Eine Hand in medizinischem Handschuh neben einem Pflaster auf dem Arm einer geimpften Frau
Getty Images/Aleksandr Zubkov
Coronavirus

Das Geschäft mit den Impfungen

Das Management von Pharmafirmen wird von Regierungen hofiert. Doch finanziert wurde die Forschung hinter den Covid-19-Impfstoffen zum guten Teil von der öffentlichen Hand. Das führte zu einer schnelleren Impfstoffentwicklung als zu Beginn der Coronavirus-Krise gedacht. Doch im Ringen um ein Rezept gegen die Pandemie blieb die Impfstoffentwicklung gegen andere Krankheiten auf der Strecke.

Wenn hochrangige Politikerinnen oder Politiker von Treffen mit Pharmafirmen zurückkommen, wirken sie fast ein wenig stolz, überhaupt einen Termin bekommen zu haben. Das war etwa bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einem Meeting mit Johnson & Johnson zu beobachten. Beeindruckt war man im vergangenen Jahr davon, wie schnell die Impfstoffe entwickelt wurden. Denn normalerweise dauert Impfstoffentwicklung Jahrzehnte.

Die Studienphasen wurden aber nicht abgekürzt, sie waren mit 30.000 bis 40.000 Teilnehmenden sogar groß angelegt. Was abgekürzt wurde, war die Phase des Geldeintreibens – also jemanden zu finden, der das Ganze finanziert. Die Industrie investierte schneller als bei Impfstoffen üblich. Doch das hat viel mit der öffentlichen Hand zu tun.

Das Geschäft mit den Covid-19-Impfungen

Die öffentliche Hand zahlt doppelt: Einmal für die Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe, und dann für deren Ankauf. Das große Geschäft sind sie für Pharmafirmen dennoch nicht.

Das „erhebliche Risiko“ trägt die Allgemeinheit

Dass es dazu der öffentlichen Hand bedurfte, liegt unter anderem daran, dass Impfstoffe an sich ein wenig lukrativer Zweig der Pharmaindustrie sind. Medikamente, die man regelmäßig einnimmt, sind ein viel besseres Geschäft. Nur drei Prozent der Umsätze der Pharmaindustrie gingen vor der Coronavirus-Krise auf Impfstoffe zurück.

In der Pandemie sind der Absatzmarkt und das öffentliche Interesse größer. Dass Impfstoffe so rasch entwickelt werden konnten, liegt auch daran, dass schon viel virologisches Wissen über neuartige Coronaviren vorhanden war.

Claudia Wild (Expertin für Gesundheitstechnologie)
ORF
Politikwissenschaftlerin und Sozialmedizinerin Claudia Wild: „Öffentliche Hand trägt ein erhebliches Risiko bei der Forschungsfinanzierung“

Die Politikwissenschaftlerin und Sozialmedizinerin Claudia Wild analysiert die Auswirkungen von Gesundheitstechnologie und -politik nicht nur, aber auch zu Covid-19-Zeiten: „Es ist ein Mythos, dass die Pharmaindustrie sowohl das finanzielle Risiko als auch die gesamten Forschungs- und Entwicklungskosten trägt“, sagt die Geschäftsführerin des Austrian Institute for Health Technology Assessment. Die Öffentlichkeit finanziere die präklinische Forschung, die oft – finanziell gesehen – ins Leere läuft: „Die öffentliche Hand trägt also ein erhebliches Risiko bei der Forschungsfinanzierung.“

Die Verwertungskette der Forschungsgelder

Renee Gallo-Daniel, die Vorsitzende des Österreichischen Verbands der Impfstoffhersteller (ÖVIH), bei dem auch Pfizer und AstraZeneca vertreten sind, entgegnet in der Beantwortung einer schriftlichen Anfrage: Gerade bei den Covid-19-Impfstoffen seien auch die Pharmafirmen ein Risiko eingegangen: „Die Hersteller haben bereits vor der Zulassung Produktionsstraßen ausgebaut und gestartet. Wäre der Impfstoff nicht zugelassen worden, wären die Impfstoffe auch nicht abgenommen worden.“

Wild jedenfalls beschreibt den Prozess der Impfstoffforschung so: „Kommt öffentliche Forschung in Anwendungsnähe, verkaufen die Unis Patente, zunächst an kleine Biotechnologie-Start-ups. Die entwickeln das Produkt dann in der präklinischen Phase weiter, und in dem Augenblick, wo es dann in die klinische Phase mit Versuchen an Menschen geht, übernehmen die großen Pharmafirmen.“

