Eine Frau mit einer Schachtel mit Covid-Impfstoff in einem Verteilerzentrum im US-Bundesstaat Mississippi
Reuters/Paul Sancya
USA horten CoV-Impfstoffe

Im Schatten der „America First“-Politik

Schon ab Mitte Mai könnte die Produktion von CoV-Impfstoff in den USA den nationalen Bedarf übersteigen. Die überschüssigen Dosen mit anderen Ländern teilen können die USA laut einem Medienbericht aber nicht. Schuld sollen Verträge mit den Pharmafirmen sein, die noch unter Präsident Donald Trump unterzeichnet wurden und die den Geist der „America First“-Politik atmen. Trumps Nachfolger Joe Biden könnte sich um Änderungen bemühen, zögert aber.

Trump spielte die vom Coronavirus ausgehende Gefahr lange Zeit herunter. Selbst als das Virus bereits in Europa wütete, reagierten die US-Regierung und viele Bundesstaaten nur unzureichend. Die Folge: Über 550.000 Menschen in den Vereinigten Staaten starben bereits an den Folgen der Infektion, mehr als in jedem anderen Land. Auch außenpolitisch hinterließ der Republikaner verbrannte Erde. Unter Trumps Präsidentschaft stellten die USA die Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein. Die Pandemie nahm er zum Anlass für rassistisch konnotierte Verbalattacken auf China, sprach vom „Wuhan-Virus“ und „Kung Flu“.

Was der US-Regierung in Trumps Amtszeit allerdings gelang, ist das Aufsetzen einer großen Impfkampagne. Die Früchte der milliardenschweren „Operation Warp Speed“ erntet nun Trumps Nachfolger Biden. Seit dem Amtsantritt des Demokraten am 20. Jänner wurden bereits 150 Mio. Impfdosen verabreicht. Von 330 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern ist bereits jeder Fünfte voll gegen das Virus geimpft. Ein Drittel erhielt die erste Dosis.

Dank der enormen Impfstoffproduktion könnten, so Bidens Ziel, bis Ende Mai alle Erwachsenen in den USA ihre Impfung erhalten. 255 der mehr als 328 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner sind 18 Jahre und älter.

Impfstoff für die Welt

Daneben verfolgt die US-Regierung laut einem Bericht der „Vanity Fair“ ein außenpolitisches Vorhaben: Die Überkapazitäten sollen dazu genutzt werden, ärmeren Ländern aus der Patsche zu helfen und das von Trump zerstörte Vertrauen und Ansehen wiederherzustellen.

Die internationalen Ambitionen von Bidens Team gehen laut „Vanity Fair“ weit über den Verkauf und die Spende von CoV-Impfstoff hinaus. Die Vereinigten Staaten sollten zu einem der weltweit führenden Produktionsländer für günstige und hochwertige CoV-Vakzine werden.

US-Präsident Joe Biden
Reuters/Kevin Lamarque
Impfstoffverteilung: Verträge aus der Trump-Ära bremsen Bidens globale Ambitionen

In der Realität ist noch wenig von den hochgesteckten Zielen zu merken. Zwar hat Biden der WHO-Intiative Covax vier Milliarden Dollar zugesagt, praktische Hilfe in Form von Vakzinlieferungen ins Ausland erfolgte bisher aber nur sporadisch. In den USA produzierter Impfstoff bleibt derzeit in den USA – auch wenn Washington betont, es gebe keine Exportbeschränkungen.

„America First“ in den Verträgen

Die Gründe dafür liegen in den Verträgen, die im Rahmen der „Operation Warp Speed“ zwischen US-Regierung, Militär und Pharmafirmen geschlossen wurden. Bevor die Hersteller exportieren dürfen, müssen sie ihre Verpflichtungen gegenüber Washington erfüllen.

Doch selbst nach Erreichen dieses Ziels können die USA ihren Impfstoffüberschuss nicht einfach mit dem Rest der Welt teilen, berichtete „Vanity Fair“ unter Berufung auf bisher nicht öffentlich bekannte Vereinbarungen zwischen Washington und den Firmen Biontech und Pfizer, Moderna, Janssen, der Impfstofftochter von Johnson & Johnson, und AstraZeneca.

Es sei der US-Regierung untersagt, im Rahmen des gemeinsamen Projekts entstandene Produkte und Inhaltsstoffe außerhalb der USA oder US-Territorien zu verwenden bzw. den Einsatz zu genehmigen. Eigentlicher Zweck der Vertragsklauseln sei es gewesen, die Firmen in Haftungsfragen abzusichern, so „Vanity Fair“. Praktisch haben sie dazu geführt, dass Trumps „America First“-Politik unter Biden ihre Fortsetzung findet.

