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APA/AFP/Vincenzo Pinto
EU-Gipfel

Lösung für Impfstoffverteilung nahe

Die EU-Staats- und Regierungsspitzen sind bei ihrem Videogipfel einer Lösung bei der Verteilung von Impfdosen näher gekommen. Sie vereinbarten am Donnerstag, zehn Millionen zusätzliche Impfdosen von Dosen von Biontech und Pfizer zu nutzen, um bestehende Differenzen in der Verteilung auszugleichen. Ob Österreich davon profitiert, ist unklar, mit der Ausarbeitung der Details sind nun die EU-Botschafterinnen und -Botschafter betraut.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich „froh, erleichtert und zufrieden“. „Wir haben uns intensiv für eine gerechtere Auslieferung der Impfstoffe in der Europäischen Union eingesetzt“, sagte der Bundeskanzler laut Aussendung. „Nachdem sich zahlreiche Staaten hier für mehr Gerechtigkeit und Solidarität ausgesprochen haben, gab es den gemeinsamen Beschluss, dass durch die zehn Millionen zusätzlichen Impfdosen eine gerechtere Auslieferung der Impfstoffe in der EU im zweiten Quartal erreicht wird.“

Die Detailumsetzung werde ab jetzt von den EU-Botschafterinnen und -Botschaftern und nicht mehr vom Steering Board durchgeführt. Dessen Kovorsitzender Clemens Martin Auer musste sich wegen der Causa zurückziehen. Die EU-Botschafterinnen und -Botschafter sind gegenüber ihren Hauptstädten weisungsgebunden und müssten einstimmig entscheiden. Kurz hatte unlängst angedeutet, dass Österreich bis zum Sommer rund 400.000 fehlende Dosen erhalten könnte. Nach dem Bevölkerungsschlüssel würden nur 200.000 dieser Biontech-Pfizer-Dosen auf Österreich entfallen.

ZIB-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter aus Brüssel

Es gibt vorsichtige Signale, dass eine Einigung unter den EU-Regierungschefs über die Impfstoffverteilung bevorsteht. Was heißt das konkret für Österreich? Raffaela Schaidreiter berichtet.

Kurz dankte EU-Ratspräsident Charles Michel, dem portugiesischen Ratsvorsitzenden Antonio Costa und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ihre Bemühungen für eine gute Lösung für alle.

Draghi: „Kurz wird keine einzige zusätzliche Dosis erhalten“

Laut italienischen Medien kritisierte Italiens Premierminister Mario Draghi Kurz’ Forderung nach zusätzlichen Dosen für Österreich. „Auch wir haben Impfstoffmängel, Kurz wird keine einzige zusätzliche Dosis erhalten“, wurde Draghi von der römischen Tageszeitung „La Repubblica“ (Freitag-Ausgabe) zitiert. Ähnlich sieht die Lage EU-Parlamentspräsident David Sassoli. Es sei „verantwortungslos“, auf die EU die Ineffizienz einzelner Länder abzuladen. „Streit mit Österreich über die Verteilung der zusätzlichen Dosen“, fasste die Tageszeitung „La Stampa“ die Lage zusammen.

Merkel: „Solidarische Mechanismen“

Eine Lösung soll auf Basis des Bevölkerungsanteils der EU-Staaten und durch die Auslieferungsgeschwindigkeit bei der Verteilung von zehn Millionen zusätzlichen Dosen von Biontech und Pfizer gefunden werden, hieß es in Ratskreisen.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel will am festgelegten Schlüssel für die Verteilung des Impfstoffs auf die Mitgliedstaaten prinzipiell festhalten. Sie betonte laut „Süddeutscher Zeitung“, dass die Lieferverträge „von den Mitgliedstaaten unterschrieben“ worden seien – „und nicht von einigen dummen Bürokraten“. Zugleich wolle man nun aber auch „solidarische Mechanismen anwenden“, sagte Merkel nach Gipfelende.

Sechs Staaten forderten „Korrekturmechanismus“

Hintergrund: Mitte März hatten sechs EU-Länder einen „Korrekturmechanismus“ gefordert, weil sie sich bei der Impfstoffvergabe benachteiligt sehen. Neben Österreich beschwerten sich Tschechien, Slowenien, Bulgarien, Kroatien und Lettland. Während Österreich im EU-Vergleich zurzeit sogar noch überdurchschnittlich viele Impfungen vornimmt, kamen die anderen fünf Staaten zuletzt ins Hintertreffen. Das lag vor allem auch daran, dass sie bei der Bestellung fast ausschließlich auf den Impfstoff von AstraZeneca gesetzt hatten. Sie sind deshalb von den Lieferproblemen des britisch-schwedischen Herstellers besonders betroffen.

