Ampulle des Impfstoffs AstraZeneca
APA/AFP/Lennart Preiss
AstraZeneca

Österreich bleibt bei Impfprogramm

Das Nationale Impfgremium (NIG) hat sich Mittwochabend nach der positiven Einschätzung des Impfstoffs von AstraZeneca durch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) für eine unveränderte Weiterführung des österreichischen Impfprogramms ausgesprochen. Andere Staaten schränkten die Verteilung trotz des EMA-Entscheids für Jüngere aber ein, etwa Italien und Belgien.

Das nationale Impfgremium folgte hingegen der Empfehlung der EMA. Diese hatte nach neuerlichen Beratungen am Mittwoch betont, dass der Nutzen des Impfstoffs höher sei als das Risiko. Zuvor hatte die EMA eine Verbindung zwischen seltenen Fällen von Hirnthrombosen und dem Vakzin untersucht. Die Behörde erklärte, dass man zwar einen möglichen Zusammenhang sehe. Das Risiko sei allerdings sehr gering. Die Anwendung des Vakzins werde daher weiterhin „uneingeschränkt“ empfohlen.

Daran will sich nun auch Österreich orientieren: „Derzeit soll das Impfprogramm in Österreich unter Berücksichtigung der epidemiologischen Situation und der verfügbaren Impfstoffe unverändert weitergeführt werden“, hieß es in einer Stellungnahme des NIG. Denn es sei in allen Altersgruppen und bei Personen jeden Geschlechts ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis bestätigt worden.

EMA: Keine Einschränkung von AstraZeneca

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat sich nach Beratungen am Mittwoch erneut für den Einsatz des Coronavirus-Impfstoffs von AstraZeneca ausgesprochen.

Bezüglich der Blutgerinnsel „konnten keine spezifischen Risikofaktoren identifiziert werden, welche die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten derartiger Ereignisse erhöhen“. Die Ereignisse seien mittlerweile gut charakterisiert und Kriterien zur frühzeitigen Diagnose und Therapie erstellt worden, so das Impfgremium.

Plan für mögliche Nebenwirkungen

Auch alle Bundesländer bleiben bei dem Vakzin, nachdem sie am Donnerstag mit dem Gesundheitsministerium per Video konferiert haben. Das gelte „auch für junge Menschen, die zwar seltener intensivmedizinisch behandelt werden müssen, aber auch von schweren und langfristigen Folgen einer Covid-19-Erkrankung betroffen sein können“, hieß es in einer Aussendung des Ministeriums. Eine „individuelle Auswahl des Impfstoffes“ ist nicht vorgesehen.

Um seltene mögliche Impfnebenwirkungen bestmöglich zu behandeln, sei von Gerinnungsexperten eine Vorgangsweise zur Diagnostik und Therapie bei Gerinnungsstörungen bzw. Thrombosen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Impfung erarbeitet worden, das dem medizinischen Fachpersonal zur Verfügung gestellt werde.

Reich: Verzögerungen nicht leistbar

Das Vakzin sei „ein guter Impfstoff, den wir brauchen“, so die Direktorin für die Öffentliche Gesundheit, Katharina Reich, im ORF-Morgenjournal. Das Image habe nach außen leider „wirklich gelitten“, räumte die im NIG vertretene Medizinerin ein. „Das ist so nicht mehr rückgängig zu machen“ und sei „ein bisschen unverdient“. Ein Verzicht auf den Impfstoff hätte aber „eine komplette Umstellung dieses Impfplans zur Folge“, wodurch „sich ganz sicher Verzögerungen ergeben würden“, die man sich nicht leisten könne, so Reich.

In Österreich ist der AstraZeneca-Impfstoff eine tragende Säule der Impfstrategie. Das Impfgremium hatte vergangene Woche auch vor einem Aussetzen nach dem Vorbild Deutschlands gewarnt. Würde man der deutschen Empfehlung folgen, könnte die Gruppe der 18- bis 55-Jährigen nicht genügend versorgt werden, so Ursula Wiedermann-Schmid vom heimischen Impfgremium. Es gebe zu wenig alternativen Impfstoff, und dem geringen Risiko stehe die Dramatik der Coronavirus-Pandemie gegenüber.

