Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel
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„Mein Fehler“

Merkel zieht Osterruhe zurück

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eigene Fehler bei dem Beschluss zu einer Osterruhe eingeräumt und die Öffentlichkeit um Entschuldigung gebeten. Der inzwischen revidierte Beschluss sei „einzig und allein mein Fehler“ gewesen, und als Kanzlerin wolle sie die Verantwortung dafür tragen, sagte Merkel am Mittwoch in Berlin. Verschärfte Maßnahmen zu Ostern sind in Deutschland damit vom Tisch – allerdings wird nun geprüft, wie Urlaubsreisen ins Ausland unterbunden werden könnten.

Merkel begründete den Rückzieher mit zu vielen ungeklärten Fragen bei der Umsetzung. Die Idee sei mit bester Absicht entworfen worden, sagte Merkel am Mittwoch in Berlin nach kurzfristig angesetzten Beratungen mit den Ministerpräsidenten der Länder. Zu viele Fragen von der Lohnfortzahlung bis zur Lage in Geschäften und Betrieben hätten aber in der Kürze der Zeit nicht so gelöst werden können, wie es nötig gewesen wäre.

Sie wisse, dass „der gesamte Vorgang zusätzliche Verunsicherung auslöst. Dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung“, so Merkel. Unmut hatte sich vor allem daran entzündet, dass nach den stundenlangen Beratungen in der Nacht auf Dienstag die Umsetzung zentraler Beschlüsse noch offen war.

Merkel verteidigt Bund-Länder-Format

Vor dem Bundestag verteidigte Merkel das Steuerungsgremium der Bund-Länder-Runden am Nachmittag. Es gebe sehr viele und sehr gute gemeinsam getragene Entscheidungen mit den Ministerpräsidenten. „Über die Verbesserung der Arbeitsweise (…) werden wir auch noch einmal miteinander reden.“ Das sei in den Bund-Länder-Beratungen am Montag so besprochen worden. So wie im Parlament gebe es bei den Bundes- und Landesregierungen Sachverstand. „Das zeichnet unsere föderale Ordnung aus.“

Ministerpräsidenten zollen Merkel Respekt

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verteidigte die Rücknahme. „Man kann nicht einen gesetzlichen Feiertag eben mal innerhalb von zehn Tagen vorher einführen“, sagte der CDU-Vorsitzende vor dem Landtag in Düsseldorf.

Es seien zudem Probleme aufgetaucht, die nicht gesehen worden seien. So wären durch die Osterruhe etwa Lieferketten unterbrochen worden, etwa bei Fleisch und Babynahrung. „Das ist das Ergebnis, und ich finde, es tut der politischen Kultur in Deutschland gut, wenn man dann auch rechtzeitig die Notbremse zieht und sagt: ‚Wir nehmen die Maßnahme zurück.‘“

Auch der sächsische Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) nahm Merkel in Schutz: „Ich finde, sie muss dafür nicht die Verantwortung übernehmen. Diese Entscheidung ist von 16 Ministerpräsidenten und der Bundesregierung gemeinsam getroffen worden“, sagte Kretschmer am Mittwoch am Rande der Landtagssitzung in Dresden. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) betonte, die Osterruhe sei eine „gemeinsame Entscheidung“ gewesen – es habe „jetzt hoffentlich niemand eine Erinnerungslücke“.

Osterruhe abgesagt

ORF-Korrespondentin Verena Gleitsmann (ORF) erklärt die Hintergründe der Absage der Osterruhe.

Scharfe Kritik der Opposition

Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch und FDP-Partei- und -Fraktionschef Christian Lindner forderten Merkel auf, die Vertrauensfrage zu stellen. „Wir brauchen endlich konsequente Pandemiebekämpfung. Das geht nur, wenn die Kanzlerin das Vertrauen der Mehrheit des Parlaments genießt“, so Bartsch. „Sie sollte im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage stellen“, ergänzt er. „Wir haben inzwischen eine veritable Vertrauenskrise gegenüber der politischen Führung des Landes.“

Lindner schrieb auf Twitter: „Die Bundeskanzlerin kann sich der geschlossenen Unterstützung ihrer Koalition nicht mehr sicher sein. Die Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag wäre ratsam, um die Handlungsfähigkeit der Regierung von Frau Merkel zu prüfen.“

Die Grünen schlossen sich den Forderungen nicht an. „Das Virus lässt sich auch von populistischen Wahlkampfspielen wie der Vertrauensfrage nicht aufhalten“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt am Mittwoch. Es brauche vielmehr von allen Seiten ernsthafte Bemühungen, aus der Krise zu kommen. „Einen Fehler einzuräumen verdient Respekt“, so Göring-Eckardt. Allerdings bleibe eine noch tiefere Vertrauenskrise. „Das Corona-Krisenmanagement der Regierung ist gescheitert.“

Die rechtspopulistische AfD kritisierte das gesamte Krisenmanagement Merkels. Merkel übernehme die Verantwortung, aber keiner wisse, wie diese Verantwortung aussehe. Die Entscheidung zeige eine „Bunkermentalität“ der Kanzlerin, die sich mit ihrer „Entourage“ vom normalen Bürger und der Arbeitswelt entfernt habe. Weidel forderte für die AfD-Fraktion eine sofortige Beendigung der Coronavirus-Maßnahmen.

