Daniel Spoerri: Frühstückstablett, Selbstbedienungsrestaurant, Paris, 1966
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: © Kunstpalast – Horst Kolberg
Spoerri-Retrospektive

Finger weg vom Mittagessen

Zum 91. Geburtstag des Künstlers Daniel Spoerri zeigt das Kunstforum Wien eine große Retrospektive. Seinen Platz in der Kunstgeschichte eroberte Spoerri mit seinen originellen „Fallenbildern“. Dafür klebte er alles, was nach einer Mahlzeit noch auf Tisch stand, fest und hängte die Tischplatte wie ein Bild an die Wand. Die jetzige Schau zeichnet das enorm vielseitige Oeuvre des Wahlwieners nach.

Die Situation muss ebenso skurril wie witzig gewesen sein: Der eine kratzte noch sein Gulasch vom Teller, der andere knabberte am Baguette oder zündete sich eine Zigarette an, da rief der Wirt plötzlich „Stopp!“. Ab diesem Moment durfte kein Brösel am Tisch mehr verändert werden. Schließlich sollte aus der Tafel, an der im Düsseldorfer Restaurant Spoerri gespeist worden war, ein Kunstwerk entstehen.

In den 1960er Jahren entstanden auf diese Weise unzählige Stillleben. „Am Anfang war ich dabei extrem streng“, erinnert sich Spoerri im Kataloginterview zur aktuellen Werkschau. „Wenn jemand sagte, ich könne einen Gegenstand von dem Tisch nicht haben, dann ließ ich es ganz sein.“

Daniel Spoerri: Tableau piège – Sevilla Serie Nr. 16, 1991
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: MOCAK Collection
Der in den 1960er Jahren entwickelten Idee der „Fallenbilder“ blieb Spoerri stets treu, hier: „Tableau piege – Sevilla Serie Nr. 16“ von 1991

Frühe Karriere als Balletttänzer

Begonnen hat alles ohne Gäste, in einem kleinen Pariser Hotel, wo der Bohemien Anfang der 1960er Jahre lebte und arbeitete. Damals hatte Spoerri, geboren 1930 in Rumänien, bereits mehrere Karrieren hinter sich: als Balletttänzer in Bern, als Regieassistent in Darmstadt und als umtriebiger Herausgeber von Künstlereditionen.

„Spoerri war immer ein sehr guter Netzwerker“, erzählt Kuratorin Veronika Rudorfer beim Ausstellungsrundgang. So mischte er unter anderem bei den Künstlergruppen Zero und den Nouveau Realistes mit. Dank seiner Kontakte zu Museumsdirektoren ist Spoerris Name heute in den wichtigsten europäischen Häusern vertreten. Die 100 jetzt vereinten Exponate stammen von 43 öffentlichen und privaten Leihgebern.

Passion für den Flohmarkt

Drei Porträtgemälde aus dem 19. Jahrhundert bilden das strenge Empfangskomitee der Ausstellung. Die respektheischenden Bilder von Generälen und Gouvernanten reizten Spoerri bereits 1962/63, sie mit allerlei Kleinzeug humorvoll zu garnieren. Das Material dafür stammte von Pariser Flohmärkten. Dort wurde der Künstler bald berühmt-berüchtigt, machten ihn doch seine Angebote verdächtig, die gesamte Ware von Ständen zu erwerben.

Fotostrecke mit 11 Bildern

Daniel Spoerri: Der General, 1962
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: mumok
„Der General“, 1962
Daniel Spoerri: 26 Flohmarkt Wien
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Rita Newman
„#26 Flohmarkt Wien“, April 2016
Daniel Spoerri & Robert Filiou: Rat’s Nest, 1977
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Niels Fabaek
Daniel Spoerri & Robert Filiou, „Rat’s Nest“, 1977
Daniel Spoerri Tableau Piège: Restaurant Spoerri, 1972
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Bündner Kunstmuseum Chur
„Tableau Piege: Restaurant Spoerri“, 1972
Daniel Spoerri: Restaurant de la City-Galerie (Fallenbild), 1965
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Stefan Rötheli
„Restaurant de la City-Galerie (Fallenbild)“, 1965
Daniel Spoerri: Fluxus Pegasus, 198
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Giorgia Palmisano
„Fluxus Pegasus“, 1987
Daniel Spoerri: Objekt II des Zyklus Objets de magie à la noix, 1966/1967
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Museum Morsbroich
„Objekt II des Zyklus Objets de magie a la noix“, 1966/1967
Daniel Spoerri: Brotteigobjekt (Damensandale), 1970/1971
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Kunstpalast/Horst Kolberg
„Brotteigobjekt (Damensandale)“, 1970/1971
Daniel Spoerri: La Pharmacie Bretonne, 1972–1977
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: mumok
„La Pharmacie Bretonne“, 1972–1977
Daniel Spoerri: Se laisser manger la laine sur le dos, 1965
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021
„Se laisser manger la laine sur le dos“, 1965
Daniel Spoerri: Palette pour Grégoire Müller, 1992
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Tilman Daiber
„Palette pour Gregoire Müller“, 1992

Hatte er in der Fülle irgendetwas Wertvolles entdeckt, das der Verkäufer nicht erkannte? Um an den Krimskrams für seine Assemblagen zu gelangen, behauptete Spoerri damals einfach, als Requisiteur für das Fernsehen zu arbeiten. So kamen die Händler mit bestimmten Objekten auf ihn zu.

Memento Mori mit Betstuhl

Der passionierte Sammler klaubte aber auch auf, was am Ende des Tages auf dem Asphalt liegen blieb. Seine häufige Verwendung von Puppen, Schuhen oder Eiern erinnert an den Surrealismus. Während dieser jedoch den Fetischcharakter hervorstrich, ging es Spoerri seit jeher um die Wertigkeit der Dinge.

