Brasilianischer Präsident Jair Bolsonaro
AP/Eraldo Peres
Mitten in Pandemie

Bolsonaros Griff nach dem Militär

In Brasilien steigen die CoV-bedingten Infektions- und Todeszahlen gerade wieder dramatisch an. Mitten in der Pandemie ist nun eine schwere politische Krise ausgebrochen: Erstmals traten die drei höchsten Militärs gemeinsam zurück. Sie protestieren damit offenbar gegen den zunehmend stärkeren Zugriff des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro auf die Armee. Der Schritt birgt zugleich Gefahren.

Bolsonaro, der im Vorjahr dank eines CoV-Hilfspakets sich noch großer Popularität erfreute, ist mit Auslaufen der Finanzhilfen zu Jahresende mittlerweile stark unter Druck geraten. Die Pandemie wütet unterdessen immer stärker. Mehr als 317.000 Menschen sind bereits gestorben. Mit 3.780 Toten wurde eine neue Tageshöchstzahl erreicht. Mit statistisch 149,84 Toten je 100.000 Einwohner liegt Brasilien laut Johns-Hopkins-Universität weltweit auf Rang neun.

Der 66-Jährige, der die Gefahr der Pandemie seit jeher herunterspielt und seine Landsleute aufrief, nicht so darüber zu jammern, besetzte am Montag im Zuge einer umfassenden Regierungsumbildung sechs Kabinettsposten neu. Zuvor waren der Außen- und der Verteidigungsminister zuürckgetreten. Verteidigungsminister Fernando Azevedo e Silva sprach bei seinem Abgang indirekt den Konflikt mit Bolsonaro an, indem er betonte: „Ich habe die Streitkräfte als staatliche Institutionen bewahrt.“

Brasilianischer Präsident Jair Bolsonaro und der neue Verteidigungsminister Braga Netto
AP/Bruna Prado
Auf einer Linie: Der neue Verteidigungsminister Walter Souza Braga Netto und Bolsonaro bei einer Militärfeier

„Eindeutige Intervention des Präsidenten“

Bolsonaro hatte immer wieder Druck auf die Armee ausgeübt – nicht zuletzt dabei, ihn in seinem Versuch zu unterstützen, die Macht der Gouverneure bei der Verhängung von CoV-Maßnahmen einzuschränken. Der bisherige Heereschef Edson Pujol hatte sich von Bolsonaro distanziert und den Kampf gegen das Virus als „die wichtigste Mission unserer Generation“ bezeichnet. Bolsonaro lehnt Lockdowns ab, scheiterte vor Gericht aber mit Versuchen, regional von den Gouverneuren verhängte Lockdowns zu unterbinden. In der vergangenen Woche hatte Bolsonaro zudem seinen bereits vierten Gesundheitsminister ernannt.

Protest gegen Politisierung des Militärs

Den kollektiven Rücktritt von Armee-, Marine- und Luftwaffenchef hatte das Verteidigungsministerium in einer Stellungnahme ohne Erwähnung von Gründen bekanntgegeben. Der kollektive Rücktritt ist einzigartig in der jüngeren brasilianischen Geschichte. Die Rücktritte seien Zeichen für das Unbehagen der Militärs mit ihrer zunehmenden Politisierung, schrieb der Journalist Merval Pereira in der Zeitung „Globo“. Fernando Azevedo e Silva sei mit Bolsonaros „Nutzung des Militärs zu politischen Zwecken“ nicht einverstanden gewesen.

Beobachter fürchten, Bolsonaro könnte den Rückzug der Militärspitzen nützen, um sich durch eine entsprechende Nachbesetzung der Militärchefs größere Kontrolle über die Armee zu verschaffen. Dem Rücktritt war offenbar ein Treffen der Militärspitze mit Braga Netto vorausgegangen. „Seit 1985 gab es niemals Nachrichten über eine so eindeutige Intervention des Präsidenten auf das Militär“, so der Politologe Carlos Melo von der Insper Universität in Sao Paulo gegenüber der Nachrichtenagentur AP.

Ehemaliger brasilianischer Lula da Silva
Reuters/Amanda Perobelli
Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva könnte 2022 gegen Bolsonaro antreten und mit seiner Popularität ein ernster Konkurrent werden

Lob der Militärdiktatur

Der neue Verteidigungsminister Braga Netto zeigte sofort, dass er anders als sein Vorgänger ganz auf der Linie Bolsonaros ist, und lobte wie dieser die Militärdiktatur. Unmittelbar nach Amtsantritt bezeichnete Braga Netto die Machtübernahme des Militärs am 31. März 1964 als Grund zum Feiern: „Die Streitkräfte übernahmen die Verantwortung, um das Land zu befrieden (…) und die demokratischen Freiheiten zu garantieren, die wir heute genießen“, sagte er.

Nach dem von der CIA unterstützten Armeecoups 1964 kam es während der bis 1985 dauernden Militärdiktatur zu politischer Verfolgung, staatlicher Folter und Morden. Laut dem Bericht einer Nationalen Wahrheitskommission aus dem Jahr 2014 wurden insgesamt 434 Menschen im Auftrag des Militärs ermordet bzw. verschwanden spurlos. Hunderte Menschen wurden willkürlich eingesperrt und gefoltert.

Regierungskrise in Brasilien

In Brasilien gibt es neben der CoV-Pandemie nun auch eine weitere Krise. Das Land, das mit hohen Todeszahlen kämpft, wird von schweren innenpolitischen Problemen erschüttert.

Sorge wegen Lula

Vor allem in der Wirtschaft wuchs zuletzt die Unzufriedenheit mit Bolsonaros Krisenmanagement. Nun fürchtet Bolsonaro offenbar, dass seine Ablehnung von Lockdowns, Masken und Impfungen seine Wiederwahl im kommenden Jahr gefährden könnte – zumal ihm mit der Rückkehr des linksgerichteten Ex-Staatschefs Lula da Silva auf die politische Bühne ein ernstzunehmender Herausforderer droht. Ein Richter des Obersten Gerichts hatte Anfang März alle Korruptionsurteile gegen Lula für ungültig erklärt. Bolsonaro spaltet die Bevölkerung und hat seit seinem Amtsantritt wiederholt rassistische, homophobe und frauenfeindliche Aussagen getätigt.