Schachtel mit Impfstoff von AstraZeneca
Reuters/Stephane Mahe
AstraZeneca

Leitfaden gegen die Verunsicherung

Die Debatte über den AstraZeneca-Impfstoff und eine spezielle Art von Thrombosen als mögliche Nebenwirkung hat zuletzt für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Doch Fachleute plädieren angesichts der Risiken einer schweren Covid-19-Erkrankung dringend dafür, dem Vakzin weiterhin zu vertrauen. Dafür spricht nicht nur, dass derartige Thrombosen extrem selten auftreten – im Ernstfall gibt es auch Therapiemöglichkeiten. Daher wird weiter zur Impfung und Selbstbeobachtung aufgerufen, ein Leitfaden soll dabei helfen.

AstraZenecas Impfstoff biete ein „positives Nutzen-Risiko-Verhältnis“, für „alle Altersgruppen und bei Personen jeden Geschlechts“, unterstrich am Donnerstag das Gesundheitsministerium. Zuletzt hatte auch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) den Einsatz des Vakzins „uneingeschränkt“ empfohlen und auch mitgeteilt, dass es trotz der deutlichen Häufung von Fällen bei jüngeren Frauen derzeit keine eindeutigen Hinweise darauf gebe, dass bestimmte Altersgruppen oder Geschlechter eher gefährdet sind.

Sie hatte zuvor jene Fälle von Hirnvenenthrombosen untersucht, die in mehreren Staaten für einen Impfstopp gesorgt hatten. Diese Blutgerinnsel haben nichts mit den „klassischen“ Thrombosen zu tun, wie sie etwa in den Beinen oder bei der Einnahme von Verhütungsmitteln auftreten können. Die Problematik bei AstraZeneca dreht sich um Thrombosen im Gehirn, die in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen stehen. Solche Thrombosen sind extrem selten, die EMA hält einen Zusammenhang mit dem Impfstoff von AstraZeneca aber für möglich.

„Sehr spezielles Krankheitsbild“

Solche lebensgefährlichen Thrombosen hätten ein „sehr spezielles Krankheitsbild“, betonte am Donnerstag die Virologin und Impfexpertin Heidemarie Holzmann gegenüber der APA. Es sei „ganz wichtig, dass man die Patienten darauf hinweist“. Auch die EMA rief Geimpfte und Fachpersonal dazu auf, nach der Impfung auf mögliche Symptome zu achten.

Österreich führt Impfprogramm unverändert weiter

Österreich hält weiter am AstraZeneca-Impfstoff und seinem aktuellen Impfplan fest.

Dazu wurde nun in Österreich ein Leitfaden für Diagnostik und Therapie entwickelt. In diesem heißt es, dass mögliche Nebenwirkungen zwischen vier und 20 Tage nach der Impfung beobachtet werden konnten. Gewarnt wurde vor plötzlich auftretenden Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit oder Erbrechen, Sehstörungen oder Lähmungserscheinungen. Diese könnten auf eine Hirnvenenthrombose oder einen Schlaganfall hinweisen. In dem Papier werden auch andere thrombotische Ereignisse besprochen, namentlich Thrombosen im Bauchraum, Arm- und Beinvenenthrombosen sowie Lungenembolien.

Sollten Symptome wie die oben erwähnten mehr als drei Tage nach der Impfung anhalten oder neu auftreten, sollten sich Geimpfte ärztlich untersuchen lassen und der Verdacht einer Gerinnungsstörung bzw. Thrombose abgeklärt werden. Dort wird mittels Blutbildes, Ultraschall oder CT untersucht, ob eine Thrombose Ursache der Schmerzen ist. Danach könne mit Medikamenten gegengesteuert werden – mehr dazu in science.ORF.at.

Hinweise auf Immunreaktion

Auf die Behandlungsmöglichkeiten verwies auch der Mediziner Andreas Greinacher von der Universitätsmedizin Greifswald (Deutschland), der als einer der ersten mit seinem Team den Zusammenhang zwischen AstraZeneca und den seltenen Thrombosen erforscht hatte. Dabei fand er Hinweise darauf, dass im Zuge der Impfung eine Immunreaktion auftreten kann, bei der spezielle Antikörper gebildet werden können. Diese können an die Blutplättchen andocken, diese aktivieren und zu einer Verklumpung des Blutes führen. Diese kann das Entstehen von Gerinnseln fördern.

Ob die Reaktion auf den Impfstoff selbst oder den bei AstraZeneca genutzten Vektor – also die Verpackung des Wirkstoffes – zurückgehe oder es sich um eine allgemeine Entzündungsreaktion als Immunantwort auf die Impfung handle, müsse noch untersucht werden. Greinacher betonte, dass die Erforschung des Mechanismus gleichzeitig auch den Schlüssel zur Behandlung liefere. Die Aktivierung der Blutplättchen lasse sich nämlich medikamentös hemmen.