Was unterscheidet ein brauchbares Utensil von Müll, Kunst von Trash? Diese Frage bringt auch die Assemblage „Machin, chose, bidule, truc, quoi? (Les Puces)“ zum Ausdruck, deren Titel französische Begriffe für „Ding“ versammelt. Bei dieser Leihgabe aus dem Amsterdamer Stedelijk Museum liegt viel Zeug unter einer orangefarbenen Decke begraben, darauf liegt ein Gebetsstuhl mit geschnitztem Kreuz in der Lehne – ein Memento Mori, eine Mahnung an die Vergänglichkeit, wie sie bei Spoerri oft zu finden sind.

Flucht vor dem NS-Regime

Wer darauf achtet, entdeckt viel Dunkles und Tiefes in dieser vordergründig so heiteren Kunst. Als Zehnjähriger musste Daniel Isaac Feinstein miterleben, wie sein Vater 1941 bei einem Pogrom ermordet wurde. Spoerris Schweizer Mutter floh auf abenteuerlichen Wegen in ihre Heimat, wo sie ihre sechs Kinder bei Verwandten unterbrachte.

Daniel Spoerri: Fluxus Pegasus, 198
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Giorgia Palmisano
Auch abseits der „Fallenbilder“ arbeitete Spoerri mit Technik der Assemblage, hier: „Fluxus Pegasus“, 1987

Daniel landete bei Theophil Spoerri, dem Rektor der Zürcher Universität, was aber zu keiner akademischen Ausbildung des Burschen führte. So wie Spoerri seine frühe Laufbahn schildert, stand sie oft auf der Kippe und glückte vor allem durch Begegnungen mit Förderern seiner Talente.

Wegbegleiter Jean Tinguely

Ein zentraler Wegbegleiter war Jean Tinguely, der für seine motorbetriebenen Maschinenskulpturen bekannt wurde. Die jetzige Schau zeigt auch eine Rekonstruktion von Spoerris kinetischer Installation „Autotheater“, bei deren Aufbau ihm der Freund half. Spoerri nahm damit 1959 in Antwerpen an seiner ersten Ausstellung „Vision in Motion“ teil.

Daniel Spoerri: Chambre No 13, 1998
Daniel Spoerri und Bildrecht Wien, 2021 Foto: Susanne Neumann
Das Pariser Hotelzimmer „Chambre No 13“, in dem Spoerri Anfang der 1960er Jahre wohnte, rekonstruierte er 1998

Die große Arbeit besteht aus verchromten Blechstreifen und Papierrollen mit Text, diese Fragmente sollten von den Betrachtern abgelesen werden. Der Skulptur „Autotheater“ fehlt zwar Spoerris typische Patina, aber sie demonstriert sein Interesse, das Publikum mit einzubeziehen und auch sein Faible für konkrete Poesie. Für diese literarische Strömung hatte er bereits 1958 die Zeitschrift „material“ initiiert.

Im Restaurant Spoerri

Aber der Künstler wollte viele Sinne ansprechen und so richtete er 1963 in einer Pariser Galerie für zwei Wochen ein Restaurant ein. Dort fungierten witzigerweise Kunstkritiker als Kellner; nach dem Menü für 30 Gäste wurde täglich ein Tisch als „Fallenbild“ fixiert. Mit diesen Kochaktionen wurde Spoerri zum Erfinder der „Eat Art“.

Ausstellungshinweis

Daniel Spoerri. Bank Austria Kunstforum Wien, von 24. März bis 27. Juni 2021, täglich 10.00 bis 19.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog (200 Seiten, 32,90 Euro) erschienen.

Der größte Saal des Kunstforums widmet sich solchen Interventionen und seinem Düsseldorfer Restaurant, das er von 1968 bis 1972 betrieb. Spannender, weil weniger bekannt, ist die Skulpturenserie der „Zimtzauberkonserven“: Sie entstanden während Spoerris Aussteigerjahr auf der griechischen Insel Symi. Aus den Fundstücken, die der Künstler dort etwa am Strand aufsammelte, kreierte er die archaisch anmutende Kleinplastiken.

Ein Kunstgarten im Süden

Der Retrospektive gelingt es, eine thematische Schneise durch Spoerris überbordendes Oeuvre aus sieben Jahrzehnten zu schlagen. Für Überraschung sorgen dabei die Jahreszahlen auf den Saalschildern, denn oft ist der Altersunterschied zwischen einer Arbeit von 1965 und einer anderen von 2005 kaum zu erkennen.

Nicht alle Ideen, die der Künstler mit Hingabe verfolgt hat, überzeugen heute noch. Was jedoch mitreißt, ist und bleibt Spoerris Begeisterungsfähigkeit. Zum Beispiel seine Leidenschaft für Eier: In einem ovalen Ausstellungsmöbel wird seine saisonal derzeit so gut passende „Eggcyklopedia“ mit Sammlungsstücken und Plastiken rund um das Ei präsentiert.

Der letzte Ausstellungsabschnitt widmet sich dem großen Skulpturengarten „Il Giardino di Daniel Spoerri“, den der Künstler seit 1991 in der Toskana mit eigenen und fremden Arbeiten geschaffen hat. Wer ein Werk von Spoerri betreten möchte, muss aber nicht so weit in den Süden fahren. Im niederösterreichischen Hadersdorf am Kamp hat der Künstler in einem ehemaligen Kloster sein Ausstellungshaus Spoerri eröffnet, das neben einer Dauerpräsentation auch jährliche Wechselausstellungen zeigt.