Leeres Klassenzimmer
ORF.at/Zita Klimek
Ostregion

Distance-Learning reißt Loch in Teststrategie

Die Schülerinnen und Schüler der Ostregion sind wieder im Distance-Learning – ausgenommen jene von Abschlussklassen, für die das Bildungsministerium Ausnahmen vorsieht. ÖVP-Minister Heinz Faßmann nahm die Schulschließungen mit Skepsis zur Kenntnis. Von Anbeginn der Pandemie sind sie wohl die umstrittenste Maßnahme mit den emotionalsten Debatten – und das ist, derzeit erst recht, nicht ganz ohne Gründe so: Sie reißen auch ein Loch in die derzeitige Teststrategie.

Mit der Verlängerung des Lockdowns wurde auch das Distance-Learning in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland bis 16. April ausgeweitet. Allerdings werden ab Montag nicht alle Schüler der Ostregion Fernunterricht haben: Für Kinder und Jugendliche der Abschlussklassen eines Schultyps (4. Klasse Volksschule bzw. Mittelschule/AHS, letzte Klasse AHS/BMHS) findet dennoch Präsenzunterricht statt. Dazu wird eine Verordnung des Bildungsministeriums aktualisiert.

Dabei wird wie bisher nach Schulformen unterschieden: An den vierten Klassen der Volksschulen gibt es also an allen fünf Wochentagen Unterricht im Klassenzimmer, für alle anderen Schichtbetrieb. Maturanten etwa hätten ja nur noch drei Wochen lang regulären Schulbetrieb, heißt es aus dem Ministerium.

Schularbeiten sollen stattfinden können

Außerdem sollen auch in der Ostregion trotz Distance-Learnings in allen Schultypen Schularbeiten wie geplant in der Schule stattfinden können, wie in den anderen sechs Bundesländern auch. Damit sollen Verschiebungen im Kalender und Schularbeitsstress nach dem Lockdown vor allem an den berufsbildenden höheren Schulen (BHS) vermieden werden. Außerdem soll Förderunterricht trotz der grundsätzlichen Umstellung auf Fernunterricht weiterhin im Klassenzimmer stattfinden können.

Faßmann verweist auf Tests und Impfungen

Faßmann hatte sich bereits am Dienstag eher kritisch geäußert: „Ich sehe mit einer gewissen Skepsis, dass man nicht differenziert vorgeht und die Schule auch als Instrument der Pandemiebekämpfung anerkennt“, so Faßmann zur APA. „Wir testen dreimal die Woche, jetzt auch mit verlässlicheren Tests – so viel wie kein anderes Land in Europa –, und wir haben zwei Drittel bis drei Viertel der Lehrer geimpft. Die Schule ist jetzt – mehr als vorher – ein kontrollierter Ort.“ Man könne durchaus die Bildungseinrichtungen anders behandeln und bei der Abwägung zwischen öffentlicher Gesundheit und Bildungschancen die Interessen der jüngeren Generation stärker berücksichtigen.

Warnungen vor Folgen

Tatsächlich häuften sich die Warnungen und auch Studien, die die negativen Auswirkungen der Pandemiebekämpfung auf Kinder und Jugendliche betonten. Kinderärzte schlugen in den vergangenen Wochen genauso Alarm wie die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zuletzt erschien eine entsprechende Studie des Fachbereichs Psychologie der Universität Salzburg – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Neben den psychischen Folgen wird auch immer wieder davor gewarnt, dass die Bildung der Kinder leide, vor allem bei sozial benachteiligten Gruppen. Und diese Auswirkungen hätten auch langfristige Folgen.

Anteil am Infektionsgeschehen noch immer umstritten

Noch immer – nicht nur in Österreich – umstritten ist die Frage, wie stark Kinder und Schulen das Infektionsgeschehen beeinflussen. Hier gibt es durchaus widersprüchliche Forschungsergebnisse – auch je nach medizinischer Disziplin. Virologische Untersuchungen haben gezeigt, dass infizierte Kinder sehr wohl eine hohe Virenlast aufweisen können, also ebenso infektiös sein können wie Erwachsene.

Aus epidemiologischer Sicht hingegen wird beobachtet, dass Kinder sich gegenseitig und auch Erwachsene tendenziell weniger anstecken. Werden Kinder angesteckt, dann häufiger durch Erwachsene, im Schulkontext also öfter vom pädagogischen Personal.

