteile des Impfstoffes bei der Bekämpfung der immer noch weit verbreiteten Bedrohung durch Covid-19 überwiegen weiterhin gegenüber dem Risiko von Nebenwirkungen“, hieß es darin. Es gebe keine Hinweise auf ein Problem in Zusammenhang mit einzelnen Chargen des Impfstoffes oder mit bestimmten Herstellungsstandorten.

Vonseiten der EMA hieß es, dass weitere Untersuchungen bezüglich einer Reihe von Vorfällen mit Blutgerinnseln nach einer Impfung mit dem Mittel nötig sein werden. Es lägen einige Fallberichte vor, die sich auf äußerst seltene Fälle von Thrombosen der Hirnvenen beziehen, sagte Sabine Straus vom Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der EMA in Amsterdam.

Hinweis auf Beipackzettel

Die Datenlage sei noch nicht ausreichend, um sicher zu sagen, ob ein Zusammenhang mit AstraZeneca ausgeschlossen werden kann. Der Ausschuss empfiehlt daher, ein höheres Bewusstsein für Risiken zu schaffen und diese im Beipackzettel der Impfung zu berücksichtigen.

Folgerichtig wird das auch in Österreich umgesetzt. Bei Frauen unter 55 Jahren bestehe ein Hinweis auf ein sehr geringes Risiko (geringer als 1:100.000) einer seltenen Form von Gerinnungsstörungen mit Blutgerinnseln nach der Impfung gegen Covid-19. Darauf soll im Rahmen der Aufklärung vor der Impfung hingewiesen werden, so das nationale Gremium.

AstraZeneca adaptiert Beipacktexte

AstraZeneca Österreich sagte am Freitag in einer Aussendung, der Hersteller wolle „weiterhin eng mit den Gesundheitsbehörden zusammenarbeiten, um die angemessene Anwendung des Covid-19-Impfstoffs sicherzustellen“. Die Empfehlungen der EU-Arzneimittelbehörde zur Aktualisierung der Fach- und Gebrauchsinformation würden umgesetzt.

Die Sicherheit der Menschen stehe immer „an erster Stelle“, dazu gehöre auch, Meldungen zu Nebenwirkungen schnell zu erfassen und wissenschaftlich zu untersuchen, so Sarah Walters, Country President AstraZeneca Österreich. Laut AstraZeneca wurden bisher weltweit rund 20 Millionen Menschen mit dem Impfstoff AZD1222 geimpft.

„Faktenbasierte Entscheidung“

Zuspruch für die EMA-Entscheidung kam in der ZIB2 vom Epidemiologen Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems. Dieser sprach von einer guten, klugen und vor allem faktenbasierten Entscheidung, „die sich nicht von der politischen Dynamik hat leiten lassen“. Auf die Frage, ob sich die Österreicher und Österreicherinnen nun bedenkenlos mit AstraZeneca impfen lassen können, sagte Gartlehner dann auch: „Ja, absolut.“

Epidemiologe Gartlehner zum Thema Impfrisiko

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) sprach sich für den Einsatz des AstraZeneca-Impfstoffs aus. In Österreich bleibt die Zahl der neu gemeldeten Coronavirus-Fälle hoch. In der ZIB2 war dazu Gerald Gartlehner, Epidemiologe an der Donau-Universität Krems, zu Gast.

Österreichs Weg „bestätigt“

„Die Entscheidung war erwartbar“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Diesem zufolge habe die EMA „noch einmal bestätigt, dass alle Impfstoffe, die von der EMA zugelassen wurden, verwendet werden sollen, und insofern bestätigt das auch den Weg, den die österreichischen Experten ohnehin schon eingeschlagen haben“.

Er hoffe, dass das etwas Beruhigung mit sich bringe und die Verunsicherung in der Bevölkerung wieder abnehmen könne, so Kurz am Donnerstag in Berlin. „Die unterschiedlichen Reaktionen in verschiedenen Mitgliedsstaaten haben natürlich zu Verunsicherung in der Bevölkerung geführt“, eine Entscheidung der zuständigen europäischen Stelle sei daher gut, sagte der Bundeskanzler.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sagte in einem Statement gegenüber der APA, dass es richtig gewesen sei, statt einer vorschnellen politischen Entscheidung von der EMA eine detaillierte Untersuchung und Empfehlung eingefordert zu haben. „Es ist wichtig, dass die EMA heute eine klare Entscheidung getroffen hat: Die Fortführung der Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca und entsprechende Anpassungen der Fachinformationen des Impfstoffes sind die Grundaussage. Für mich ist ein gemeinsames europäisches Vorgehen besonders wichtig.“

Berlin, Paris und Rom heben Impfstopp auf

Mehrere Länder hatten Impfungen mit dem Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers vorübergehend ausgesetzt, nachdem vereinzelt Fälle von Thrombosen und Lungenembolien gemeldet worden waren. Auch in Österreich wird seit rund zwei Wochen der Todesfall einer Krankenschwester untersucht, die zeitnah zur Impfung in Niederösterreich verstarb, ein kausaler Zusammenhang wurde bisher nicht festgestellt.

