Börse in New York
APA/AFP/Loic Venance
Milliardenverluste

Ein Mann lässt die Wall Street zittern

Die Suche nach dem schnellen Geld und deren Folgen beuteln derzeit die Finanzwelt: Mehrere der bekanntesten Investmentbanken haben in Hoffnung auf große Gewinne bei Hedgefonds-Chef Bill Hwang laut „Financial Times“ ein Kreditrisiko von bis zu 50 Milliarden Dollar (42,6 Mrd. Euro) aufgebaut. Und das bei einem Mann, der erst vor wenigen Jahren wegen Insiderhandels einen Fonds schließen musste. Nun drohen den Banken teils Milliardenverluste – und die Wall Street muss zittern und sich so manche Frage stellen.

Hwang hatte nämlich bereits von 2001 bis 2012 den Hedgefonds Tiger Asia geführt und war eine bekannte Figur in der Szene – bis er ein Verfahren wegen Insiderhandels mit einer Zahlung von 44 Millionen Dollar (37,5 Mio. Euro) beilegte. 2014 wurde in Hongkong zudem ein Handelsverbot gegen Hwang verhängt.

Wenige Monate nach der Strafzahlung in New York begann Hwang wieder zu handeln – mit dem nun auf Archegos umbenannten Fonds und als „Family Office“. Damit werden Vermögensverwalter bezeichnet, die ein Familieneinkommen von mindestens 100 Mio. Dollar halten. Hwang hielt Medienberichten zufolge Anlagen im Wert von zehn Milliarden Dollar. Der Vorteil für die Besitzer ist, dass sie praktisch die alleinige Kontrolle haben, weniger strengen Auflagen der Finanzmarktaufsicht unterliegen und weniger Veröffentlichungspflichten haben als andere Vermögensverwalter.

„Gier größer als Furcht“

Trotz seiner Vergangenheit und der deutlich weniger transparenten Firmenkonstruktion liefen zahlreiche Investmentbanken – von Goldman Sachs über JPMorgan, Nomura, Credite Suisse, UBS bis zur Deutsche Bank – ihm die Tür ein, um ihm Geld für hochriskante Finanzwetten vorzuschießen. Sie verdienten daran, indem sie die Finantransaktionen für Archegos abwickelten, vor allem aber – solange es gut ging – über die Finanzwetten selbst.

Ein Banker aus Tokio brachte es gegenüber der „Financial Times“ auf den Punkt: Goldman Sachs zeige gut, wie Banken in der Causa Hwang agierten. Jahrelang seien Geschäfte mit Hwang nach dessen Insiderhandel-Turbulenzen 2012 verboten gewesen. Das „ist eigentlich selbstverständlich, wenn man Hwangs Ruf bedenkt. Doch plötzlich unternehmen sie alles, um ihn als Kunden zu gewinnen und ihm Geld zu leihen.“ „Kurz gesagt: Es ist die Gier, die größer war als die Furcht – bis sie letzte Woche den Stoppknopf drückten.“

Hwang ist einer der „Tigerjungen“ – eine Gruppe von Spekulanten, die ihr Handwerk bei dem legendären Gründer des Hedgefonds Tiger Management, Julian Robertson, lernten.

Milliardenverluste drohen

Einige der weltweit größten Investmentbanken könnten laut der Nachrichtenagentur Reuters mehr als sechs Milliarden Dollar durch den Absturz des Hedgefonds Archegos Capital, der bereits am Freitag panikartige Verkäufe an der Wall Street ausgelöst hatte, verlieren.

Am Montag hatten die japanische Bank Nomura und die Credit Suisse vor großen Verlusten im ersten Quartal gewarnt. Nomura etwa warnte vor einem Verlust von zwei Milliarden im ersten Quartal, bei Credit Suisse könnten sich die Verluste laut unbestätigten Informationen auf eine Milliarde summieren. Die Warnungen vom Montag lösten einen weltweiten Absturz von Bankaktien aus, Nomura erwischte es mit 16,3 Prozent am schlimmsten, gefolgt von Credit Suisse mit minus 14 Prozent.

Als Grund nannten Nomura und Credit Suisse den Ausstieg aus Positionen bei Archegos – hohe Geldbeträge also, die dem Hedgefonds zum Abschließen von Finanzwetten gegeben wurden. Zuvor konnte Archegos letzte Woche Forderungen der Banken nach zusätzlichen Sicherheiten gegen mögliche Verluste nicht nachkommen.

Als damit den Banken klar wurde, dass sich Hwang mit Aktienwetten offenbar verspekuliert hatte, begannen einige von ihnen große Aktienpakete zu verkaufen, um den Schaden zu minimieren. Das verschärfte die Kursverluste bei jenen Aktien, auf die Archegos gewettet hatte, und vergrößerte zugleich die Probleme für den Hedgefonds. Betroffen waren etwa die Aktien von ViacomCBS und Discovery.

Unklar ist, ob die involvierten Banken nicht wussten, dass Hwang milliardenschwere Außenstände auch bei den jeweils anderen Banken hatte, oder ob sie diesen – zusätzlichen – Warnhinweis bewusst ignorierten. Ein „Financial Times“-Bericht vom Dienstag legt Letzteres nahe. Die größten Geldgeber Hwangs versuchten offenbar letzte Woche einen gemeinsamen Ausweg, es sei aber keine Einigung gelungen. Daraufhin sei es zu den milliardenschweren Verkäufen an der Wall Street gekommen.

Erinnerungen an LTCM-Crash 1998

Laut „Financial Times“ könnte es der größte Zusammenbruch eines Hedgefonds seit mehr als 20 Jahren sein. Die Zeitung verglich es mit dem legendären Ende des Hedgefonds Long-Term Capital Managment (LTCM) 1998, der vom Staat aufgefangen wurde, um noch schlimmere Verwerfungen auf den Finanzmärkten zu verhindern.

Unklar ist, welche weiteren Folgen das Archegos-Debakel auf den Finanzmärkten haben wird – ob es etwa dazu führt, dass die Veranlagungen in Hedgefonds von Investoren deutlich zurückgefahren werden und diese Fonds unter Druck geraten. Die beteiligten Banken sind jedenfalls in aller Öffentlichkeit vorgeführt worden.

Branche fürchtet strengere Regeln

In der Finanzbranche wird befürchtet, dass der Fall Archegos dazu führt, dass die Aufsichtsbehörden ihre Kontrolle verschärfen und es möglicherweise zu strengeren Regeln kommt. 2008 nach dem Lehman-Brothers-Fiasko waren die Regeln verschärft worden. Die US-Aufsichtsbehörde SEC stellte es „Family Offices“ aber frei, ob sie sich den Meldepflichten unterwerfen oder nicht. Über Archegos findet sich in der entsprechenden Datenbank laut „FT“ keine einzige aussagekräftige Information.

Die Causa passiert mitten in einer seit etwa einer Jahr andauernden Börsen-Rally insbesondere in den USA. Aufgrund der extremen Börsengewinne gibt es bereits Sorgen vor einer sich bildenden Blase. Das ist umso relevanter, als wegen der Direktzahlungen, die das riesige Hilfspaket von US-Präsident Joe Biden enthält, bereits mit einem Run auf die Börsen gerechnet wird.