Israeli Premierminister Benjamin Netanyahu verlässt den Gerichtssaal
Reuters/Abir Sultan
Netanjahu

Vom Gerichtstermin zur Regierungssuche

Die Impfkampagne in Israel gilt als die effizienteste der Welt, die rechtskonservative Regierungspartei Likud hat die Parlamentswahl im März als stärkste Kraft gewonnen. Für Premier Benjamin Netanjahu gab es am Montag dennoch wenig Grund zur Freude: Die Suche nach einer Koalition stockt. Zudem musste er in Jerusalem vor Gericht erscheinen und sich schwere Korruptionsvorwürfe anhören. Er selbst sprach von einem „Putschversuch“.

Bestechung, Betrug und Veruntreuung – die Vorwürfe gegen Israels Langzeitpremier wiegen schwer. Er habe Gefälligkeiten als „Währung“ begriffen, so die leitende Staatsanwältin Liat Ben-Ari am Montag vor dem Jerusalemer Bezirksgericht. „Diese Währung konnte das Urteil eines Beamten verzerren.“

Es handle sich um einen „ernsten Fall von Korruption durch die Regierung“. Ben-Ari warf Netanjahu vor, die ihm anvertraute Regierungsmacht unter anderem dazu genutzt zu haben, „unzulässige Vorteile von Eigentümern großer Medien in Israel zu verlangen“. Er habe damit seine eigenen Interessen vorantreiben wollen, „auch bei seinem Bestreben, wiedergewählt zu werden“.

Mehr als 300 Zeugenaussagen

Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf mehr als 300 Zeugenaussagen. Netanjahu musste persönlich zu dem Gerichtstermin erscheinen, bei dem es hauptsächlich um Zeugenbefragungen ging. Vor dem Gebäude wurde er von Fans und Demonstrierenden empfangen, manche hielten Schilder mit der Aufschrift „Crime Minister“ (Verbrechensminister) in die Höhe – ein Wortspiel, das bei Anti-Netanjahu-Demos oft zu sehen ist. Noch vor dem Beginn der Zeugenanhörung durfte der Regierungschef die Verhandlung wieder verlassen.

Regierungsgegner bei einem Protest in Jerusalem halten ein Transparent  mit der Aufschrift „Crime Minister“
AP/Maya Alleruzzo
Netanjahu wurde von Anhängern und Demonstrierenden empfangen. Gegner des Premiers benutzen gern den Ausdruck „Crime Minister“.

Brisante Aussagen vor Gericht

Der Premier wird im „Fall 4000“ unter anderem beschuldigt, sich positive Berichterstattung erkauft zu haben. Darin werden die Beziehungen zwischen Netanjahu und Shaul Elovitch, dem früheren Chef der Telekommunikationsfirma Besek, beleuchtet. Der Premier soll regulatorische Gefälligkeiten von Behörden im Wert von rund 500 Millionen Dollar gewährt haben im Gegenzug für eine bessere Berichterstattung über Netanjahu und seine Frau Sara auf der konzerneigenen Website Walla.

Als erster Zeuge wurde der ehemalige Walla-Chef Ilan Jeschua aufgerufen. Er gab an, regelmäßig Anweisungen von Netanjahu-Verbündeten erhalten zu haben, Artikel zu veröffentlichen, die entweder gutes Licht auf den Regierungschef oder schlechtes auf dessen Gegner warfen. „Es war offensichtlich, dass wir eine Website waren, die tat, was das Büro des Ministerpräsidenten von uns verlangte“, sagte er vor Gericht.

Israel: Korruptionsprozess überschattet Regierungssuche

Israel hat in zwei Jahren vier Mal gewählt, an der schwierigen Regierungsbildung hat sich dabei vorerst nichts geändert. 13 Parteien haben es in die Knesset geschafft. Am Montag ging der Korruptionsprozess gegen Premiere Netanjahu indes weiter.

Weitere Vorwürfe gegen Netanjahu beziehen sich auf Luxusgeschenke, die er und seine Angehörigen von reichen Persönlichkeiten im Gegenzug für finanzielle und persönliche Vorteile angenommen haben sollen.

Keine Mehrheit in Sicht

Netanjahu ist der erste amtierende Regierungschef des Landes, der wegen Bestechung und Machtmissbrauch angeklagt ist. Er weist alle Vorwürfe zurück. Am Montag bezeichnete sich Netanjahu als Opfer einer „Hexenjagd“. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte er in einer Ansprache eines „Putschversuchs“ gegen ihn.

Die Justiz hatte mit der Zeugenbefragung den Prozess an einem für Netanjahu ungünstigen Zeitpunkt fortgesetzt. Der seit zwölf Jahren amtierende Premier steckt mitten in der schwierigen Suche nach einer Mehrheit, um weiterregieren zu können. Netanjahus Likud war bei der Wahl am 23. März – der vierten in nur zwei Jahren – zwar als Wahlsieger hervorgegangen, doch weder sein Lager noch seine Gegner konnten bisher eine Einigung auf eine Regierungskoalition erreichen.

Rivlin wenig optimistisch

Präsident Reuven Rivlin begann am Montag Beratungen mit den Parteichefs. Traditionellerweise überträgt Israels Präsident jenem Spitzenkandidaten die Regierungsbildung, der den meisten Zuspruch von Abgeordneten erhält. Die meisten Empfehlungen von Parlamentariern erhielt Netanjahu mit 52 Stimmen. 45 Empfehlungen entfielen auf den Liberalen Jair Lapid von der Partei Jesch Atid.

Rivlin hat allerdings bereits angedeutet, sich nicht allein von den Zahlen leiten lassen zu wollen, sondern jenem Kandidaten den Regierungsbildungsauftrag zu erteilen, „der die beste Chance hat, eine Regierung zu bilden“. Seine Entscheidung will Rivlin nach Angaben seines Büros im Laufe des Tages bekanntgeben.

Der von Rivlin bestimmte Kandidat hat 28 Tage Zeit, ein Regierungsbündnis zu formen. Gelingt ihm das nicht, droht Israel die fünfte Neuwahl in Folge. Rivlin kann diese Frist einmal um 14 Tage verlängern. Rivlin äußerte sich am Montag pessimistisch: „Ich sehe keinen Weg, wie eine Regierung gebildet werden könnte.“ Die Bevölkerung müsse mit einer Neuwahl rechnen.

Lapid schlägt Regierungsbündnis vor

Lapid sagte am Montag, er habe dem ehemaligen Verteidigungsminister Naftali Bennett und dessen religiös-nationalistischer Jamina-Partei angeboten, gemeinsam ein Regierungsbündnis mit rotierendem Vorsitz zu bilden. In dem Format könne Bennett zuerst das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen. Das „rücksichtslose“ Auftreten Netanjahus vor Gericht sei ein weiterer Beleg dafür, dass der Likud-Chef „gefährlich“ sei, sagte Lapid.