Screenshot von einem Tweet von Frau mit gerissenen Jeans
Screenshot twitter.com/ruchikokcha
Indien

Zerrissene Jeans als Symbol für Frauenrechte

Der Kampf für mehr Frauenrechte hat in Indien ein neues Symbol und ein neues Schlagwort: zerrissene Jeans. Mit dem Hashtag „#rippedjeans“ prangern Frauen an, dass ihnen Männer noch immer vorschreiben wollen, was sie zu tragen haben. Den Vorwurf, dass freizügige Kleidung Übergriffe provoziere, müssen Frauen weltweit nach wie vor immer wieder hören. In Indien sind zusätzlich Jeans an sich konservativen Kreisen ein Dorn im Auge.

Auslöser der Debatte über die zerrissenen Jeans war laut BBC der Regierungschef des indischen Bundesstaats Uttarakhand im Norden Indiens, Tirath Singh Rawat. Er hatte in einer Rede im Rahmen einer Tagung zum Thema Kinderrechte eine Zufallsbekanntschaft mit einer NGO-Chefin in einem Flugzeug beschrieben: „Sie leiten eine NGO, tragen an den Knien zerrissene Jeans in der Öffentlichkeit und reisen mit Kindern – welche Werte werden sie so vermitteln?“, kritisierte er. Zerrissene Jeans seien symptomatisch für die um sich greifende moralische Verkommenheit – Eltern hätten dafür zu sorgen, dass Kinder, vor allem Mädchen, anständig gekleidet seien.

Seine Aussage wurde sofort heftig kritisiert und sorgte für einen indienweiten Aufschrei in Sozialen Netzwerken. Die Opposition forderte eine umgehende Entschuldigung oder den Rücktritt Rawats, der der Partei von Premierminister Narendra Modi angehört. Er solle sich um wichtigere Dinge kümmern, etwa die Sicherheit von Frauen oder die „zerrissene Wirtschaft“, so die Ratschläge, die ihm Frauen aus allen Teilen Indiens per Twitter gaben.

Aufschrei gegen Misogynie

Frauenrechtlerin Swati Maliwal, Vorsitzende der Delhi-Frauenkommission, war eine der Ersten, die sich auf Twitter zu Wort meldeten: „Vergewaltigungen passieren nicht, weil Frauen kurze Kleidung tragen, sondern weil Männer wie Rawat Misogynie propagieren und in ihrem Job versagen.“

Oppositionspolitikerin Priyanka Gandhi Vadra, Tochter der einflussreichen Politikerfamilie Nehru-Gandhi und Zukunftshoffnung der Kongresspartei (INC), postete Fotos von Premier Modi und seinen Parteikollegen in kurzen Hosen: „Oh mein Gott, ihre Knie sind zu sehen“, weist die Enkelin der ehemaligen Premierministerin Indira Gandhi spöttisch auf die Doppelmoral hin.

Angesichts des Aufschreis erklärte Rawat vergangene Woche, er entschuldige sich, sollte seine Aussage jemanden verletzt haben. Das sei nicht seine Intention gewesen, jeder solle frei entscheiden, was er oder sie tragen möchte.

Ein Kleidungsstück, viele Feindbilder

Da in vielen Teilen Indiens Frauen extremen Repressalien ausgesetzt sind, werden Stellungnahmen wie die Rawats als besonders heikel betrachtet. Immer wieder versuchen Politiker, Frauen die Mitschuld an Gewalttaten zu geben – weil sie diese mit freizügiger Kleidung provoziert hätten. In ländlicheren Gegenden sind strenge Kleidungsvorschriften durch die Regionalpolitik durchaus noch an der Tagesordnung. Zerrissene Jeans vereinen dabei gleich mehrere Feindbilder: nackte Haut, Frauen in engen Hosen und Jeansstoff als Sinnbild von negativem westlichen Einfluss auf die indische Kultur. Denn obwohl schon seit den 1980er Jahren weit verbreitet, gelten Jeans in ländlichen Gebieten immer noch als Kleidungsstück, das Generationen spaltet.

Extrem hohe Zahl an Übergriffen gegen Frauen

Die Zahl der Übergriffe gegen Frauen und Mädchen in Indien ist extrem hoch. Nach offiziellen Statistiken wird alle 15 Minuten eine Inderin vergewaltigt, die Dunkelzimmer wird als noch weitaus höher eingeschätzt, denn viele Angriffe werden vertuscht. Aktivistinnen und Aktivisten werfen der Polizei und dem Justizsystem vor, Opfer sexueller Gewalt zu wenig ernst zu nehmen. Nur die brutalsten Fälle machen große Schlagzeilen. Viele Fälle bleiben jahrelang liegen, und manche Verdächtige kommen gar auf Kaution frei.

Als umso richtungsweisender feierte die #MeToo-Bewegung ein Gerichtsurteil im Februar. Ein ehemals hochrangiger Politiker der Modi-Regierung verlor ein Verleumdungsverfahren. Die Journalistin Priya Ramani hatte dem früheren Staatssekretär im Außenministerium und ehemaligen Zeitungsherausgeber MJ Akbar im Zuge der #MeToo-Bewegung 2018 sexuelle Belästigung vorgeworfen. Dieser ging anschließend wegen Verleumdung gegen Ramani vor, sie wurde letztlich in allen Anklagepunkten freigesprochen, wie ihre Anwältin sagte.

Hätte Ramani verloren, hätte sie nach indischem Recht mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden können. „Ich hoffe, dass das mehr Frauen bestärkt zu reden“, sagte sie Reportern nach der Urteilsverkündung. „Ich hoffe, dass es auch mächtige Männer davon abhalten wird, falsche Klagen gegen Frauen zu erheben, die die Wahrheit sagen.“