Das Gemälde „Maria Magdalena in der Buße“ von El Greco
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Maria Magdalena

Opfer des Patriarchats

Als Jesus von Nazareth gekreuzigt wurde, wich Maria von Magdala nicht von seiner Seite. Auch war die Jüngerin die erste Zeugin der Auferstehung. Doch die biblische Figur wurde Opfer des Patriarchats: Maria wurde verdrängt und als Prostituierte verunglimpft. Die Rehabilitierung der Apostelin kam spät. Im kollektiven Gedächtnis blieb sie weiter „die Hure“.

Viele Christinnen und Christen dürften mit Maria von Magdala – auch heute noch – nicht oder zumindest nicht nur die Verkündung der christlichen Botschaft verbinden, sondern auch Erotik, Laster und Sünde. Das liegt daran, dass Maria von Magdala (auch Maria Magdalena) schon im frühen Mittelalter von den Kirchenvätern als Prostituierte dargestellt wurde, die Jesus geläutert nachfolgte.

Wie kam es dazu? Wo doch Kirchenvater Hippolyt von Rom schon im dritten Jahrhundert festgeschrieben hatte, welche Bedeutung Maria von Magdala hatte: Als „Apostelin der Apostel“ bezeichnete er sie. Doch die Bedeutung dieser biblischen Figur geriet in Vergessenheit, besser gesagt: Sie wurde bewusst vergessen gemacht.

Das sich wandelnde Bild von Maria Magdalena

Maria Magdalena war eine wichtige Gefährtin von Jesus. Im Nachhinein wurde ihre Rolle jedoch von Kirchenoberen zur „geläuterten Hure“ umgedeutet. Nun ändert sich das Bild erneut.

Obwohl Maria von Magdala die Erste war, die das leere Grab vorfand und die Erste, der sich der auferstandene Jesus zeigte und einen Verkündigungsauftrag erteilte, habe sie „zum Beispiel im Bereich der Apostelgeschichte nirgendwo eine Relevanz“, sagt der katholische Theologe Wolfgang Treitler.

„Maria verschwindet“

Der Prozess des Unsichtbar-Machens des Zeugnisses der Maria von Magdala begann schon früh. Im Johannes-Evangelium wird beschrieben, wie sie, nachdem ihr Jesus erschienen ist, zu den trauernden Aposteln geht. Treitler: „Und was passiert? Die Apostel glauben ihr nicht, sondern sie gehen selbst zum Grab und schauen nach, ob es stimmt, was diese Frau erzählt hat.“

Jesus erscheint Maria von Magdala – Gemälde von Alexander Andrejewitsch Iwanow
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Jesus erscheint Maria von Magdala: Gemälde von Alexander Andrejewitsch Iwanow (1806–1858)

Und damit komme eine Art Zeugenprozess in Gang, der „rein männlich getragen ist“. Frauen waren schließlich rechtlos, galten als nicht zeugnisfähig. Der männlich getragene Zeugenprozess beginne hier schon, „das zentrale Zeugnis Marias von Magdala aufzuheben“, sagt Treitler. Ihr Zeugnis werde letztlich peripher „gegenüber den Predigten des Petrus und des Paulus“. Treitler: „Maria verschwindet.“

Maria mit Patriarchat inkompatibel

Die frühchristliche Bewegung zeichnete sich zwar noch durch einen offenen Zugang zur Rolle der Frau aus, im frühen Mittelalter aber wandelte sich das Frauenbild. Der biblische Verkündigungsauftrag an Maria Magdalena stand im Widerspruch zu dem allgemeinen Lehr- und Verkündigungsverbot der Frauen und war in der patriarchalen Gesellschaftsstruktur mit dem gängigen Frauenbild schlichtweg inkompatibel.

Abbildung aus dem Werk Albani-Psalter zeigt Maria Magdalena, die den Jüngern von der Auferstehung Jesu berichtet
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Ein seltenes Bild: Maria von Magdala berichtet den Jüngern von der Auferstehung Jesu, Abbildung im „Albani-Psalter“

Von der Zeugin zur Hure

Die Kirchenväter reagierten mit der schrittweisen Abwertung Maria Magdalenas. Dass die Jüngerin als Erste den Verkündigungsauftrag bekommen habe, erklärten sie damit, dass Maria als Frau gewissermaßen wiedergutmachen müsse, was Eva als Sünderin an der Menschheit verbrochen habe. Und schließlich wurde die Jüngerin selbst zur Sünderin erklärt.

Etwa 600 n. Chr. erklärte Papst Gregor der Große, Maria von Bethanien, die Frau, die Jesus nach dem Johannes-Evangelium die Füße gesalbt hatte, und die Prostituierte aus dem Lukas-Evangelium, seien dieselbe Person. Und er setze sie mit Maria von Magdala gleich. So verschmolzen drei biblische Frauen zu einer, und das Bild der treuen Jüngerin und ersten Osterzeugin wurde von dem einer ortsbekannten Prostituierten überlagert.

