Eine Person hält türkische Lira-Banknoten in der Hand
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Zentralbankchef gefeuert

Türkische Lira auf rasanter Talfahrt

In der Türkei haben die Finanzmärkte am Montag schockiert auf die Entlassung des Zentralbankchefs durch Präsident Recep Tayyip Erdogan reagiert: Die Lira stürzte um 17 Prozent gegenüber dem Dollar ab, die Kurse an der Börse in Istanbul brachen so stark ein, dass der Handel für eine halbe Stunde ausgesetzt werden musste. Der wirtschaftliche und innenpolitische Druck lässt Erdogan zunehmend von Europa abrücken.

Der Kurs der türkischen Währung fiel Montagfrüh stark: Für einen Dollar waren kurzzeitig 8,47 Lira nötig – Ende vergangener Woche lag der Kurs bei 7,22 Lira. Nach dem ersten Absturz kletterte der Kurs am Vormittag wieder auf 8,09 Lira. Finanzminister Lütfi Elvan versicherte, die Türkei wolle den Devisenhandel nicht aussetzen. „Wir halten an unserer Wirtschaftspolitik fest, bis wir eine dauerhafte Senkung der Inflation erreicht haben“, erklärte er.

An der Börse in Istanbul stürzte der Leitindex um 6,65 Prozent ab. Daher wurde der Handel gemäß der Vorschriften bei solch starken Kursbewegungen ausgesetzt. Nach 35 Minuten wurde er wieder aufgenommen.

Kein offizieller Grund für Entlassung

Erdogan nannte keinen Grund für die Entlassung des früheren Finanzministers Naci Agbals nach nur fünf Monaten als Notenbankchef. Der Schritt folgte allerdings nur zwei Tage nach Anhebung der Leitzinsen. Erdogan hält hohe Zinsen für „Vater und Mutter aller Übel“, seiner Ansicht nach – und entgegen herrschender Meinung in den Wirtschaftswissenschaften – begünstigen sie die Inflation.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
APA/AFP/Adem Altan
Erdogan steht wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage innenpolitisch unter Druck

Agbal wurde ersetzt durch den Wissenschaftler Sahap Kavcioglu, Mitglied von Erdogans Partei. Er hatte am Sonntag versichert, er wolle die „notwendigen Maßnahmen“ im Kampf gegen die Inflation ergreifen.

Nach einem Jahrzehnt starken Wachstums steht die Türkei seit 2016 vor erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen. Der enorme Preisanstieg ist dabei eine der Hauptsorgen des Landes. Er lag nach offiziellen Angaben im Februar bei 15,61 Prozent. Vor allem Nahrungsmittel werden immer teurer: Die Lebensmittelpreise stiegen im Februar auf Jahresbasis um 18,4 Prozent. Drastische Preiserhöhungen gab es etwa bei Grundnahrungsmitteln wie Eier, Brot, Sonnenblumenöl und Käse. Erdogan steht deshalb auch innenpolitisch unter Druck, der Unmut im Volk wächst – in zwei Jahren finden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt.

Austritt aus Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen

Als klares Signal an Erdogans Wähler aus konservativen und islamistischen Kreisen wird daher der überraschende Austritt aus der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen gewertet. Erdogan hatte ein entsprechendes Dekret am Wochenende im Amtsblatt veröffentlichen lassen. Die Konvention war 2011 vom Europarat ausgearbeitet worden und sollte einen europaweiten Rechtsrahmen schaffen, um Gewalt gegen Frauen zu verhüten und zu bekämpfen. Erdogan selbst hatte die Konvention in Istanbul – dem Ort der finalen Einigung – unterschrieben, damals noch als Ministerpräsident. Später wurde sie in der Türkei zwar auch entsprechend ratifiziert, laut der Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“ aber nie angewendet.

Neben Protesten von Opposition und Frauenrechtsgruppierungen in Istanbul, Ankara und Izmir am Wochenende kam scharfe Kritik auch aus dem Ausland. Der Europarat sprach von „verheerenden Nachrichten“. „Dieser Schritt ist ein großer Rückschlag (…) und umso bedauerlicher, als er den Schutz der Frauen in der Türkei, in ganz Europa und darüber hinaus gefährdet“, so die Generalsekretärin Marija Pejcinovic Buric.

Das österreichische Außenministerium schrieb auf Twitter: „Wir bedauern zutiefst die Entscheidung der Türkei, sich aus der Istanbul-Konvention zurückzuziehen. Die Verhütung und Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung.“ Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) ließ mitteilen, Erdogan führe sein Land damit einmal mehr zurück in die Vergangenheit und weiter weg von Europa, die Leidtragenden dieser Entscheidung seien wieder die Frauen. Umso wichtiger sei es, dem Einfluss Erdogans auf Europa und Österreich durch Netzwerke und Vereine scharf entgegenzutreten und diesen klar zu unterbinden.

Petra Bayr (SPÖ), Vorsitzende des Ausschusses für Gleichbehandlung und Antidiskriminierung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, nannte die Entscheidung des türkischen Präsidenten auch demokratiepolitisch alarmierend. FPÖ-Chef Norbert Hofer erklärte in einer Aussendung: „Mit diesem Schritt hat der türkische Machthaber Erdogan erneut einen eindrucksvollen Beweis dafür geliefert, dass die Türkei nicht auf dem Wertefundament eines freien und aufgeklärten Europas steht.“

Weitere Abkehr von Europa

Für Besorgnis in Europa sorgte vergangene Woche zusätzlich auch das Verbot der prokurdischen Partei HDP in der Türkei gezeigt. Erdogan beschuldigt die zweitgrößte, linksgerichtete Oppositionspartei des Landes regelmäßig, der politische Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein, die im Südosten des Landes und im Nordirak gegen die türkische Armee kämpft. „Die Schließung der zweitgrößten Oppositionspartei würde die Rechte von Millionen Wählern in der Türkei verletzen“, so EU-Außenbeauftragter Josep Borrell und Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi am Donnerstag. „Dies verstärkt die Besorgnis der EU über Rückschritte bei den Grundrechten in der Türkei.“

Das Verhältnis zur Türkei wird am Montag auch Thema des EU-Außenministertreffens in Brüssel. Es wird erwartet, dass der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den Außenministern ein Optionspapier präsentiert, das dann Ende der Woche auch eine Grundlage für Gespräche beim Gipfeltreffen Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wird. Der Bericht für den EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs beinhaltet auch Optionen zum weiteren Vorgehen der EU. Er enthält einerseits Vorschläge zu Anreizen für eine „positive Agenda“ der Beziehungen wie eine Ausweitung der Zollunion. Andererseits werden auch Sanktionen genannt.