Frau beim Lesen in einer Wiese
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Erschöpft von Krise

Tipps für das große Ausspannen

Schon vor der Pandemie waren viele ermüdet, gestresst und erschöpft, ein Jahr Coronavirus hat die Situation weiter verschärft. Drei neue Bücher wollen jetzt – ganz ohne die Besserwisserei vieler Ratgeber – Abhilfe schaffen. Auf dem Programm gegen das kollektive „Ruhedefizit“ stehen ein literarischer Streifzug, eine klug-kämpferische Grundsatzhinterfragung und ein Buch vollgepackt mit praktischen Entspannungtipps.

„Nichts ist schwerer als das Nichtstun“, heißt es in Jenny Odells „Nichtstun“. „Wir sehnen uns nach Ruhe, doch dann befällt uns die Angst, wir könnten womöglich faul sein“, in Claudia Hammonds „Die Kunst des Ausruhens“. Die beiden Bücher starten bei einer ähnlichen Gesellschaftsdiagnose: Die ständige Erreichbarkeit und die verschwimmende Grenze zwischen Arbeit und Freizeit würden sukzessive zur Überreizung führen, und das verursacht großen Leidensdruck.

Die Prämisse, dass wir erst dann richtig leben, wenn wir produktiv sind, habe uns allzu fest im Griff, sind sich die Autorinnen einig: „Dabei leben wir nur einmal“ (Odell). Studienergebnisse untermauern die Diagnose: In den USA sind 13 Prozent der Arbeitsunfälle auf Übermüdung zurückzuführen.

Der Londoner Mental Health Foundation zufolge waren drei von vier Personen vergangenes Jahr einmal so gestresst, dass sie sich außerstande fühlten, alle an sie gestellten Aufgaben zu bewältigen. Und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte Stress gar zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts.

Weltweit größte Ruhestudie

Beide Bücher – „Nichts tun“ stammt von der kalifornischen Künstlerin und Dozentin für digitales Design an der Stanford-Universität Odell, „Die Kunst des Ausruhens“ von der langjährigen BBC-Radiojournalistin Hammond – wurden vor der Pandemie geschrieben. Sie liefern also keine eilig produzierten Antworten auf die steigenden Belastungen von Homeoffice und vermehrter Betreuungspflicht, sondern sind Ergebnis langjähriger Beschäftigungen mit der Frage nach einem guten Leben in Zeiten moderner Aufmerksamkeitsökonomie.

Buchcover „Die Kunst des Ausruhens“
Dumont Verlag
Claudia Hammond: Die Kunst des Ausruhens. Wie man echte Erholung findet. DuMont, 324 Seiten, 22,90 Euro.

Ihre jeweilige Stärke liegt dabei in der unterschiedlichen Zielrichtung, die sie einschlagen. Hammonds „Kunst des Ausruhens“ ist praxisorientiert, ein hochinformatives, gut lesbares und angenehm undogmatisches Buch über die Hintergründe mangelnder Erholung und darüber, was konkret beim Entspannen hilft. Die Grundlage ist die von Forschern der Durham-Universität durchgeführte, weltweit größte Studie, die je zum Thema Ruhe veröffentlicht wurde. 18.000 Menschen aus 135 Ländern nahmen daran teil.

Die Ergebnisse des „Ruhetests“ präsentiert Hammond in einem Ranking, das sie „wie die Musikcharts“ von zehn bis eins aufbereitet, darunter spazieren gehen, Musik hören, ein Bad nehmen und das oft gebrandmarkte, aber, wie es heißt, „einigermaßen fröhlich machende“ Fernsehen. Zur Überraschung der Autorin schnitt Lesen als am meisten genannte erholsame Tätigkeit am besten ab.

„Ein schönes heißes Bad“

Die Entspannungsmethoden klingen auf den ersten Blick geläufig, Hammonds Aufarbeitung – die Autorin verbindet persönliche Anekdoten, historische und literarische Bezüge und eine beeindruckende Zahl einschlägiger Studien – wird aber wohl auch Leserinnen und Leser überzeugen, die sonst nicht zur Selbsthilfeliteratur greifen würden.

Das Kapitel „Ein schönes heißes Bad“, übrigens Nummer sieben im Entspannungsranking, führt etwa durch die Kulturgeschichte des Heilbades, von den überfüllten Caracalla-Thermen in Rom 460 nach Chr. über die Schwitzbäder als Heilmethode des 19. Jahrhunderts bis zu den modernen Poolanlagen der „Balneotherapie“.

Buchcover „Nichts tun“
C.H. Beck Verlag
Jenny Odell: Nichts tun. Die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen. C. H. Beck, 296 Seiten, 24,70 Euro.