Alterslimit in mehreren Staaten

Mehrere Länder hatten zuletzt die Impfung mit AstraZeneca nicht mehr für jüngere Menschen empfohlen oder ganz ausgesetzt. Deutschland etwa will den Impfstoff nur noch Menschen über 60 verabreichen und dürfte auch nach dem EMA-Entscheid dabei bleiben. Auch Italien entschied sich für die „bevorzugte Verwendung“ von AstraZeneca bei Menschen über 60 Jahren. Der Impfstoff werde weiterhin als sehr gutes Präparat eingestuft, aufgrund der Thrombosenvorfälle habe man sich aber für die Einschränkung entschieden.

Auch Belgien teilte nach der EMA-Entscheidung mit, dass man künftig nur noch Menschen über 55 mit dem AstraZeneca-Vakzin impfen werde. Weitere Entscheidungen der EU-Gesundheitsministerien zum Umgang mit AstraZeneca werden erwartet.

Das britische Impfgremium gab ebenfalls die neue Empfehlung bekannt, dass der Impfstoff möglichst nicht an unter 30-Jährige verabreicht werden soll. 18- bis 29-Jährige sollten nach Möglichkeit ein anderes Vakzin bekommen. Das Gremium betonte aber, dass es keinen generellen Stopp der AstraZeneca-Impfungen für bestimmte Altersgruppen empfehle. Großbritannien verzeichnete laut der britischen Arzneimittelbehörde MHRA bei 20 Millionen verabreichten AstraZeneca-Impfungen 79 Blutgerinnselfälle. 19 Personen seien gestorben.

Auf Symptome achten

Auch die EMA hatte betont, dass das Risiko für derartige Thrombosen sehr gering ist. Sie riet Geimpften dazu, auf die entfernte Möglichkeit der sehr seltenen Blutgerinnsel zu achten. Bei entsprechenden Symptomen sollten sie sofort medizinischen Rat einholen. Konkret nannte die EMA Kurzatmigkeit, Brustschmerzen, Schwellung im Bein, anhaltende Bauchschmerzen, neurologische Symptome einschließlich schwerer und anhaltender Kopfschmerzen oder verschwommener Sicht sowie winzige Blutflecken unter der Haut über die Injektionsstelle hinaus – mehr dazu in science.ORF.at.

„Kosten-Nutzen-Analyse“

Unterstützung für das AstraZeneca-Vakzin kam auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Nach aktuellen Daten scheine ein Zusammenhang mit Thrombosen zwar plausibel, aber nicht bestätigt, teilten die Fachleute des Impfkomitees der WHO am Mittwochabend mit. Es bedürfe noch weiterer Studien, um eine mögliche Verbindung zwischen Impfung und etwaigem Risiko zu untersuchen.

Darüber hinaus wies die WHO darauf hin, dass die Vorfälle angesichts von inzwischen weltweit 200 Millionen mit AstraZeneca geimpften Menschen sehr, selten seien. Demgegenüber seien inzwischen 2,6 Millionen Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. „Die Verabreichung von Impfstoffen basiert auf einer Kosten-Nutzen-Analyse“, so die WHO-Fachleute.

Keine gemeinsame Linie der EU-Staaten

Die unterschiedlichen Vorgaben für den Gebrauch des AstraZeneca-Impfstoffs in Europa werden wohl noch länger bestehen bleiben. Die Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister der EU konnten sich am Mittwoch bei einer virtuellen Sondersitzung nicht auf eine gemeinsame Empfehlung einigen. Das Thema solle bei künftigen Treffen wieder aufgegriffen werden, hieß es aus diplomatischen Kreisen.

Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft hatte in der Einladung zum Treffen eine einheitliche Linie gefordert. „Eine Harmonisierung auf EU-Ebene wird von wesentlicher Bedeutung sein, um die Verbreitung von Falschinformationen zu stoppen“, hieß es. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides appellierte, ein koordiniertes Vorgehen „verwirrt die Bürger nicht und leistet auch nicht einer Impfscheu Vorschub“.