Zuschüsse in Milliardenhöhe

So entwickelte die ungarische Biochemikerin Katalin Kariko an der Universität Pennsylvania in jahrzehntelanger Arbeit die entscheidende Basis für die mRNA-Impfstoffe. In die entsprechende Forschung floss über eine Milliarde Dollar öffentliche Förderung. Die Uni verkaufte die Rechte an das Biotech-Unternehmen CellScript, das sie um je 75 Millionen Dollar an Biontech und Moderna weiterverkaufte.

Biontech ging dann eine Kooperation mit Pfizer ein. Schätzungen der BBC zufolge bekamen Pfizer und Biontech für die Covid-19-Impfung 400 Millionen Euro Förderung von öffentlicher Seite, Johnson & Johnson ebenso viel. Moderna soll etwa 2,2 Milliarden bekommen haben, AstraZeneca 1,7 Milliarden.

Öffentliche Hand „zahlt zweimal“

Wilds Schlussfolgerung: „Die Öffentlichkeit zahlt also zweimal: zuerst die Forschung und danach das Produkt der Forschung in Form der fertigen Impfdosen.“ Nur beim AstraZeneca-Impfstoff sei eine öffentliche Institution stark aufgetreten: Die Universität Oxford bestand darauf, dass der Impfstoff während der Pandemie zum Selbstkostenpreis abgegeben wird.

Allerdings gibt es eine Klausel, nach der AstraZeneca die Pandemie schon im Juli 2021 für beendet erklären und die Preise erhöhen kann. Und außerhalb Europas scheint der Selbstkostenpreis ohnehin nicht zu gelten: Südafrika teilte im Jänner mit, zweieinhalbmal so viel für eine AstraZeneca-Dosis zu zahlen wie die EU.

Mann in Schutzkleidung in einem Forschungslabor
APA/dpa/Biontech Se
In die Covid-19-Impfstoffe flossen Zuschüsse in Milliardenhöhe

Patente verhindern mehr Impfstoff

Ursprünglich wurde an der Uni Oxford überlegt, den Impfstoff allen Herstellern patentfrei zur Verfügung zu stellen. Dann verkaufte sie aber die Exklusivrechte an AstraZeneca. Wer einen patentfreien Impfstoff herstellen möchte, hat es schwer, eine Finanzierung zu finden, auch von staatlicher Seite oder der EU. Das zeigt ein Beispiel aus Finnland: Die klinischen Studien für einen Covid-19-Impfstoff der Universität Helsinki wurden im Frühjahr 2020 nicht finanziert, weil die Erfinderinnen und Erfinder darauf bestanden, dass er patentfrei sein sollte.

Dabei könnte Patentfreiheit oder das zeitweise Aussetzen von Patenten – von Indien und Südafrika seit Oktober gefordert – die Impfstoffknappheit und die ungleiche globale Verteilung mittelfristig aufheben. Denn mit einem entsprechenden Know-how-Transfer könnten die Impfstoffe in Schwellenländern innerhalb von sechs Monaten hergestellt werden. Die Forderung wird von etwa hundert weiteren Staaten unterstützt – die EU-Staaten, Großbritannien und die USA sind dagegen.

Forderung nach „verträglichen Preisen“

Wolle man eine globale Impfstoffversorgung, könne man nicht rein auf den privaten Sektor vertrauen, sagt Wild. Öffentliche Regulierung müsse schon früh im Entwicklungsprozess eingreifen: „Institutionen wie die EU-Kommission müssen darauf beharren, dass Medizinprodukte, die mit Hilfe ihrer Forschungsförderung entwickelt wurden, zu sozial verträglichen Preisen auf den Markt kommen. Eine Pharmafirma soll selbstverständlich für den Beitrag, den sie in die Entwicklung einbringt, genug Geld verdienen, damit sie das auch macht. Aber eben nicht in dem enormen Ausmaß – sondern höchstens das Drei- oder Vierfache des investierten Kapitals.“

Bei Antibiotika sei die EU da schon weiter als bei Impfungen, so Wild: „Da werden für jeden Entwicklungsschritt Gelder ausgeschüttet, damit das Produkt in die nächste Stufe hineingeht, und die Idee dahinter ist: Wenn die öffentliche Hand schon in der Entwicklung zahlt, soll das Produkt, sobald es zugelassen ist, zu generischen Preisen auf den Markt.“