Büßerin und Inbegriff der Erotik

Der Bedeutungswandel Marias von Magdala zeige sich auch sehr deutlich in der „männlich dominierten Kunstgeschichte“, sagt Johanna Schwanberg, Kunsthistorikerin und Direktorin des Dom Museums Wien im Interview. "Es gibt ganz wenige Darstellungen von Maria Magdalena als Apostelin, zum Beispiel im „Albani-Psalter", wo man sieht, wie sie allein redet. Ihr gegenüber ist eine große Gruppe von Jüngern, denen sie die wichtigste Botschaft des Christentums verkündet.“

TV-Hinweis

„FeierAbend“ zeigt am Ostersonntag um 19.52 Uhr in ORF2 „Verschwunden, verdrängt und vergessen – Maria von Magdala“.

Öfter zu sehen ist hingegen die „büßende, karge, ausgezehrte Frau, wie wir es schon in der Frührenaissance bei Donatello finden“, so Schwanberg. Gern gemalt wurde Maria von Magdala auch als Sexsymbol – nackt oder leicht bekleidet, lasziv auf dem Boden liegend oder kniend. So zeigt etwa Tizian Maria von Magdala in der Renaissance als Inbegriff der erotischen Frau. Maria Magdalena halb entblößt, mit langen wallenden Haaren, die ihre Brüste bedecken – es seien Bilder wie diese, die den „männlichen Blick“ auf diese biblische Frauengestalt sichtbar machten, erklärt Schwanberg: „Diese unterschiedlichen Bilder zeigen uns, dass das Frauenbild immer auch ein Abbild einer gesellschaftlichen Struktur und der politischen Verhältnisse ist.“

Gemälde von Maria Magdalena des italienischen Künstlers Tizian
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Auch der italienische Künstler Tizian (1490–1576) malte Maria Magdalena als freizügige Büßerin

Von Scorsese bis Dan Brown

Nicht nur in der Kunst-, sondern auch in der Filmgeschichte lässt sich das Ergebnis Hunderter Jahre Verfremdung und Verunglimpfung der Jüngerin beobachten. Der Spielfilm „Die letzte Versuchung Christi“ von Martin Scorsese aus dem Jahr 1988, basierend auf dem Roman von Nikos Kazantzakis, lieferte Nahrung für das kollektive Gedächtnis, das sich an Maria Magdalena als Prostituierte erinnert. Der Film zeigt anschaulich, wie eine Vielzahl an Männern im Vorzimmer der Prostituierten Maria Magdalena sitzt, wartet, und letztlich einer nach dem anderen abgefertigt wird.

Dass Maria Magdalena von Jesus ebenfalls begehrt wird, er später auch noch vom Kreuz steigt und sie schwängert, war mit ein Grund für teils heftige Proteste konservativer Christen. Das Motiv der Liebesbeziehung zwischen Jesus und Maria von Magdala ist sichtlich nicht erst seit Dan Browns „Sakrileg“ beliebt. Schon im Mittelalter entstanden die Legenden, von denen sich Filmschaffende und Autoren später inspirieren ließen.

Spät rehabilitiert

Widerstand gegen den Umgang mit der Figur Marias von Magdala gab es allerdings schon früh. Die „ersten nachweislichen Stimmen“ gegen die Verschmelzung der Frauenfiguren „gibt es schon im späten Mittelalter“, sagt die katholische Theologin Andrea Taschl-Erber im Gespräch mit ORF.at. Doch „im 16. Jahrhundert konnte man noch verurteilt werden“, wenn man sich „gegen die diesbezügliche Lehrmeinung der Kirche“ stellte.

Am Beginn des 20. Jahrhundert sei „die sogenannte Magdalenenfrage“ intensiv gestellt worden. Doch noch bis 1967, zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, musste man den „Antimodernisteneid“ schwören. Historisch-kritisches Hinterfragen kirchlicher Auslegungstraditionen war erst danach möglich. Seitdem kam es zu einer Rehabilitierung von Maria Magdalena. Eine große Rolle spielte dabei auch die feministische Theologie.

Verdienst feministischer Bibelforschung

Die Apostelin sei als „Symbol- und Identifikationsfigur“ für die feministische Bibelforschung besonders spannend gewesen, sagt Taschl-Erber. „Man hat sich vor allem im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts intensiv damit beschäftigt, diese von patriarchalen Projektionen bestimmte Geschichte Marias von Magdala zu dekonstruieren.“ Das Verdienst feministischer Bibelwissenschaft sei sicher gewesen, „den Finger darauf gelegt zu haben, wie bestimmte Mechanismen in der Auslegungsgeschichte funktioniert haben“.

Die Auslegung von Texten sei immer auch von Interessen geleitet, die man kritisch hinterfragen müsse. Dass Maria von Magdala „keine Sünderin“ war, sei in der Forschung „schon lange Mainstream“. Die Frage sei aber, wie lange es dauert, bis Forschungsergebnisse in der gesamten Gesellschaft ankommen und das so lange tradierte Bild der sündigen Magdalena „aus dem kollektiven Gedächtnis“ wieder gelöscht werden kann.