Probleme bei Datengrundlage

Laut EMA wurden bis zum 4. April im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und in Großbritannien 169 Fälle gemeldet. Insgesamt wurden 34 Millionen Impfdosen verabreicht, alle Altersgruppen eingeschlossen. Grundsätzlich erschwert in diesem Zusammenhang die Datengrundlage eine Beurteilung, denn nicht nur die Impfstrategien, auch die Erhebung von Impfdaten variieren von Land zu Land sehr stark.

Bisher betrafen die meisten Fälle Frauen unter 60. Im März hatte die EMA allerdings zu Bedenken gegeben, dass das auch damit zusammenhängen könnte, dass zu Beginn der Impfkampagnen in mehreren Ländern vornehmlich Jüngere mit dem AstraZeneca-Vakzin geimpft wurden, weil es Unsicherheiten zur Wirksamkeit bei Älteren gegeben hatte. Zudem ist medizinisches Personal unter den Geimpften überrepräsentiert – und dieses wiederum umfasst besonders viele Frauen.

Beides trifft auch auf Deutschland zu. Dort wurden laut Paul-Ehrlich-Institut verhältnismäßig viele Fälle gemeldet, insgesamt 31 (bis 29.3.2021) bei drei Millionen verabreichten Impfdosen. Das sind – bezogen auf eine Million – wesentlich mehr als etwa in Großbritannien. Dort wurden am 7. April bei 20 Millionen verabreichten Impfdosen 79 Fälle gemeldet. Dort gehört AstraZeneca zum wichtigsten Impfstoff und wurde bisher an alle Altersgruppen verteilt. Künftig sollen nur unter 30-Jährige kein AstraZeneca-Vakzin bekommen.

Zugriff auf andere Impfstoffe entscheidend

Mehrere Staaten hatten aufgrund der Häufung an Hirnvenenthrombosen bei eher jungen Menschen den Einsatz des AstraZeneca-Impfstoffes auf ältere Personen beschränkt – etwa Italien, Australien, Belgien und eben auch Deutschland. Die dort zuständige Ständige Impfkommission (STIKO) erklärte diesen Schritt auch mit der Verfügbarkeit anderer Impfstoffe.

Außenansicht der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) in Amsterdam
Reuters/Piroschka Van De Wouw
Die EMA in Amsterdam empfiehlt das AstraZeneca-Vakzin auch weiterhin

Weil Deutschland Zugriff auf die Impfstoffe anderer Hersteller habe, gebe es die Möglichkeit, diese in den Altersgruppen entsprechend zu verschieben und dadurch das Risiko für Nebenwirkungen insgesamt zu senken, so der Virologe Thomas Mertens in RBB. In anderen Ländern sei das nicht der Fall, weil sie stärker auf AstraZeneca gesetzt hätten. Bei diesen konnte noch kein Zusammenhang zwischen den speziellen Hirnvenenthrombosen und einer Impfung nachgewiesen werden.

„Guter Impfstoff, den wir brauchen“

Das gilt auch für Österreich: AstraZeneca sei „ein guter Impfstoff, den wir brauchen“, so die Direktorin für die öffentliche Gesundheit, Katharina Reich, im Ö1-Morgenjournal. Ein Verzicht auf den Impfstoff – der einen Eckpfeiler des österreichischen Impfprogramms darstellt – oder eine Einschränkung auf bestimmte Personengruppen hätten „eine komplette Umstellung dieses Impfplans zur Folge“, wodurch „sich ganz sicher Verzögerungen ergeben würden“, und „Verzögerungen können wir uns alle, egal, wie viel Impfstoff da ist, derzeit nicht leisten“, so Reich. „Wir wollen schnell vorankommen.“

Vermehrt Abmeldungen

Zuletzt hatte die Verunsicherung in Sachen AstraZeneca vermehrt zu Abmeldungen von Impfterminen geführt, etwa in der Steiermark. „Von den in dieser Woche impfwilligen 5.000 haben rund 1.700 den Impftermin nicht wahrgenommen. Nächste Woche gibt es 25.000 Impfungen mit AstraZeneca, davon haben sich schon 3.700 abgemeldet und wollen den Impftermin nicht wahrnehmen“, so der steirische Impfkoordinator Michael Koren – mehr dazu in steiermark.ORF.at. Auch in Wien verzeichnete man rund zehn Prozent bei Absagen aus diversen Gründen – mehr dazu in wien.ORF.at.

Gleichzeitig kommt es bei AstraZeneca wieder zu Lieferausfällen. Wie zuletzt bekanntwurde, fällt die Lieferung der erwarteten 5.090 Ampullen nach Österreich aus. Stattdessen kommt nun nur rund die Hälfte – und zwar eine Woche später.