Demonstration in Ankara
APA/AFP/Adem Altan
Gewalt gegen Frauen

Türkei sorgt mit Entscheidung für Empörung

Die Türkei ist aus der Istanbul-Konvention des Europarats ausgetreten, die Gewalt gegen Frauen verhindern und bekämpfen soll. Ein entsprechendes Dekret des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde in der Nacht auf Samstag im Amtsblatt veröffentlicht. Die Entscheidung stieß auf scharfe Kritik – im Ausland, aber auch in der Türkei selbst.

Bereits am Samstag gingen in der Türkei Tausende Menschen gegen die Entscheidung auf die Straße. Im Istanbuler Stadtteil Kadiköy versammelten sich mehrheitlich Frauen und skandierten: „Die Entscheidung aufheben, die Konvention umsetzen!“ Die Generalsekretärin der Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“, Fidan Ataselim, sagte in einem auf Twitter geteilten Video: „Ihr könnt Millionen Frauen nicht zu Hause einsperren, ihr könnt Millionen Frauen nicht von den Straßen und Plätzen ausradieren.“

Die stellvertretende Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, Gökce Gökcen, sagte, ein Austritt bedeute, dass Frauen weiter „Bürger zweiter Klasse sind und getötet werden“. Der oppositionelle Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu schrieb auf Twitter, der Austritt aus der Konvention sei „sehr schmerzhaft“. Das missachte den jahrelangen Kampf von Frauen. Heftig wurde auch die Art und Weise des Austritts kritisiert. Die Anwaltsvereinigung von Istanbul etwa monierte via Twitter, der Präsident habe nicht die Befugnis, internationale Abkommen per Dekret aufzukündigen.

Demonstration in Ankara
APA/AFP/Adem Altan
Vor allem Frauen gingen am Samstag gegen den Austritt auf die Straße

„Verheerende Nachrichten“ für Europarat

Auch international sorgte der Schritt der Türkei für Unverständnis. Der Europarat sprach von „verheerenden Nachrichten“. Dieser Schritt sei ein „großer Rückschlag“ für die Bemühungen, Frauen zu schützen. Er gefährde den Schutz von Frauen „in der Türkei, in ganz Europa und darüber hinaus“, hieß es in einer Erklärung.

Der Europapalast in Straßburg
Bestürzt fiel die Reaktion des Europarats aus

Das österreichische Außenministerium schrieb auf Twitter: „Wir bedauern zutiefst die Entscheidung der Türkei, sich aus der Istanbul-Konvention zurückzuziehen. Die Verhütung und Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung.“

Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) ließ mitteilen, Erdogan führe sein Land damit einmal mehr zurück in die Vergangenheit und weiter weg von Europa, die Leidtragenden dieser Entscheidung seien wieder die Frauen. Kritik kam hierzulande ebenso von SPÖ und FPÖ. Auch die deutsche Bundesregierung sprach von einem „falschen Signal an Europa, aber vor allem an den Frauen in der Türkei“.

Monatelange Diskussion

Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay verteidigte die Entscheidung dagegen und schrieb auf Twitter, die Türkei müsse andere nicht imitieren. Die Lösung für den Schutz von Frauenrechten „liegt in unseren eigenen Bräuchen und Traditionen“. Dem Austritt war eine monatelange Diskussionen über die Konvention vorausgegangen. Losgetreten hatte sie eine konservativ-religiöse Plattform, die unter anderem Religion, Ehre und Anstand durch das Abkommen gefährdet sah.

Türkei kündigt Konvention gegen Gewalt an Frauen

Die Türkei ist aus der so genannten Istanbul-Konvention ausgetreten, die Gewalt an Frauen verhindern und bekämpfen soll. Die türkische Regierung begründet den Austritt damit, dass das Abkommen Scheidungen fördere. Scharfe Kritik an der Entscheidung kommt sowohl aus der Türkei selbst als auch international.

Die Istanbul Konvention – eine internationale Vereinbarung – war 2011 vom Europarat ausgearbeitet worden und sollte einen europaweiten Rechtsrahmen schaffen, um Gewalt gegen Frauen zu verhüten und zu bekämpfen. Als Gewalt gilt dabei laut Abkommen nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch geschlechtsspezifische Diskriminierung, Einschüchterung oder wirtschaftliche Ausbeutung.

Erdogan selbst hatte die Konvention in Istanbul, dem Ort der finalen Einigung, unterschrieben, damals noch als Ministerpräsident. Später wurde sie in der Türkei zwar auch entsprechend ratifiziert, nach Ansicht der Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“ aber nie angewendet.

Stimmungsmache gegen Konvention auch in EU-Staaten

Die Konvention geriet zuletzt allerdings auch in manchen EU-Staaten in das Visier religiöser und konservativer Kreise. In Kroatien wurden im Jahr 2018 fast 400.000 Unterschriften für ein Referendum über den Austritt aus der Konvention gesammelt. Die rechtskonservative polnische Regierung kündigte im Vorjahr an, einen Austritt aus der Konvention anstreben zu wollen.

Die Parlamente der Slowakei und Ungarns haben ihren Regierungen untersagt, das Abkommen zu ratifizieren. Auch in Tschechien, Bulgarien, Lettland und Litauen ist das Europarats-Abkommen bisher nur unterschrieben, aber nicht ratifiziert worden.