Impfstoffentwickler Erich Tauber
ORF
Themis-Gründer Erich Tauber (heute bei Merck/MSD): Zulassungsprozesse für andere Impfstoffe stehen momentan hintan

Andere Forschungen auf der Wartebank

Kostentransparenz wäre enorm wichtig, sagt Wild. Die Pharmafirmen geben nicht preis, wie viel die klinischen Studien ihrer Covid-19-Impfstoffe gekostet haben. Wild dazu: „Es muss über den ganzen Prozess transparent sein, wer wie viel Geld ausgibt. Daraus müsste sich dann der Preis ergeben, wenn da öffentliche Gelder hineingeflossen sind. Nicht danach, was der Markt hergibt.“ Denn der bringt seit Jahrzehnten auch keine sicheren Impfstoffe gegen Dengue, Chikungunya oder Zika hervor. Und durch die Pandemie wurden bestehende Impfstoffprojekte auch hintangestellt, was das Warten wohl auch in Zukunft in die Länge ziehen wird.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt eine Liste von vernachlässigten Krankheiten, darunter auch Viruserkrankungen, die immer wieder Epidemien auslösen, wie eben Chikungunya- und Duenge-Fieber. Seit den 1960er Jahren wird mehr oder weniger intensiv an Impfstoffen geforscht. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen kritisiert etwa die Vernachlässigung von Ebola in der Vergangenheit: „Obwohl Ebola-Ausbrüche seit 1976 bekannt sind, gab es eine Impfung erst nach dem großen Ausbruch in Westafrika 2014, als die Krankheit plötzlich auch eine Gefahr für westliche Länder darstellte.“

Ebola, Chikungunya, Zika

Je nach Virusvariante liegt die Sterblichkeitsrate bei Ebola bei 30 bis 90 Prozent. Forschung an Ebola-Impfstoffen gab es zwar schon seit den frühen 2000er Jahren, richtig Fahrt nahm sie aber erst 2014 auf – 2016 kam es zur Zulassung. Zurzeit gibt es wieder einen wenig beachteten Ebola-Ausbruch in Guinea und im Kongo.

Bei der Wiener Firma Themis hat man Erfahrung mit der Entwicklung von Impfstoffen, die wenig lukrativ sind, wie etwa gegen Chikungunya, das zu sehr schweren monatelangen Gelenkschmerzen führt und in seltenen Fällen tödlich ist. Themis-Gründer Erich Tauber hat in den letzten Jahren auch an einem Impfstoff gegen Zika gearbeitet. Auch bei Zika kommt es zu Fieber und Gelenkschmerzen sowie zur Schädigung von Föten und in sehr seltenen Fällen bei schweren Vorerkrankungen zum Tod. Angesichts der starken Verbreitung in Lateinamerika rief die WHO 2016 einen „Gesundheitsnotstand“ aus.

Investitionen in Covid-19-Impfstoffe

Mit einer Förderung der Europäischen Kommission konnte Themis 2017 eine Phase-I-Studie durchführen, bei der zunächst an einer kleinen Gruppe die Sicherheit des Impfstoffes überprüft wurde. Tauber: „Bis März 2020 war es sehr schwer, sich auf den Finanzmärkten als Impfstoffhersteller finanzieren zu lassen. Und das hat sich jetzt natürlich geändert, jetzt will jeder in Impfstoffe investieren.“ Das betrifft jedoch in erster Linie Covid-19-Impfstoffe. Im Mai wurde Themis vom Pharmariesen Merck/MSD gekauft.

Wie es jetzt mit dem Zika-Vakzin weitergeht? „Wir sind gerade übernommen worden, und das ist jetzt ein Projekt wie viele andere, die in den jeweiligen Gremien analysiert und untersucht werden. Ob es morgen mit einer Phase-II-Studie losgeht oder nicht, wissen wir nicht.“ Marktanalysen von Phase zu Phase – das war bei Covid-19 nicht notwendig. Bei Impfstoffen für vernachlässigte Tropenkrankheiten beziehen sich die Marktanalysen vor allem auf Urlauberinnen und Urlauber aus reicheren Ländern. Der einheimische Markt ist oft nicht zahlungskräftig genug.