Eine Person sitzt auf einer Bank im Nordbahnviertel in Wien
ORF.at/Christian Öser
Experte

Osterruhe im Osten wohl zu kurz

Für sechs Tage wird es in Wien, Niederösterreich und im Burgenland rund um die Uhr Ausgangsbeschränkungen geben, auch der Handel und körpernahe Dienstleister sperren zu. Laut Komplexitätsforscher Peter Klimek wird das aber nur reichen, um „kurzfristig den Trend abzuflachen“. Öffnungsschritte würden vor allem davon abhängen, „wie sehr wir die Lage jetzt eskalieren lassen“, so der Experte.

„Wir haben alle gesehen, wie dramatisch die Entwicklung in den Intensivstationen ist“, so der Experte von der MedUni Wien am Mittwochabend im ZIB2-Interview. Schließungen und Öffnungen von Handel und Schulen hätten in der Vergangenheit gezeigt, dass sie das Infektionsgeschehen „zehn Prozent verlangsamen oder beschleunigen, Pi mal Daumen.“

Wenn man eine solche Schließung für wenige Tage festlege, „reicht das nur, um kurzfristig den Trend abzuflachen“, so Klimek. „Aber wir müssen in eine Situation kommen, dass wir in eine Entspannung hineinkommen“, so die Forderung des Experten. Es gehe darum, „möglichst schnell eine Trendwende zu schaffen“.

Analyse der Maßnahmen in der Ostregion

Komplexitätsforscher Peter Klimek, der auch in jeder Expertengruppe sitzt, die für die Regierung die Prognosen errechnet. und Politikwissenschaftler Peter Filzmaier über die neuen Maßnahmen.

Trendumkehr als Basis für Öffnungsschritte

Dass man jetzt schnell handle, sei auch Voraussetzung für spätere Öffnungsschritte. „Wenn wir erst Wochen brauchen, um Berge auf den Intensivstationen abzutragen, dann muss man jeden Öffnungsschritt kritischer hinterfragen.“ Wie schnell man Öffnungsschritte umsetzen könne, hänge „ganz kritisch davon ab, wie sehr wir die Lage jetzt eskalieren lassen“.

Klimek verwies darauf, dass es darum gehe, „nicht viel, sondern kontinuierlich“ aus dem Zahlenwachstum herauszunehmen. So könnten schon, „wenn wir noch 20 Prozent der Bevölkerung mehr geimpft haben“, die Virusvarianten unter Kontrolle gebracht werden. Damit könnte auch eine Entlastung „Richtung Mai“ erreicht werden.

Ausgangssperre von 1. bis 6. April

Zuvor gab Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zusammen mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil (SPÖ) die neuen Verschärfungen bekannt. So soll von 1. bis einschließlich 6. April der Handel in der Ostregion bis auf Geschäfte des täglichen Bedarfs schließen. Außerdem bleiben die körpernahen Dienstleistungsbetriebe, etwa Friseursalons, für diese Zeit zu.

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil (SPÖ) bei der Pressekonferenz
APA/Georg Hochmuth
Nach intensiven Beratungen kamen die drei Landeshauptleute und der Gesundheitsminister zu einer Einigung

Einige Maßnahmen sollen in der Ostregion auch noch nach Ostern gelten, so Anschober: Die FFP2-Maskenpflicht wird ab 1. April generell ausgedehnt auf geschlossene Räume – außer man befindet sich alleine im Raum. Der eigene Wohnbereich ist freilich ausgenommen. FFP2-Maskenpflicht soll im Osten aber bald auch im Freien gelten, wenn Menschenmassen unvermeidbar sind.

Ebenfalls wurde am Mittwoch für die Zeit nach Ostern eine Testpflicht für den Besuch des Handels – abseits der Grundversorger – angekündigt. Diese ist aber nur von 7. bis 10. April vorgesehen, nach dieser „ersten Phase“ folgt eine Evaluierung mit Potenzial auf Ausdehnung, bestätigte man am Donnerstag auf APA-Anfrage im Gesundheitsministerium.

Betriebstestungen bald verpflichtend

Zudem sollen Arbeitspendlerinnen und -pendler stärker kontrolliert werden, und zwar zweimal pro Woche und nicht mehr einmal wie bisher. Anschober nannte insbesondere Tschechien und Ungarn als Herkunftsländer. Betriebstestungen sollen in der Ostregion für alle verpflichtend werden, mindestens einmal pro Woche. Als Alternative nannte Anschober das Homeoffice, sofern möglich. Die für die Tests nötigen Gesetzesänderungen sollen schon am Donnerstag im Nationalrat eingebracht werden.