Die positive Wirkung des Badens belegt Hammond mit Fakten: Bäder senken nachweislich den Spiegel des Stresshormons Cortisol und erleichtern das Einschlafen, indem sie die Körpertemperatur absinken lassen. Nettes Detail am Rande: Die entspannende Wirkung von Schaumbadezusatz ist zwar unerforscht, man weiß aber, dass die Schaumschicht das Badewasser länger heiß bleiben lässt.

Nutzwald erholsamer als ungezähmte Natur

Überraschende Erkenntnisse gibt es im Kapitel „Zeit in der Natur verbringen“, laut der Studie auf Platz zwei. Eine Schweizer Untersuchung fand heraus, das wir „gezähmte“ Natur, etwa einen Nutzwald, erholsamer empfinden als wilde Natur. Je mehr Wiederholungen es in einer Landschaft gibt, desto mehr Freude mache es, sie zu betrachten.

Mit einem Interview mit dem Schriftsteller Richard Mabey, der an Depressionen litt, hebt Hammond hervor, wie die Natur Halt geben kann. Er erzählte ihr: „Man betrachtet zehn Minuten lang ein Fleckchen einer Salzmarsch, und danach ist es etwas völlig anderes als zu Anfang. Dass ich diese Veränderung wahrgenommen habe, hat tiefe Spuren in meiner Psyche hinterlassen. Es hat mich zutiefst beeindruckt – die Tatsache, Teil eines lebenden Organismus zu sein.“

Lieblingsbuch von Barack Obama

Weniger Praxisanleitungen, dafür eine grundlegende Reflexion am Puls der Zeit ist bei Odell zu finden, deren nun auf Deutsch erschienenes Buch in den USA auf große Aufmerksamkeit stieß, als es Barack Obama auf seine Liste der Lieblingsbücher 2019 setzte. Mit dem titelgebenden „Nichts tun“ will die Künstlerin weniger zur Verweigerung jeglicher Aktivität aufrufen, sondern dazu, bestimmte Dinge nicht zu tun.

Buchcover „Gedankenspiele über die Faulheit“
Droschl Verlag
Daniela Strigl: Gedankenspiele über die Faulheit. Gedankenspiele Band 6, Droschl Verlag, 56 Seiten, 10 Euro.

Konkret geht es darum, sich dem Sog digitaler Selbstdarstellung und den Versuchungen der Push-Nachrichten und Pull-to-refresh-Buttons zu entziehen, um den Blick auf die haptische, reale Welt zu schärfen. Das bessere Leben findet Odell nicht in einem „selbstgefälligen Internetasketismus“, sondern in einer bewussten Technologienutzung abseits kommerzialisierter Sozialer Netzwerke, vor allem aber in der Wiederentdeckung der eigenen Umgebung – im Sinne der Wiederherstellung natürlicher Lebensräume und einem sorgsames Umgangs mit der Nachbarschaft.

Bioregionalismus nennt die Künstlerin das Modell, dessen Facetten ihr offener, kluger Essay erkundet. Odell durchstreift historische und literarische Projekte des Rückzugs und führt nicht zuletzt in die Natur selbst: zu einem „Old Survivor“ genannten Mammutbaum im kalifornischen Oakland, der 500 Jahre lang allen Abholzungsversuchen standhielt, zum Rosengarten in San Francisco, anhand dessen sie die kleiner werdenden städtischen Freiräume analysiert, und zu den Vögeln, die sie seit zwei Jahren als Hobbyornithologin beobachtet.

„Faule“ Bücher

Und dann gibt es noch ein drittes Buch, das sich mit dem berühmten US-Poeten und Spaziergänger Henry David Thoreau und Herman Melvilles Bartleby („Ich möchte lieber nicht“) ähnliche Referenzquellen teilt. „Gedankenspiele zur Faulheit“ heißt das – ganz zum Thema passend – nur 56 Seiten dünne Büchlein von Daniela Strigl.

Die österreichische Literaturkritikerin lädt darin zu einem leichtfüßigen, klugen Streifzug durch die Welt der Faulheit. Strigls Essay analysiert die Etymologie – die Begriffsnähe zur Fäulnis und Unterschiede zu Muße und Müßiggang – und führt zu „faulen“ Vorbildern in Literatur und Religion, genannt werden etwa Michel Houellebecq, Iwan Gontscharows „Oblomow“ und nicht zuletzt die Bibel.

„Seht die Vögel unter dem Himmel an“, zitiert sie die Bergpredigt, „sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ In diesem Sinn darf man sich getrost einmal zurücklehnen – oder gleich das Badewasser einlassen.