Eine Frau gibt ihre Stimme ab
APA/AFP/Nikolay Doychinov
Borissow will Experten

Bulgarien vor zäher Regierungsbildung

Die bürgerliche GERB-Partei von Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissow bleibt nach den Wahlen am Sonntag stärkste politische Kraft, steht aber vor komplizierten Verhandlungen für ein neues Regierungsbündnis. Die Protestparteien sehen sich als die eigentlichen Sieger. Borissow bietet ihnen ein Expertenkabinett an.

Wie die Zentrale Wahlkommission (ZIK) am Montag nach Auszählung von rund 42 Prozent der Stimmen mitteilte, kommt Borissows Partei GERB auf gut 24 Prozent der Stimmen. Zweitstärkste Kraft ist mit 19 Prozent überraschend die populistische Protestpartei „Es gibt so ein Volk“ des TV-Moderators und Kabarettisten Slawi Trifonow geworden. Trifonow gehört zu den prominentesten Coronavirus-Leugnern in Bulgarien, ist aber zurzeit unter Quarantäne wegen Covid-19-Symptomen.

Die oppositionellen Sozialisten (Ex-KP) landeten dem Zwischenergebnis zufolge mit fast 15 Prozent auf Platz drei. Es folgte die Partei der türkischen Minderheit (DPS) mit 8,7 Prozent, die die häufig Königsmacherin im Parlament ist.

Slavi Trifonov
Reuters
Der prominente CoV-Leugner und TV-Moderator Trifonow gilt als großer Wahlgewinner

Protestparteien schlossen Koalition bereits aus

Ins Parlament dürften zwei weitere Protestkräfte einziehen: die konservativ-liberal-grüne Koalition Demokratisches Bulgarien (DB) und „Richte dich auf! Mafiosi raus!“. Die nationalistische WMRO, die im Wahlkampf mit einer aggressiven Kampagne Stimmung gegen Roma, Homosexuelle und das Nachbarland Nordmazedonien gemacht hatte, hat den vorläufigen Zahlen zufolge die Vierprozenthürde nicht überwinden können. Sie war bisher Juniorpartner in Borissows Koalitionskabinett. Das Endergebnis wird bis Donnerstag erwartet.

Angesichts der Kräfteverteilung sowie der Feindschaften zwischen einigen dieser Parteien zeichnet sich die Bildung einer neuen Regierung als problematisch ab. Die Protestparteien haben bereits vor der Wahl eine Koalition mit GERB ausgeschlossen.

Borissow in Bulgarien wieder vorne

Bei der Parlamentswahl in Bulgarien hat die Partei des konservativen Regierungschefs Boiko Borissow laut Nachwahlbefragungen erneut die meisten Stimmen bekommen – allerdings deutlich weniger als bei der Wahl davor. Die Unzufriedenheit der Wähler zeigt auch der Zuspruch für die neue Protestpartei eines Sängers und Fernsehmoderators. Ernst Gelegs berichtet.

Borissow ist in Bulgarien seit 2009 fast durchgehend an der Macht. Der Rückhalt für den 61-jährigen Ex-Leibwächter des letzten kommunistischen Staatschefs Todor Schiwkow litt allerdings zuletzt darunter, dass das EU-Land von Korruptionsaffären erschüttert wird und das Coronavirus-Krisenmanagement der Regierung in der Kritik steht. Vergangenes Jahr hatten Proteste das Land erschüttert. Die Demonstranten warfen der Regierung vor, Oligarchen zu protegieren.

Borrisow schlägt Expertenregierung vor

„Ich schlage euch Frieden vor – lasst uns Experten einsetzen und bis Dezember die Verantwortung übernehmen, die (Coronavirus-)Pandemie zu bewältigen, damit es wieder aufwärtsgeht“, sagte Borissow in der Nacht auf Montag. Er erläuterte nicht näher, welche Experten in eine solche Regierung berufen werden könnten. Borissow sagte in einem auf Facebook veröffentlichten Video in Richtung Protestparteien weiter: „Ihr habt keine Expertise, (keine) Leute, ihr solltet lernen, wir aber haben ein gewaltiges Potenzial.“

Bulgariens Premierminister Boyko Borissov
Reuters
Premier Borissow sprach sich für eine Expertenregierung aus

Er freue sich, dass nun so viele Parteien ins Parlament einziehen, weil er es satthabe, „alleine die Verantwortung zu tragen“. Aber es sei lächerlich, mit fünf oder neun Prozent der Stimmen den Anspruch zu haben, im Namen des Volkes zu sprechen, sagte Borissow in Anspielung auf die Protestparteien „Richte dich auf! Mafiosi raus!“ und Demokratisches Bulgarien. Anhänger dieser Parteien hatten im vergangenen Sommer seinen Rücktritt wegen „korrupter Amtsführung und Verbindungen zu Oligarchen“ gefordert.

Trifonow mit deutlich besserem Ergebnis als erwartet

Die Programme der teils verfeindeten Parteien, die ins Parlament einziehen dürften, haben darüber hinaus kaum Berührungspunkte – abgesehen davon, dass die Sozialisten und die Protestparteien Borissow absetzen und die Korruption effektiver bekämpfen wollen. Die populistische Partei „Es gibt so ein Volk“ hat überhaupt kein Programm – sie will das politische System verändern.

Der Chef seines bisherigen Koalitionspartners von der nationalistischen WMRO, Krassimir Karakatschanow, und der Mitvorsitzende der Protestkoalition Demokratisches Bulgarien, Hristo Iwanow, schlossen Neuwahlen nicht aus. Laut den Nachwahlbefragungen hätte die Regierungspartei rund neun Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl im Jahr 2017 verloren. Für verbreitete Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler sprach auch, dass die neue populistische Protestpartei von Trifonow deutlich besser abschnitt als vorausgesagt.