Viel Kritik trotz gemeinsamer Beschlüsse

An den Beschlüssen hatte es zuvor sehr viel Kritik auch aus den eigenen Reihen gegeben. Innenminister Horst Seehofer (CSU) monierte gegenüber „Bild“, dass auch keine physischen Gottesdienste stattfinden sollen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte schon am Dienstag „Nachbesserungen“ und Öffnungsperspektiven nach Ostern gefordert.

Laschet und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wiederum hatten kritisiert, dass weiter Flüge nach Mallorca möglich sind, aber kein Urlaub in Deutschland selbst. Zugleich hatte Laschet am Dienstagabend betont, dass alle Ministerpräsidenten von CDU, CSU, SPD, Grünen und Linken die Beschlüsse gemeinsam getroffen hätten.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel
APA/AFP/Stefanie Loos
In einer Pressekonferenz entschuldigte sich Merkel bei den Menschen in Deutschland. Der ganze Vorgang habe zusätzliche Verunsicherung ausgelöst, „das bedauere ich zutiefst, und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung“.

Die Rücknahme wurde umgehend von vielen Seiten begrüßt: Autoindustrie, Handel und der Zentralverband des Deutschen Handwerks zeigten sich erleichtert. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger lobte die Entscheidung: „Die mutige Entscheidung der Bundeskanzlerin beweist Führungsstärke,“ sagte Dulger am Mittwoch in Berlin.

Ursprünglicher Plan: Einmalig fünf Tage Ruhe

Die Regelung hätte vorgesehen, Gründonnerstag und Karsamstag einmalig als Ruhetage zu definieren und mit weitgehenden Kontaktbeschränkungen zu verbinden. „Es gilt damit an fünf zusammenhängenden Tagen das Prinzip #WirBleibenZuHause“, hieß es in dem Beschlusspapier. Nur am Karsamstag sollte der Lebensmittelhandel im engeren Sinne geöffnet bleiben. Private Zusammenkünfte sollten auf den eigenen und einen weiteren Haushalt, maximal fünf Personen insgesamt, beschränkt werden.

Ansammlungen im öffentlichen Raum hätten dem Beschluss zufolge in dieser Zeit generell untersagt werden sollen. Wo bereits Außengastronomie offen ist, hätte sie für diese fünf Tage wieder geschlossen werden müssen. Nur Impf- und Testzentren sollten offen bleiben. Kirchen und Religionsgemeinschaft sollten zu Ostern nur Onlineangebote für die Gläubigen machen. Die katholische Kirche in Deutschland wollte dennoch an Präsenzgottesdiensten festhalten – man sei irritiert und von der Bitte überrascht worden, hieß es – mehr dazu in religion.ORF.at.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der berliner Bürgermeister Michael Muller und Bayerns Premierminister Markus Söder.
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Erst kurz vor 3.00 Uhr fand der deutsche Bund-Länder-Gipfel am Dienstag ein Ende

Stundenlange Beratungen wegen Streits über Urlaubsfrage

Vorausgegangen war die schwierigste Verhandlungsrunde von Deutschlands Kanzlerin und Länderregierungschefs seit dem Ausbruch der Pandemie. Mehr als elf Stunden lang wurde verhandelt – wegen eines Streits über „kontaktarmen Urlaub“ im eigenen Bundesland war die große Runde allerdings stundenlang unterbrochen.

Beschlossen wurde schließlich, dass Tourismus im Inland auch in den Osterferien nicht möglich sein wird. Hotels und andere Beherbergungsbetriebe sollen für Urlauber geschlossen bleiben. Für deutsche Urlauber im Ausland soll über eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes eine generelle Testpflicht vor dem Rückflug eingeführt werden. Sie soll zur Voraussetzung für die Einreise nach Deutschland gemacht werden. Schon jetzt müssen Einreisende einen negativen Test vom Abflug vorweisen, die aus „Hochinzidenzgebieten“ mit besonders vielen Infektionen sowie Gebieten mit neuen Virusvarianten kommen.

Mallorca-Urlaub könnte doch schwierig werden

Wie Mittwochnachmittag bestätigt wurde, prüft die deutsche Bundesregierung nun, wie Urlaubsreisen ins Ausland – auch in Nichtrisikogebiete – unterbunden werden könnten. Nachdem Mallorca von der Liste der Risikogebiete gestrichen und die Reisewarnung wegen stark gesunkener Infektionszahlen aufgehoben wurde, hatte sich die Debatte entzündet. Damit entfiel auch die Quarantäne für Rückkehrer. Das hat zu einem Buchungsboom geführt, aber auch zu hitzigen Diskussionen, ob man damit einen neuen Infektionsherd riskiert.

Verschärfungen bei Inzidenzen über 100

Angesichts des exponentiellen Wachstums der Infektionen wurde weiters beschlossen, dass die Anfang März vereinbarte „Notbremse“ konsequent umgesetzt werden müsse. Ab einer 7-Tage-Inzidenz von mehr als 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner sollen die Landkreise weitgehendere Schritte umsetzen. Als Möglichkeit genannt werden unter anderem Ausgangsbeschränkungen, verschärfte Kontaktbeschränkungen und die Pflicht zu tagesaktuellen Schnelltests in Bereichen, in denen das Abstandhalten oder konsequente Maskentragen erschwert sind.

Seit dem Wochenende liegt die deutschlandweite 7-Tage-Inzidenz wieder über 100, am Mittwoch blieb sie nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) auf dem Wert des Vortages – 108,1. Zum Vergleich: In Österreich lag die 7-Tage-Inzidenz nach Angaben der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) am Dienstag bei 243,1.