Deutschland hatte deshalb auch argumentiert, dass die Ungleichgewichte dadurch zustande kamen, weil einzelne Länder nicht alle angebotenen Dosen mitbestellten und sie von anderen aufgekauft wurden. Auch Dänemark, Schweden und die Niederlande seien gegen einen „Korrekturmechanismus“ aufgetreten, hieß es.

Schärfere Exportkontrollen

Angesichts anhaltender Lieferprobleme bei CoV-Impfstoffen will sich der EU-Gipfel für die Kontrolle von Ausfuhren in Drittstaaten aussprechen, hieß es in einem Entwurf der Gipfelschlussfolgerungen. Von den knapp 450 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürgern sind unterdessen inzwischen 62 Millionen mindestens einmal gegen SARS-CoV-2 geimpft. 18,2 Millionen Menschen haben auch ihre zweite Dosis bekommen. Die Zahlen legte Kommissionschefin von der Leyen am Donnerstag vor. Die EU-Staaten erhielten von den Pharmakonzernen bisher rund 88 Mio. Impfdosen. Zugleich gingen seit 1. Dezember 77 Millionen Dosen aus der EU in den Export.

Es sei völlig unverständlich, dass die EU 70 Millionen Dosen von CoV-Impfstoffen in alle Teile der Welt exportiere, selber aber keine Impfstoffe von außerhalb der EU erhalte, so Kurz. „Das ist ein massives Missverhältnis“, sagte Kurz. „Wenn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Meinung sei, dass Exportbeschränkungen einen Sinn machen, dann sollte man sie dabei auch voll und ganz unterstützen“, sagte Kurz.

Der akute Impfstoffmangel in allen EU-Staaten soll sich im zweiten Quartal deutlich mildern – dann sollen bis zu 360 Millionen Impfdosen geliefert werden, nach 100 Millionen im ersten Quartal. „Endlich kommen die Impfungen stetig voran“, sagte von der Leyen. Die Pandemielage sei angesichts der Ausbreitung der Virusvarianten sehr schwierig.

Einigkeit bezüglich Türkei

Einigkeit konnte auf dem Gipfel indes bezüglich der Türkei erzielt werden. So wurden die Schlussfolgerungen zur Türkei angenommen. Dies teilte der Sprecher von Ratspräsident Charles Michel mit. Darin werden der Türkei konkrete Belohnungen für eine weitere Deeskalation des Erdgasstreits im östlichen Mittelmeer in Aussicht gestellt, etwa eine Ausweitung der Zollunion und Visafreiheit für Türken in der EU.

Eine Entscheidung darüber soll allerdings erst beim nächsten EU-Gipfel im Juni getroffen werden. In der Gipfelerklärung wird auch die Menschenrechtssituation in der Türkei angesprochen, die ein „zentrales Anliegen“ der EU bleibe. Die Staats- und Regierungsspitzen bezeichneten „gezielte Angriffe auf politische Parteien und Medien“ als „schwere Rückschläge für die Menschenrechte“ in der Türkei.

Ankara kritisierte die Signale aus Brüssel. Das türkische Außenministerium erklärte, auch wenn auf dem Gipfel „die Notwendigkeit einer positiven Agenda“ festgestellt worden sei, sei die Botschaft an die Türkei „aus einer einseitigen Sicht und unter dem Einfluss der engstirnigen Anschuldigungen einiger weniger Mitgliedsstaaten“ formuliert worden. Zugleich sagte Ankara zu, mit positiven Schritten auf EU-Maßnahmen „in Richtung unserer gemeinsamen Interessen“ zu reagieren.

US-Präsident zugeschaltet

Donnerstagabend schaltete sich US-Präsident Joe Biden beim Videogipfel zu. Biden hielt eine kurze Ansprache zum Neustart der transatlantischen Beziehungen. Erklärtes Ziel des US-Präsidenten ist es, im Kampf gegen die CoV-Pandemie und gegen die Klimakrise mit Europa zusammenzuarbeiten und die gemeinsamen Handelsbeziehungen zu stärken.

Die Teilnahme von US-Präsidenten bei EU-Gipfeln ist selten. 2009 war der damalige Präsident Barack Obama bei einem Treffen der EU-Staats- und Regierungsspitzen dabei. „Wenn die EU und die USA Schulter and Schulter zusammenstehen, können sie zeigen, dass Demokratien am besten geeignet sind, die Bürger zu schützen, die Würde zu fördern und Wohlstand zu schaffen“, erklärte Ratspräsident Michel. Das Verhältnis zwischen den USA und der EU war unter Bidens Vorgänger Donald Trump gespannt. Die Handelsbeziehungen zwischen beiden Seiten hatten sich stark verschlechtert. Trump warf der EU unfairen Wettbewerb vor und verhängte Strafzölle.