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APA/AFP/Vincenzo Pinto
EU-Impfstoffverteilung

Schritte in Richtung Kompromiss

In der Debatte über die Verteilung von Impfstoffen in der EU und Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedsstaaten geht die Suche nach einem Kompromiss weiter. Beim virtuellen Gipfel der Staats- und Regierungsspitzen zeichnete sich eine Annäherung ab. Angenommen wurde bei der Videokonferenz indes eine vorbereitete Erklärung zur Türkei.

Den ganzen Nachmittag lang berieten die Staats- und Regierungsspitzen der EU-Länder über die Impfstoffverteilung. Die Details sollen nun von den EU-Botschafterinnen und -Botschaftern geklärt werden. Eine Lösung soll auf Basis des Bevölkerungsanteils der EU-Staaten und durch die Auslieferungsgeschwindigkeit bei der Verteilung von zehn Millionen zusätzlichen Dosen von Biontech und Pfizer gefunden werden, hieß es am Donnerstag in Ratskreisen.

Hintergrund: Mitte März hatten sechs EU-Länder einen Korrekturmechanismus gefordert, weil sie sich bei der Impfstoffvergabe benachteiligt sehen. Neben Österreich beschwerten sich Tschechien, Slowenien, Bulgarien, Kroatien und Lettland.

Deutschland hatte dagegen argumentiert, dass die Ungleichgewichte dadurch zustande kamen, weil einzelne Länder nicht alle angebotenen Dosen mitbestellten und sie von anderen aufgekauft wurden. Auch Dänemark, Schweden und die Niederlande seien gegen einen Korrekturmechanismus aufgetreten, hieß es.

Kurz pocht auf Korrektur

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte vorgeschlagen, zehn Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech und Pfizer, die nun vorgezogen im zweiten Quartal geliefert werden, für einen Ausgleich zu nutzen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte zu Beginn des Gipfels auf eine Korrektur bei der Verteilung der Vakzine gepocht. „Wenn die Impfstoffverteilung kein Thema für einen Gipfel sein soll, was dann?“, sagte der Bundeskanzler.

ORF-Korrespondent Peter Fritz zum EU-Gipfel

ORF-Brüssel-Korrespondent Peter Fritz über den EU-Gipfel und einen möglichen Ausweg aus dem Streit über die Impfstoffverteilung.

Österreich habe in der Frage der Impfstoffverteilung jedenfalls einiges ins Rollen gebracht, sagte Kurz weiter. Die Staats- und Regierungschefs hätten vereinbart, dass die Auslieferung der Impfstoffe anteilsmäßig anhand der Bevölkerungsverteilung erfolge, durch einen Beschluss der Gesundheitsbeamten sei das aber geändert worden, sodass nun Malta im ersten Halbjahr dreimal so viele Impfstoffe wie Bulgarien bekomme.

Er glaube aber daran, dass es mittlerweile mehr Verständnis für einen Ausgleich innerhalb der EU gebe. „Ich gehe sogar so weit, wenn es hier keine Lösung gibt, dass es einen Schaden für die EU auslösen könnte, wie wir es schon lange nicht erlebt haben“, sagte Kurz.

Schärfere Exportkontrollen

Angesichts anhaltender Lieferprobleme bei CoV-Impfstoffen will sich der EU-Gipfel für die Kontrolle von Ausfuhren in Drittstaaten aussprechen, hieß es in einem Entwurf der Gipfelschlussfolgerungen.

Von den knapp 450 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürgern sind unterdessen inzwischen 62 Millionen mindestens einmal gegen SARS-CoV-2 geimpft. 18,2 Millionen Menschen haben auch ihre zweite Dosis bekommen. Die Zahlen legte Kommissionschefin von der Leyen am Donnerstag vor. Die EU-Staaten erhielten von den Pharmakonzernen bisher rund 88 Mio. Impfdosen. Zugleich gingen seit 1. Dezember 77 Mio. Dosen aus der EU in den Export.

Es sei völlig unverständlich, dass die EU 70 Millionen Dosen von CoV-Impfstoffen in alle Teile der Welt exportiere, selber aber keine Impfstoffe von außerhalb der EU erhalte, so Kurz. „Das ist ein massives Missverhältnis“, sagte Kurz. „Wenn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Meinung sei, dass Exportbeschränkungen einen Sinn machen, dann sollte man sie dabei auch voll und ganz unterstützen“, sagte Kurz.

Einigkeit bezüglich Türkei

Einigkeit konnte auf dem Gipfel indes bezüglich der Türkei erzielt werden. So wurden die Schlussfolgerungen zur Türkei angenommen. Dies teilte der Sprecher von Ratspräsident Charles Michel mit. Darin werden der Türkei konkrete Belohnungen für eine weitere Deeskalation des Erdgasstreits im östlichen Mittelmeer in Aussicht gestellt, etwa eine Ausweitung der Zollunion und Visafreiheit für Türken in der EU.

Eine Entscheidung darüber soll allerdings erst beim nächsten EU-Gipfel im Juni getroffen werden. In der Gipfelerklärung wird auch die Menschenrechtssituation in der Türkei angesprochen, die ein „zentrales Anliegen“ der EU bleibe. Die Staats- und Regierungsspitzen bezeichneten „gezielte Angriffe auf politische Parteien und Medien“ als „schwere Rückschläge für die Menschenrechte“ in der Türkei.

US-Präsident zugeschaltet

Donnerstagabend schaltete sich US-Präsident Joe Biden beim Videogipfel zu. Biden hielt eine kurze Ansprache zum Neustart der transatlantischen Beziehungen. Erklärtes Ziel des US-Präsidenten ist es, im Kampf gegen die CoV-Pandemie und gegen die Klimakrise mit Europa zusammenzuarbeiten und die gemeinsamen Handelsbeziehungen zu stärken.

Die Teilnahme von US-Präsidenten bei EU-Gipfeln ist selten. 2009 war der damalige Präsident Barack Obama bei einem Treffen der EU-Staats- und Regierungsspitzen dabei. „Wenn die EU und die USA Schulter and Schulter zusammenstehen, können sie zeigen, dass Demokratien am besten geeignet sind, die Bürger zu schützen, die Würde zu fördern und Wohlstand zu schaffen“, erklärte Ratspräsident Michel. Das Verhältnis zwischen den USA und der EU war unter Bidens Vorgänger Donald Trump gespannt. Die Handelsbeziehungen zwischen beiden Seiten hatten sich stark verschlechtert. Trump warf der EU unfairen Wettbewerb vor und verhängte Strafzölle.