Russische Soldaten auf einem Flughafen auf dem Weg zu einer Militärübung in die Arktis
AP/Musa Sadulayev
Ukraine und Arktis

Westen beäugt Russland skeptisch

Die Spannungen zwischen dem Westen und Russland könnten weiter zunehmen. Das westliche Militärbündnis NATO beäugt derzeit russische Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze kritisch. Die Ukraine fordert angesichts des russischen Vorgehens einen raschen NATO-Beitritt, sehr zum Unmut des Kremls. Die USA kritisieren unterdessen auch militärische Bewegungen Russlands in der Arktis.

Mit Blick auf die russischen Truppenbewegungen nahe der ukrainischen Grenze erhob die NATO nun schwere Vorwürfe gegen Moskau. Die „destabilisierenden Maßnahmen vonseiten Russlands“ unterminierten alle Bemühungen, die Spannungen im Rahmen des von der OSZE vermittelten Waffenstillstandsabkommens vom Juli 2020 „zu deeskalieren“, sagte ein NATO-Sprecher der deutschen „Welt“ (Dienstag-Ausgabe).

Das Bündnis werde „weiter die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine unterstützen“. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sicherte der Ukraine Solidarität zu, stellte allerdings am Dienstag keine militärische Unterstützung in Aussicht. „Ich habe Präsident Wolodymyr Selenski angerufen, um ernsthafte Besorgnis über Russlands militärische Aktivitäten in und um die Ukraine und die anhaltenden Waffenstillstandsverletzungen zum Ausdruck zu bringen“, teilte Stoltenberg am Dienstag mit.

Ein ukrainischer Soldat in einem schneebedeckten Schützengraben
AP/Evgeniy Maloletka
Ein ukrainischer Soldat an der Grenze zu Russland Anfang März

Kiew fordert raschen NATO-Beitritt

Im Osten der Ukraine wurden nach Angaben des ukrainischen Militärs zwei Soldaten durch prorussische Separatisten getötet. Die am Dienstag gemeldeten Toten unterstreichen die Spannungen in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten. Vertreter Russlands und der USA hätten die Lage besprochen, zitierte die russische Nachrichtenagentur TASS den stellvertretenden russischen Außenminister Sergej Rjabkow.

Angesichts der wachsenden Spannungen mit Russland forderte Selenski die NATO auf, den Beitritt seines Landes zu der Militärallianz voranzutreiben. „Die NATO ist der einzige Weg, um den Krieg im Donbass zu beenden“, schrieb Selenski am Dienstag mit Blick auf die Unruheregion im Osten der Ukraine auf Twitter. Ein beschleunigtes NATO-Beitrittsverfahren für die Ukraine wäre „ein echtes Signal an Russland“.

Der Kreml reagierte umgehend und erklärte, eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine würde die Spannungen in der Ostukraine nur verschärfen. „Wir haben große Zweifel, dass das der Ukraine bei der Regelung ihrer internen Probleme helfen würde“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. „Aus unserer Sicht würde es die Lage nur verschlimmern.“

Truppenbewegungen an der Grenze seit Wochen

Die Regierung in Kiew wirft Russland vor, seit Wochen Truppen an der Grenze zur Ukraine zu verstärken. Separatisten sollen die Angriffe auf die ukrainische Armee an der Demarkationslinie verstärkt haben. Russland unterstützt diese Milizen militärisch und gibt an die Bevölkerung in den Separatistengebieten russische Pässe aus. Unbestätigten Berichten zufolge verlegt die Regierung in Moskau unter anderem Panzer in die Grenzregionen und auf die Krim, die sie 2014 annektierte. Die Regierung im Moskau spricht von Schritten zum Selbstschutz.

Bereits am Donnerstag hätten sich die NATO-Bündnispartner im Format des Nordatlantikrates für einen Meinungsaustausch über das aktuelle Sicherheitsumfeld am Schwarzen Meer getroffen, sagte der NATO-Sprecher weiter. „Die Alliierten teilen ihre Sorge über Russlands großangelegte militärische Aktivitäten in der Ukraine und rund um die Ukraine“, sagte er. US-Präsident Joe Biden hatte sich am Freitag nach russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine hinter die Regierung in Kiew gestellt.

