Flüchtlinge nach Ausbruch von Corona in einer Schutzunterkunft
Reuters/Daniel Becerril
Amnesty-Jahresbericht

„Pandemie hat Verlogenheit verstärkt“

"Unsere Welt ist völlig aus den Fugen geraten“, hat Amnesty International anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichts 2020 am Mittwoch erklärt. Die Pandemie habe in vielen Regionen Ungleichheit, Diskriminierung und Unterdrückung verstärkt, die Menschenrechte hätten Schaden genommen – auch in Österreich.

Die Coronavirus-Krise sei von zahlreichen Staaten missbraucht worden, um Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit weiter einzuschränken, für Millionen Menschen weltweit habe sich die Menschenrechtslage verschlechtert, heißt es in dem Bericht. Amnesty kritisiert aber vor allem das Agieren der reichen Länder im Kampf gegen das Virus scharf. „Die Pandemie hat auch die Mittelmäßigkeit und Verlogenheit, den Egoismus und den Betrug unter den Machthabenden dieser Welt verstärkt“, schreibt Amnesty-Generalsekretärin Agnes Callamard im Vorwort.

Auch in Österreich sieht Amnesty „weitreichende und zum Teil problematische Eingriffe in die Menschenrechte“. Genannt wurden vor allem die CoV-Schutzmaßnahmen. So kritisiert Amnesty etwa „unnötige und unverhältnismäßige“ Einschränkungen von Versammlungen, obwohl die Veranstalter entsprechende Vorkehrungen zum Schutz der Gesundheit getroffen hätten, und „überschießende Ausgangsregelungen, die gesetzlich nicht gedeckt waren“.

Demonstration in Wien
APA/AFP/Alex Halada
In Österreich bemängelte Amnesty „unnötige und unverhältnismäßige Einschränkungen“ bei Demonstrationen

Forderung nach fixem Ablaufdatum für Maßnahmen

Konkret bemängelt die NGO Betretungsverbote während des Lockdowns sowie die Beschränkung der Teilnehmerzahl bei Demonstrationen wie bei einer „Fridays for Future“-Klimakundgebung im September in Linz. „Politische Entscheidungsträger*innen haben die Aufgabe, Eingriffe in unsere Menschenrechte stets auf das Nötigste zu reduzieren und mit besonderem Augenmaß vorzugehen“, sagte die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, Annemarie Schlack, in einer Stellungnahme. „Wir fordern die Behörden in Österreich mit Nachdruck auf, dass jede Maßnahme einem konsequenten Menschenrechtscheck unterzogen werden muss.“

So sollten etwa alle CoV-Maßnahmen ein festgelegtes Ablaufdatum haben und auch während der Laufzeit überprüft und gegebenenfalls geändert werden. Wichtig seien außerdem ein umfassendes Recht auf Zugang zu Informationen, Unterstützung für Schutzbedürftige sowie effektiver Rechtsschutz. Amnesty fordert die Einführung eines Eilverfahrens beim Verfassungsgerichtshof.

Versagen bei gerechter Impfstoffverteilung

Auf internationaler Ebene prangert der Bericht vor allem die Benachteiligung ärmerer Länder bei der Verteilung von Impfstoff an. Die für eine gerechte Versorgung gegründete Covax-Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sei von Russland, den USA und anderen Ländern unterminiert worden.

Auch hätten mehr als 90 Länder Exportbeschränkungen für medizinisches Gerät, Schutzausrüstung, Arznei- und Nahrungsmittel verhängt. Die reichen Länder hätten zudem nicht dafür gesorgt, dass Pharmaunternehmen ihr technisches Wissen weitergeben, um so den weltweiten Vorrat an Impfstoffen zu erhöhen.

„Die Pandemie hat die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass die Welt derzeit unfähig ist, bei einem globalen Ereignis mit großen Auswirkungen effektiv und gerecht zusammenzuarbeiten“, sagte Generalsekretärin Callamard. „Statt Schutz und Unterstützung zu bieten, haben Entscheidungsträger*innen weltweit die Pandemie instrumentalisiert und verheerende Schäden für Menschen und ihre Rechte angerichtet.“

Kein Schutz für „Helden und Heldinnen“

Ethnische Minderheiten, Geflüchtete, ältere Menschen und Frauen seien unverhältnismäßig stark von den Folgen der Pandemie betroffen. Gerade die „Helden und Heldinnen“ der Krise – die Beschäftigten im Gesundheitswesen sowie Arbeiter und Arbeiterinnen in systemrelevanten Bereichen – wurden „am schlechtesten geschützt“.

Gewalt in politischen Konflikten habe ebenso zugenommen wie Einschränkungen von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Kritiker der Politik ihrer Regierungen seien vielerorts gezielt verfolgt und unterdrückt worden. Der Bericht unterstreicht zudem einen erheblichen Anstieg der Fälle von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, auch in Österreich.