Containerschiff MV „Ever Given“ im Sueskanal
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Sueskanal

Noch keine Entwarnung für „Ever Given“

Die im Sueskanal gestrandete „Ever Given“ konnte am Montagvormittag teilweise in Bewegung gebracht werden, doch der schwierige Teil der Rettung des riesigen Containerschiffs stehe noch bevor, sagte das zuständige Bergungsunternehmen am Montag: Der Bug sei noch „vollständig blockiert“. Das Schiff komplett flottzumachen sei „kein Kinderspiel“.

„Die gute Nachricht ist, dass das Heck freigelegt wurde, aber das war unserer Ansicht nach der einfache Teil“, sagte der Chef des Unternehmens Boskalis, Peter Berdowski, am Montag im niederländischen Radio. Boskalis ist der Mutterkonzern der Spezialfirma Smit Salvage, die mit der Bergung der „Ever Given“ beauftragt wurde. Die eigentliche Herausforderung stehe noch bevor.

Man hofft nun, mit Hilfe eines weiteren Schleppers im Laufe des Tages das Schiff völlig zu befreien. Bei einem ersten Versuch soll das Schiff vom Wind erfasst worden sein und sich teilweise wieder quer gestellt haben. Es soll aber weiterhin schwimmen. Sollte das Manöver nicht gelingen, müssten möglicherweise doch Container abgeladen werden. Das ist nach den Worten des Experten sehr zeitraubend. Der Dienstleister Inchcape Shipping hatte zuvor mitgeteilt, dass das 400 Meter lange Schiff „in schwimmenden Zustand“ gebracht worden sei.

Die Kanalbehörde teilte mit, die „Ever Given“, deren Länge etwa der Höhe des Empire State Building in New York entspricht, sei zu 80 Prozent bewegt worden. Von Vorteil war dabei die hohe Flut bei Vollmond in der Nacht auf Montag. Das Heck befinde sich nun etwa 100 Meter vom Ufer entfernt. Laut den Angaben hatten zehn Schlepper aus vier Richtungen seit dem Morgengrauen versucht, das gewaltige Schiff zu bewegen. Die „Ever Given“ war vergangene Woche auf Grund gelaufen. Das 400 Meter lange Schiff steckte danach quer in dem engen Kanal fest.

Abschleppen zum Bittersee

Sobald die nächste Flut beginnt, soll das Schiff weiter abgeschleppt werden, hieß es Montagvormittag. Der Verkehr durch den Kanal soll wieder aufgenommen werden, sobald sich die „Ever Given“ im Abschnitt des Großen Bittersees befindet. Das ist ein breiterer Teil des Kanals.

Wann die „Ever Given“ selbst, die in nördlicher Richtung auf dem Weg nach Rotterdam im Kanal unterwegs war, ihre Fahrt fortsetzen kann, ist unklar. Laut Kanalbehörde warteten zuletzt rund 370 Schiffe auf beiden Seiten des Kanals auf Durchfahrt, darunter 25 Öltanker. Der Finanznachrichtendienst Bloomberg berichtete von 450 wartenden Schiffen.

Usama Rabie, der Vorsitzende der Kanalbehörde, sagte am Wochenende, als Ursache für die Haverie könne man sowohl ein technisches Problem als auch menschliches Versagen derzeit nicht ausschließen.

Erleichterung an Bord der wartenden Schiffe

Nach der Erfolgsmeldung kursierten im Internet Videos von erleichterten Crewmitgliedern der anderen Schiffe im Kanal. „Das Boot schwimmt“, sagt ein Mann an Bord eines Schiffs und streckt seinen Daumen nach oben. Auf einem der Videos ist immer wieder der Ausspruch „Al-hamdu li-llah“ (Gott sei Dank) zu hören.

Zuvor hatte der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi bereits Anweisung gegeben, Container von dem Schiff abzuladen. Das Entladen gilt aber ebenfalls als gefährlich, da das die Stabilität des Schiffs in Gefahr bringen kann. Der Druck auf die Verantwortlichen war am Wochenende enorm gewachsen; der wirtschaftliche Schaden wächst.

Schiffe im Sueskanal
APA/AFP/Mahmoud Khaled
Hunderte Schiffe stauen sich bereits an beiden Enden des Kanals

Frachter mit 130.000 Schafen an Bord

Wegen der Blockade stecken derzeit auch elf rumänische Frachter mit lebenden Tieren an Bord fest – nach Angaben von Tierschützern handelt es sich um 130.000 Schafe. Es sei bereits Kontakt mit den Transportfirmen der Tiere aufgenommen worden, teilten die Veterinärbehörden in Bukarest mit. Diese hätten versichert, „dass es ausreichend Nahrung und Wasser an Bord für die kommenden Tage gibt“.

Der wirtschaftliche Gesamtschaden dürfte in die Milliarden gehen, wobei die Schätzungen stark variieren. Laut Allianz bedeutet die Blockade des Sueskanals Einbußen von sechs bis zehn Milliarden Dollar pro Woche. Der Logistikexperte der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien, Sebastian Kummer, rechnet mit einem Schaden von 1,5 Mrd. bis zwei Mrd. Euro.

Lieferketten zusätzlich strapaziert

Der größte Schaden sei bei den weltweiten Lieferketten entstanden, so Kummer, dieser werde jedoch gemindert, wenn die Behebung der Krise rasch erreicht werde. Er rechnete damit, dass nun versucht werde, verlorene Zeit aufzuholen, auch beim Umschlagen in den Häfen. Laut dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) wird die Blockade des Sueskanals die durch die Pandemie ohnehin angespannten Lieferketten zusätzlich belasten.

Kummer plädierte dafür, die Abhängigkeit von globalen Zulieferungen zu reduzieren und auf regionale Lieferketten umzusteigen. Zudem sollten große Containerschiffe bei Sturm mit Schleppern durch den Kanal gezogen werden.

Sorgen bereiten Kummer mögliche Reaktionen des Versicherungssektors: „Im schlimmsten Fall könnte es passieren, dass die Versicherungen sagen: Bei den großen Containerschiffen ist uns das Risiko einer großen Störung zu hoch, und wir übernehmen für den Sueskanal keine Deckung“, so Kummer. Das würde für Ägypten den Verlust von Einnahmen in Millionenhöhe bedeuten.

Wichtige Schiffsroute

Der Sueskanal verbindet das Mittelmeer mit dem Roten Meer und bietet dadurch den kürzesten Schifffahrtsweg zwischen Asien und Europa. 2020 durchfuhren fast 19.000 Schiffe den Kanal, im Schnitt gut 50 pro Tag. Der Allianz Versicherung zufolge wurden im Jahr 2019 etwa 13 Prozent des gesamten Welthandelsvolumens durch den Kanal befördert.

Vor wenigen Jahren erweitert

Mit mehreren Erweiterungen sollte der Kanal für immer größer werdende Frachter und Containerriesen attraktiv bleiben. 2015 hatte Sisi den erneut erweiterten Kanal eröffnet – in der Hoffnung auf wachsende Einnahmen und internationales Prestige.

Es ist möglich, statt der Route durch den Kanal einen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung zu fahren. Einige Reedereien begannen bereits damit, Schiffe umzuleiten. Die meisten scheinen aber abwarten zu wollen. Denn der Umweg nimmt etwa eine Woche in Anspruch und verursacht erhebliche Mehrkosten. Zugleich gelten die Gewässer vor der Küste Westafrikas, insbesondere im Golf von Guinea, als besonders gefährlich wegen möglicher Überfälle von Piraten.