Noch mehr Fragen wirft die zuerst in Großbritannien aufgetauchte B.1.1.7.-Variante auf, die Kinder und Jugendliche womöglich anders betrifft als die Wildvariante: Zunächst hieß es, Kinder würden sich damit leichter infizieren, später wurde das eher widerlegt. Eine These lautet, dass mit ihr eher ein symptomatischer Verlauf einhergeht, eine Infektion also eher auch erkannt wird.

Hohe Inzidenzen bei Jungen seit März

Faktum ist, dass die Altersgruppen der 15- bis 24-Jährigen und der Fünf- bis 14-Jährigen seit März die höchsten 7-Tage-Inzidenzen nach Alter aufweisen. Dass Jugendliche sich in Sachen Infektiosität praktisch nicht von Erwachsenen unterscheiden, scheint wissenschaftlich geklärt. Bei der jüngeren Alterskohorte ist vor allem die Bandbreite des Alters problematisch: Anzunehmen ist, dass es deutliche Unterschiede hier zwischen den unter Zehnjährigen und den Älteren gibt, die aber in der Statistik nicht eruierbar ist.

Ohne Präsenzunterricht keine Tests

Problematisch an den Schulschließungen im Osten ist nun auch, dass eine wichtige Kontrollfunktion wegfällt: die „Nasenbohrertests“, mit denen Schülerinnen und Schüler als einzige Bevölkerungsgruppe praktisch flächendeckend getestet worden sind.

Dazu kommt die „Gurgeltest“-Studie, die ebenfalls wertvolle Erkenntnisse liefert. Der Initiator, der Mikrobiologe Michael Wagner von der Uni Wien, nannte zuletzt gegenüber ORF.at die Schulen eine „Riesengelegenheit“, denn durch die Testungen dort erreiche man beim Aufdecken von Infektionen über das Contact-Tracing auch jene Teile der Bevölkerung, die sonst nicht so gesundheitsaffin ist. Gegenüber ORF.at sagte er zuletzt, Kinder würden „das Infektionsgeschehen in der Allgemeinbevölkerung widerspiegeln“.

Bildungscluster wurden kleiner

Auffällig in der Clusteranalyse der AGES ist der Ende März sinkende Anteil der Infektionsfälle in Bildungsinstitutionen. In der 12. Kalenderwoche, also von 22. bis 28. März, waren nur noch 4,2 Prozent aller nachverfolgten Infektionen in Wien und 4,6 Prozent in den anderen Bundesländern Bildungsclustern zuzuordnen. In den Wochen davor waren es in den Bundesländern außer Wien bis zu 6,9 Prozent gewesen, in der Bundeshauptstadt wochenweise teils deutlich über zehn Prozent. Insgesamt geklärt wurden in diesen Wochen jeweils mehr als 60 Prozent aller Infektionsquellen.

Wie viel die „Nasenbohrertests“ leisten

In dieser Woche wurden an den Schulen 1,7 Mio. „Nasenbohrer“-Tests durchgeführt, 1.405 waren laut Bildungsministerium positiv. Wie viele davon auch einem PCR-Test standhielten, ist nicht bekannt, genannt werden rund 70 Prozent. Das heißt, bei rund einem Drittel der Fälle handelt es sich um falschen Alarm – wie etwa im Fall einer Wiener Volksschule, bei der Mitte März sich gleich 62 Fälle als falsch positiv herausstellten.

Wagner geht übrigens davon aus, dass etwa ein Drittel der entdeckten Infektionen unter Schülerinnen und Schülern auf die Schul-Antigentests zurückzuführen sind, zwei Drittel würden vor allem dann entdeckt, wenn die Kinder und Jugendlichen als Kontaktpersonen von Infizierten getestet werden.

Effekt schwierig abzuschätzen

Wenn nun mit den Schulschließungen tatsächlich die registrierten Infektionszahlen bei den Jungen sinken, dann heißt das nicht zwingend, dass es tatsächlich weniger Infektionen gibt. Denn wenn viel weniger getestet wird, gibt es eben auch weniger Fälle. Darauf verweist etwa auch die Wissenschaftskommunikatorin Magdalena Steinrück auf Twitter.

Aufschlussreich werden dann wohl die Schulscreenings sein, wenn der Unterricht wieder stattfindet. Und selbst wenn dann die Fallzahlen geringer sein sollten, ist die Kausalität zu den Schulschließungen auch nicht eindeutig. Denn welche Maßnahme in einem Lockdown greift und welche nicht, lässt sich eben schwer feststellen.

Die Wirksamkeit von Schulschließungen wurde in der Vergangenheit auch damit belegt, dass Eltern dadurch genötigt wurden, ins Homeoffice zu wechseln. In anderen Ländern nahm man diesen Umweg nicht und verordnete gleich eine Pflicht zum Homeoffice.