Lawrow sieht in Kiew den Schuldigen

Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte am Dienstag Deutschland und Frankreich auf, die Regierung in Kiew „zur Besinnung“ zu bringen. Es gebe „keine energischen Handlungen seitens unserer französischen und deutschen Kollegen, um die ukrainische Seite zur Vernunft zu bringen“, sagte Lawrow am Dienstag bei einem Besuch in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Berlin und Paris ringen seit Jahren im Rahmen des Normandie-Formats gemeinsam mit Moskau um eine friedliche Lösung des Konflikts.

Zugleich kritisierte Lawrow angesichts von Berichten über ukrainische Truppenaufmärsche am Donbass die Reaktionen des Westens dazu als „enttäuschend“. „Allem Anschein nach gehen unsere westlichen Kollegen immer noch davon aus, die ukrainischen Behörden auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen, auch bei absolut inakzeptablen Handlungen und Äußerungen“, sagte er der Agentur Interfax zufolge.

Warnung vor weiterer Eskalation

In dem seit 2014 andauernden Konflikt um die Ostukraine wurden laut UNO mehr als 13.000 Menschen getötet. Im Juli vergangenen Jahres einigten sich die Konfliktparteien auf einen Waffenstillstand. Seit Mitte Februar gibt es aber verstärkte Kampfhandlungen, die den ohnehin fragilen Waffenstillstand untergraben. Moskau und Kiew machen einander dafür verantwortlich.

Zuletzt wuchs die Befürchtung vor einer weiteren Eskalation des Konflikts. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell äußerte sich am Sonntag nach einem Telefonat mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba auf Twitter besorgt und sicherte Kiew die „standhafte EU-Unterstützung für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine“ zu. Ähnlich äußerten sich Deutschland und Frankreich. Auch der britische Premierminister Boris Johnson hatte sich besorgt gezeigt und Selenski die „uneingeschränkte Unterstützung“ Großbritanniens zugesichert.

Ein russisches Atom-U-Boot durchbricht arktisches Eis
AP/Russian Defense Ministry Press Service
Ein russisches Atom-U-Boot durchbrach die meterdicke Eisdecke der Arktis

Russland mobilisiert auch in Arktis

Auch russische Aktivitäten in der Arktis sorgen für Unruhe im Westen. Diese Vorgänge blieben nach Angaben von Pentagon-Sprecher John Kirby in Washington nicht unbeachtet. „Natürlich beobachten wir das sehr genau“, sagte Kirby am Montag bei einer Pressekonferenz. Eine Reporterin hatte ihn gefragt, wie besorgt das Verteidigungsministerium angesichts von Berichten über Waffentests und Satellitenaufnahmen von neuen Stützpunkten Russlands sei.

Ein russisches Atom-U-Boot durchbricht arktisches Eis
AP/Russian Defense Ministry Press Service
Eine Aufnahme des Atom-U-Bootes von oben

„Niemand hat ein Interesse daran, dass die Arktis militarisiert wird“, sagte Kirby. Die USA hätten nationale Sicherheitsinteressen in der Arktis – die Region sei entscheidend für die Landesverteidigung und ein „potenzieller strategischer Korridor“ zwischen dem Indo-Pazifik, Europa und den Vereinigten Staaten. Die Arktis ist für alle angrenzenden Staaten von strategischer Bedeutung, und das nicht nur aus militärischer Sicht. Dort werden gewaltige Mengen an Öl und Gas vermutet. Wegen der wertvollen Bodenschätze gibt es immer wieder territoriale Streitigkeiten.

U-Boot-Übung mit Signalwirkung

Die russische Marine hatte Ende März mit atomar betriebenen U-Booten bei einer Übung meterdickes Eis in der Arktis durchbrochen – und damit Präsenz in der Region demonstriert. „Russland renoviert Flugplätze und Radaranlagen aus der Sowjet-Ära, baut neue Häfen und Such- und Rettungszentren“, zitierte der US-Sender CNN am Montag Pentagon-Sprecher Thomas Campbell in einem Bericht. Zudem baue Russland seine Flotte von nuklear und konventionell betriebenen Eisbrechern aus und stärke die Fähigkeiten zur Abwehr von Angriffen und zur Gebietsverteidigung über wichtige Teile der Arktis.