Ampulle mit Moderna-Impfstoff
APA/AFP/Kenzo Tribouillard
Impfstoff von Moderna: Die Vakzinproduktion in den USA läuft auf Hochtouren, die Präparate müssen aber im Land bleiben

Die Klauseln hätten es den USA unmöglich gemacht, Impfstoff weiterzuverkaufen oder zu spenden, sagte ein hochrangiger Regierungsvertreter gegenüber dem Magazin. Das wäre Vertragsbruch gewesen. „Es ist ein komplettes Verbot. Diese rechtlichen Parameter müssen sich ändern, bevor wir etwas tun können, um dem Rest der Welt zu helfen.“

Viele Anfragen – die Antwort ist immer „Nein“

Zahlreiche Staaten hätten sich bereits mit der Bitte um Impfstoff an die USA gewandt, zitierte „Vanity Fair“ einen Regierungsvertreter. „Wir antworten ihnen. Aber die Antwort lautet immer ‚Nein‘.“ Abgeblitzt ist auch die EU: Brüssel hatte wegen der Ausfuhr von AstraZeneca-Impfstoff angefragt, Washington lehnte ab. Der Impfstoff ist in den USA noch nicht zugelassen – und wird nach Ansicht von Fachleuten auch nicht gebraucht, um die amerikanischen Impfziele zu erreichen. Trotzdem lagern Millionen Dosen des Impfstoffs in den USA.

Die unterschiedlichen Fortschritte der Impfkampagnen haben auch eine gesundheitliche Dimension: Je länger die Pandemie dauert, desto höher die Wahrscheinlichkeit neuer Virusvarianten, gegen die es womöglich neue oder zumindest modifizierte Impfstoffe brauchen könnte. Solange die Impfung nicht überall auf der Welt verfügbar und das Virus noch nicht in allen Ländern besiegt sei, „sind wir nicht komplett sicher“, warnte Biden.

Angst vor PR-Alptraum

Unter Gesundheitsfachleuten im Umfeld der US-Regierung wächst laut „Vanity Fair“ die Angst vor einem „PR-Alptraum“. „Können Sie sich die weltweiten Verurteilungen vorstellen, wenn in amerikanischen Lagerhäusern die Impfstoffe ablaufen, während der Rest stirbt?“, zitierte das Magazin einen hochrangigen Regierungsvertreter.

Die Lage spielt Amerikas Rivalen auf der Weltbühne in die Hände. China und Russland verkaufen ihre Impfstoffe rund um den Globus und dürfen sich im Gegenzug wirtschaftlichen und politischen Einfluss erhoffen. Auf der Suche nach großen und schnell verfügbaren Impfstoffmengen wenden sich auch viele EU-Staaten – darunter Österreich – Moskau zu.

Fallzahlen in USA steigen

Biden bekräftigte diese Woche, dass auch andere Länder vom Impferfolg der USA profitieren sollen. Wann genau, ließ er offen. Hinter den Kulissen wird laut „Vanity Fair“ an Lösungen gearbeitet. Bestrebungen, Impfstoffspenden an andere Staaten zu ermöglichen, gab es bereits während Trumps Präsidentschaft. Die Rahmenbedingungen – ab welchen Produktionsmengen und ab welchem Immunisierungsgrad der Bevölkerung Spenden ermöglicht werden sollen – wurden in einem Dokument festgeschrieben.

Zudem entstand laut „Vanity Fair“ eine Tabelle, in der die Bedürftigkeit der einzelnen Länder erhoben wurde. Bereits am Tag nach seinem Amtsantritt im Jänner wies Biden das Gesundheitsministerium an, „die Rahmenbedingungen für die Spende überschüssiger Vakzine“ auszuarbeiten. Die Umsetzung liegt allerdings auf Eis.

Grund ist die rapide Zunahme der CoV-Fälle in den USA. Mit Blick auf den rasanten Erfolg der Impfkampagne wurden in vielen Bundesstaaten die CoV-Maßnahmen zurückgefahren. Die Öffnungsschritte erfolgten zu einem Zeitpunkt, als sich die erstmals in Großbritannien entdeckte Variante B.1.1.7 im Land ausbreitete. Laut der US-Seuchenbehörde CDC dominiert sie mittlerweile das Infektionsgeschehen. Und da die Durchimpfungsrate bei den über 70-Jährigen bereits sehr hoch ist, sinkt das Alter der Erkrankten, die wegen Covid-19 in Spitalsbehandlung müssen. Ein ähnlicher Effekt zeigt sich auch in Österreich und ganz Europa.