Die Ausgangsbeschränkungen werden weiters in der Ostregion über Ostern wieder rund um die Uhr ausgeweitet mit Ausnahme in dringenden, unaufschiebbaren Gründen wie die Fahrt zur Arbeit, Spaziergänge oder Individualsport, die Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen und die Abwendung von Gefahren. Osterfeiern im Familienkreis sind damit aber ausgeschlossen. Wie schon aus dem „harten Lockdown“ bekannt, sind dann Treffen nur zwischen mehreren Personen eines Haushaltes mit einer einzelnen Person eines weiteren Haushaltes gestattet, das muss außerdem eine enge Bezugsperson sein.

Opposition kritisiert Maßnahmen

Kritik kam nach den Ankündigungen aus der Politik und der Wirtschaft. Für FPÖ-Chef Norbert Hofer ist das Ergebnis eine „große Enttäuschung und ein Schritt in die falsche Richtung“, für den stellvertretenden NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak ein „Versagen der türkis-grünen Bundesregierung“. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl sah in den Maßnahmen eine „einzige Pflanzerei“.

Kritik aus überraschender Richtung kam vom Landesparteiobmann der SPÖ Niederösterreich, Landeshauptmann-Stellvertreter Franz Schnabl, schließlich wurden die Maßnahmen von seinen Parteifreunden aus Wien und dem Burgenland, Bürgermeister Ludwig und Landeshauptmann Doskozil, mitgetragen und mit verkündet. Schnabl meinte in einer Aussendung, dass es keine Pandemieexperten brauche, um zu wissen, dass die Schritte Arbeitnehmer und Unternehmer „näher an den wirtschaftlichen Abgrund bringen“.

Kritik an „überzogener Maskenpflicht“

Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel, zeigte sich schwer enttäuscht. „Das ist ein weiterer Nackenschlag, wir sind ja schon seit 111 Tagen geschlossen. Jeder Tag zusätzlich tut weh“, sagte er. Er fordert nun einen Eintrittstest für den gesamten Handel, also auch den Lebensmittelsektor. Das würde zu einer höheren Testrate führen, von der dann auch die anderen Handelsbranchen profitieren könnten. „Das wäre ein Zeichen der Solidarität“, meinte der Handelsobmann Mittwochabend. Kritik kam auch vom Handelsverband – mehr dazu in noe.ORF.at.

Vertreter von Industrie und Handwerk warnten unterdessen vor einer Gefährdung der Produktion durch die verschärften Maßnahmen in Ostösterreich. „Eine überzogenen FFP2-Maskenpflicht führt unweigerlich zu Produktionsausfällen in allen Branchen, auch bei Lebensmitteln“, warnten Renate-Scheichelbauer-Schuster, WKÖ-Obfrau für Gewerbe und Handwerk, und Siegfried Menz, Obmann der Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer.

Ludwig könnte sich schärfere Maßnahmen vorstellen

Im Ö1-Morgenjournal verteidigte unterdessen Ludwig die Maßnahmen, auch die Dauer. „Wir haben ja jetzt auch schon Maßnahmen gesetzt, von denen wir hoffen, dass sie sehr stark wirken – bevor wir auch zur sogenannten Osterruhe kommen“, so Ludwig. Man habe etwa das Contact-Tracing ausgebaut und viele neue Testformate entwickelt. Beim Contact-Tracing habe man eine Erfolgsquote von 70 Prozent. „Das hilft uns sehr.“ Verschärfungen seien aber vorstellbar – mehr dazu in wien.ORF.at.

Mikl-Leitner gab zu, es sei eine gewisse „Corona-Müdigkeit“, die sich breitgemacht habe. Das zehre an den Nerven der Menschen. „Aber es ist wichtig, sich selbst zu schützen, und am besten, wenn man allen Empfehlungen nachkommt“, so die niederösterreichische Landeshauptfrau. Man habe sich auch „bewusst gegen einen zweiwöchigen Lockdown entschieden“, betonte Mikl-Leitner, die sich bis zum Vortag noch strikt gegen eine Schließung des Handels ausgesprochen hatte – mehr dazu in noe.ORF.at. Am Donnerstag verteidigte Mikl-Leitner die Pläne – mehr dazu in noe.ORF.at.

Doskozil erwähnte, dass sich die Landeshauptleute intensiv mit Expertinnen und Experten ausgetauscht hatten. Hierbei seien die Meinungen „durchaus unterschiedlich, was das Maßnahmenspektrum betrifft“, gewesen. „Aber die Ausgangslage ist klar und deutlich.“ Es gebe große Probleme auf den Intensivstationen in der Ostregion, so Doskozil. „Wir laufen Gefahr, dass die Intensivbetten zu Ende gehen“ – mehr dazu in burgenland.ORF.at. Er betonte weiters die gute parteiübergreifende Zusammenarbeit der letzten Tage. „Das wird in den nächsten Wochen ganz wichtig sein – diese Geschlossenheit zu demonstrieren und zu zeigen“, so der burgenländische Landeshauptmann – mehr dazu in burgenland.ORF.at.