Impfzentrum in Nürnberg
APA/AFP/Christof Stache
„Inakzeptabel langsam“

Scharfe WHO-Kritik an EU-Impfaktion

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die CoV-Impfkampagne in Europa als „inakzeptabel langsam“ angeprangert. Die schleppende Verteilung der Vakzine in Europa führe zu einer „Verlängerung“ der Pandemie, beklagte WHO-Europa-Direktor Hans Kluge am Donnerstag. Beim von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) federführend losgetretenen Streit zwischen den EU-Staaten um die Impfstoffverteilung zeichnet sich unterdessen kein Kompromiss ab.

„Impfstoffe sind gegenwärtig unser bester Weg, um aus dieser Pandemie herauszukommen“, so Kluge. Die Verteilung der Impfstoffe müsse durch eine Ankurbelung der Produktion und den Abbau bürokratischer Hürden beschleunigt werden, forderte Kluge. „Jede einzelne Ampulle, die wir vorrätig haben, muss genutzt werden – jetzt.“

Die Infektionslage in Europa bezeichnete die WHO als so „besorgniserregend“ wie seit Monaten nicht mehr. Während die Zahl der wöchentlichen Neuinfektionen in Europa vor vier Wochen noch bei weniger als einer Million gelegen sei, befinde sich dieser Wert in der vergangenen Woche bereits bei 1,6 Millionen. Die Zahl der Todesfälle durch das Coronavirus in Europa „bewegt sich schnell auf die Million zu“, warnte die Organisation. Die Zahl der in der Region registrierten CoV-Infektionen werde bald die 45-Millionen-Marke überschreiten.

Wettlauf gegen Zeit und Mutanten

Die Europadirektion der WHO ist für 53 Staaten zuständig, darunter auch für Russland und mehrere ehemalige Sowjetnationen in Zentralasien. Die WHO-Notfallkoordinatorin für Europa, Dorit Nitzan, warnte vor der Entstehung neuer Mutanten, sollte die Geschwindigkeit, in der sich das Coronavirus derzeit ausbreite, nicht gedrosselt werden. „Die Wahrscheinlichkeit neuer besorgniserregender Varianten steigt mit der Rate, in der das Virus sich repliziert und ausbreitet“, erklärte sie. „Entscheidend“ sei deshalb, die Virusübertragung „durch grundlegende Maßnahmen zur Krankheitskontrolle einzudämmen“.

Weiter Poker um Impfstoffverteilung

Unterdessen dauert der Streit um die Verteilung des raren Pfizer-Biontech-Impfstoffs innerhalb der EU an. Der EU-Gipfel hatte das Thema in der Vorwoche bekanntlich an die EU-Botschafterrunde delegiert. Diese erzielten auch bei der zweiten Gesprächsrunde am Donnerstag keine Einigung. Diesmal lehnten Österreich, Tschechien und Slowenien nach Angaben von EU-Diplomaten den Vorschlag der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft zur Verteilung von zehn Millionen Biontech/Pfizer-Dosen ab.

Zur Erinnerung: Es geht in diesem Streit nur um einen Bruchteil der gesamten Impfstoffmenge – auch jener, die im zweiten Quartal geliefert werden soll. Aufgrund des langsamen Fortschritts sitzen aber alle nationalen Regierungen mehr oder weniger auf heißen Kohlen und wollen für das jeweils eigene Land möglichst viel Impfstoff.

Ohne Einigung gar kein Zusatzkontingent

Der portugiesische EU-Vorsitz hält an seinem Vorschlag fest, drei Millionen der zehn Millionen Dosen für einen Solidaritätsausgleich zu nutzen. Den drei Ländern ist das offenbar zu wenig. Sie stellen nach Angaben von Diplomaten auch die Kriterien infrage, nach denen Länder für Korrekturen begünstigt würden. Derzeit würden nur Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Estland, Lettland und die Slowakei Extradosen im Rahmen eines Solidaritätsmechanismus erhalten, nicht aber Österreich.

Die übrigen sieben Millionen Impfdosen sollen wie üblich nach Bevölkerungsanteil unter allen 27 Staaten verteilt werden, auf Österreich entfielen 139.170 Dosen. Kanzler Kurz hatte zunächst bereits von 400.000 zusätzlichen Dosen gesprochen, erwähnte diese Zahl zuletzt aber selbst nicht mehr. Komme es zu keiner Einigung, würden alle zehn Millionen Dosen nach Bevölkerungsschlüssel verteilt, sagten laut Agenturberichten mit der Sache vertraute Personen.

Diplomat: „Kurz hat Basar geschaffen“

Kurz trifft bisher mit seinen Nachforderungen auf wenig Verständnis bei den EU-Partnern, da Österreich bereits eine relativ hohe Impfquote hat. Allerdings dürfte Österreich bis Ende Juni in Rückstand geraten, weil es sein Kontingent des Impfstoffs von Johnson & Johnson nicht ausgeschöpft hat, das ab Mitte April geliefert werden soll.

Ein EU-Diplomat kritisierte nach Angaben der Deutschen Presseagentur dpa am Donnerstag: „Es ist schon paradox und ein wenig traurig: Jetzt hat Kanzler Kurz genau den Basar geschaffen, vor dem er ursprünglich gewarnt hat.“ Deutschland ist eines jener Länder, das dem Vorstoß von Kurz besonders kritisch gegenübersteht.

Grund für die Ungleichheiten ist der Umstand, dass nicht alle Länder die ihnen angebotenen Impfstoffmengen gekauft haben, zum Teil auch aus Kostengründen. Wer auf den Impfstoff von AstraZeneca gesetzt hat, ist nun besonders von den Lieferschwierigkeiten dieses Herstellers betroffen.

Bericht zurückgewiesen

Bereits am Dienstag hatte das Bundeskanzleramt einen Bericht des Onlineportals Politico zurückgewiesen, wonach Österreich den Kauf von 100 Millionen zusätzlichen Impfdosen von Biontech und Pfizer zu blockieren drohe, wenn es nicht einen größeren Teil der Lieferung des Vakzins bekommt. Die auf das zweite Quartal vorgezogenen zehn Millionen Impfdosen sind Teil des Vertrags über die 100 Millionen Dosen.

Laut Diplomaten hat auch eine hochrangige Vertreterin der EU-Kommission in dem für den Bestellvorgang zuständigen Lenkungsausschuss bestätigt, dass die Bestelloption der EU für die 100 Millionen Biontech-Pfizer-Dosen „aktiviert“ sei. Niemand habe diese Option blockiert, sagte die EU-Kommissionsvertreterin dem Vernehmen nach. Daher habe die EU-Kommission auch gegenüber Pfizer die Aktivierung mitgeteilt.