Das Nationale Impfgremium riet von einem Impfstopp ab. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) meldete sich mit Empfehlungen für die Weiterverwendung zu Wort. Am Freitag will sich die WHO erneut zu AstraZeneca äußern. Mehrere Länder, darunter Deutschland, Frankreich und Italien kündigten kurz nach der EMA-Entscheidung eine sofortige Aufhebung des Impfstopps für das AstraZeneca-Vakzin an.

Dänemark bleibt bei Stopp

Dänemark will das Vakzin ungeachtet dessen vorerst nicht wieder einsetzen. Es sollten zunächst die Entscheidung der EMA „und deren Auswirkung auf das dänische Impfprogramm“ geprüft werden, sagte der Chef der Gesundheitsbehörde, Soren Brostrom. Zwar habe die EMA das Vakzin als „sicher und effektiv“ eingeschätzt, zugleich habe sie aber auch einen Zusammenhang mit gefährlichen Blutgerinnseln nicht ausgeschlossen. Das Land hatte nach Berichten über die Blutgerinnsel in der vergangenen Woche als erstes Land in Europa die Impfungen mit AstraZeneca unterbrochen.

Zentrale Rolle in Impfprogrammen

Die EU und auch Österreich setzen stark auf AstraZeneca, weil das Mittel nicht stark gekühlt werden muss, leichter transportiert und auch von den Hausärztinnen und -ärzten eingesetzt werden kann. Bis Ende des zweiten Quartals 2021 sollten 4,6 Millionen Menschen in Österreich bzw. 63 Prozent der Erwachsenen einen Impfschutz erhalten haben, sofern alles glattgeht und die verschiedenen Hersteller die erwarteten Liefermengen einhalten, hatte Anschober kürzlich festgestellt. Darin eingeplant sind 5,9 Millionen Dosen von AstraZeneca.

„Die schnelle Reaktion der Behörde zeigt, wie gut die Überwachungssysteme funktionieren“, teilte der Generalsekretär des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig), Alexander Herzog, per Aussendung mit, der hier noch anmerkte: „Nationale Alleingänge verunsichern und führen zu Verzögerungen, die uns wirtschaftlich und auch persönlich enorm belasten.“

EU-Brief wegen Lieferverzögerungen

Die EU-Kommission schickte unterdessen wegen der Lieferschwierigkeiten ein förmliches Schreiben an AstraZeneca. „Wir wollen ein strukturiertes Vorgehen zur Lösung der Kontroversen in Gang setzen“, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen gegenüber „La Repubblica“ (Freitag-Ausgabe). Es gebe einige offene Punkte bei den Verträgen, und der beste Weg, sie zu klären, sei dieser.

Das Thema Lieferungen ist auch mit Blick auf einen möglichen Vertrag für den russischen Impfstoff „Sputnik V“ wichtig. Dessen Daten würden derzeit bewertet, es sei aber noch keine formale Zulassung beantragt worden, so von der Leyen. Im Moment habe man noch keinen Nachweis für die Produktionskapazität für „Sputnik“ gesehen. „Die EMA muss vor der Genehmigung auch die Produktionsstätten und deren Qualität prüfen.“

„Der zweite grundlegende Punkt ist – und das sehen wir bei AstraZeneca –, dass ein Unternehmen in der Lage sein muss, die Lieferungen einzuhalten.“ Die Kommissionspräsidentin hielt außerdem am Ziel fest, bis zum Sommer 70 Prozent der Erwachsenen in der EU geimpft zu haben. Sie sei überzeugt, dass man am Ende verstehen werde, dass es der richtige Schritt sei, als EU zusammenzustehen.

Forscher sind Thrombosen auf der Spur

Unterdessen ist die Wissenschaft auf der Suche nach dem Grund für die Thrombosen. Ein Greifswalder Wissenschaftler vermutet nach Angaben der Universitätsmedizin Greifswald (UMG) wie auch andere Forscher weltweit einen bestimmten Mechanismus als Ursache. Dem Leiter der UMG-Abteilung Transfusionsmedizin, Andreas Greinacher, zufolge könnten in seltenen Einzelfällen über die Immunantwort des Körpers die Blutplättchen aktiviert werden, was wiederum zu den schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel führen könnte, hieß es am Freitag von der UMG – mehr dazu in science.ORF.at.

Über eine ähnliche Vermutung hatten am Donnerstag bereits Forscher in Norwegen berichtet: Pal Andre Holme vom Universitätsklinikum Oslo hatte ebenfalls gesagt, er vermute, dass die Bildung der Gerinnsel über eine starke Immunantwort und dabei entstehende Antikörper, die an die Blutplättchen andocken und diese aktivieren, laufen könnte. Experten betonen, dass solche Ideen zum möglichen Ablauf bisher rein spekulativ sind.